Kleingartenverein

1915 standen die Nahrungsmittel noch im Vordergrund

8. Mai 2015 | Gesellschaft

Amtmann Weiberg will Bürger versorgt wissen

Doch das war nicht immer so. Im Gegenteil: Genau vor 100 Jahren kannten die Menschen in Wanne jede Menge Sorgen. Der Erste Weltkrieg wütete gerade ein paar Monate in Europa, als im Kaisersaal am 25. März 1915 der erste Kleingartenverein in unserer Stadt gegründet wurde. „Die Initiative ging von Amtmann Weiberg aus, er wollte, dass sich die Bevölkerung selbst versorgen konnte", erklärt Hans-Peter Müller, der inzwischen 16. Vorsitzende in der nunmehr 100-jährigen Geschichte des Vereins. Dieser bekam übrigens erst 1931 seinen heutigen Namen, aus der Taufegehoben wurde er unter der Bezeichnung „Gartenbauverein Wanne".

  • Der Eingangsbereich des Kleingartenvereins Sorgenfrei © Frank Dieper, Stadt Herne

86 kleine Oasen zwischen den Ligusterhecken

Auf den 86 bis zu 300 Quadrat-meter großen Schollen fühlen sich die Menschen sichtlich wohl. Viele haben sich zwischen den 1923 gepflanzten Ligusterhecken ihre kleine Oase geschaffen, ihre Lauben liebevoll eingerichtet. Eigentlich will man bei dieser Natur gar nicht mehr woanders hin. Im vergangenen Jahr allerdings zog es 34 Vereinsmitglieder dennoch für ein paar Tage von der Wilhelmstraße nach Berlin. Aus gutem Grund: 2014 gab es beim Bundeswettbewerb „Gärten im Städtebau" die Auszeichnung in Gold. Schon im Jahr zuvor überreichte der NRW-Umweltminister Johannes Remmel die Silber-Urkunde. Mit dem Jubiläum in 2015 gab es also drei Jahre in Folge reichlich zu feiern.

Integration wird auf den Parzellen mit Leben gefüllt

„Jetzt wird es wieder etwas ruhiger", hofft Müller, der selber als kleines Kind auf der Anlage aufgewachsen ist. Seine Mutter Lisbeth hält dem Verein seit 55 Jahren die Treue, so lange wie niemand anders. „Es gibt Parzellen, die haben seit 1915 nicht viele Wechsel erlebt, zum Teil haben Generationen von Familien hier ihre Heimat gefunden", verrät Müller. Doch der Kleingartenverein „Sorgenfrei" ist für viele Menschen auch eine neue Heimat geworden. Das Wort Integration wird hier mit Leben gefüllt. Müller: „40 Prozent der Mitglieder haben einen Migrationshintergrund, sie kommen aus Ländern wie Polen, Russland, Kasachstan, Türkei, Bosnien, Serbien, Tunesien oder Tadschikistan."

  • Vereinsmitglied Günther steht zu seinem Fußballballverein. © Frank Dieper, Stadt Herne

 

100 Jahre Sorgenfrei © Frank Dieper, Stadt Herne 100 Jahre Sorgenfrei © Frank Dieper, Stadt Herne

„Ich bin auf der Anlage aufgewachsen"

Mit den ersten schönen Tagen im April hält es auch den 68-Jährigen kaum noch in den eigenen vier Wänden, „dann zieht es mich einfach in den Garten", gesteht der Eisenbahner im Ruhestand und fügt hinzu: „Ich bin hier auf der Anlage Sorgenfrei aufgewachsen, das war schon damals eine schöne Zeit." Damals – das war Anfang der 1950er Jahre. Der Alltag an der Wilhelmstraße sah da noch ganz anders aus als heute.

Drei Wasser-Zapfsäulen für alle Mitglieder

Auf dem ganzen Areal standen gerade einmal drei Wasser-Zapfsäulen zur Verfügung, die kleinen Gartenhäuschen wurden mit Kaminen beheizt. Zwischendurch auch mit der Kohle der benachbarten Zeche Pluto-Wilhelm. „Die Kohlenzüge der Eisenbahn fuhren über die Thiesstraße an den Gärten vorbei. Der Heizer bekam schon mal Äpfel oder Kartoffeln, wenn er als kleine Gegenleistung Kohlen „verlor"." Es war die Zeit, als Naturalien noch gegen Naturalien getauscht wurden. Kamine sind heute nicht mehr erlaubt.

 Kaninchen- und Hühnerställe nicht mehr erlaubt

 „Ich kann mich auch noch gut an die Kaninchen und Hühner auf der Anlage erinnern, die den Speiseplan ergänzten. Auch das ist lange vorbei", sagt Rebien im Schatten der Königin-Luisen-Schule, in der er 1946 geboren wurde. Damals diente das Gebäude noch als Krankenhaus. Wer dem rüstigen Rentner mit der Harke zuhört, weiß, dass der Kleingarten „Sorgenfrei" auch in 100 Jahren noch existiert. Der Grund: Wegen Typen wie Manfred Rebien.

Doch nicht nur die Gärtner sind in diesen Tagen sehr aktiv, auch die Bienen erweisen sich wieder als fleißige Sammler. Nicht ganz unschuldig daran ist Wilhelm Wirth. Seit 1969 ist er Vereinsmitglied und seit dem freuen sich alle Pächter über ihren eigenen Imker im Verein. Inzwischen kann das längst nicht mehr jede Kleingartenlage in Herne von sich behaupten. „Schon mein Vater hatte Bienen", sagt Wirth, auf mehr als 100-jährige Imkergeschichte in seiner Familie zurückblicken kann. Bei den ersten schönen Tagen im April steuerten die für die Natur so wichtigen Insekten vor allem Krokusse und Schneeglöckchen an. „Dann waren die Wilde Johannesbeere, Kirsche und die Felsenbirne an der Reihe", erklärt der 75-jährige Imker, der schon auf seine erste Ernte in diesem Jahr freut. Die erste Schleuderung könnte schon Mitte Mai nach der Obstbaumblüte erfolgen. Und es sieht gar nicht so schlecht aus. „Die Völker haben den Winter ganz gut überstanden. Bei anderen sah es schlechter aus, da gab es zum Teil Verluste von bis zu 30 Prozent."