Interview

Außergewöhnliches mit Alleinstellungsmerkmal

20. Januar 2014 | Kultur

inherne-Interview mit Kulturdezernentin Gudrun Thierhoff und Peter Weber, Leiter des Fachbereichs Kultur, über den Ritter von Strünkede, Jugendkultur, Institutionen mit revierweiter Strahlkraft – und generell über Kulturpolitik

inherne: Frau Thierhoff, Sie sind als Kind von Bochum nach Herne gezogen. Welches war Ihr erstes kulturelles Erlebnis in dieser Stadt?

Thierhoff: Der Ritter von Schloss Strünkede. Ich war neun Jahr alt, als ich die beeindruckende Figur zum ersten Mal sah. Heute habe ich den Eindruck, der Ritter sei geschrumpft.

inherne: Herr Weber, Sie sind in Wanne aufgewachsen. Wo begegnet einem dort zuerst Kultur?

Weber: Ich kann mich noch lebhaft an die ausgestopften Vögel und anderen Tiere im Heimat- und Naturkunde-Museum erinnern.

inherne: Lang ist’s her. Seitdem hat sich viel verändert. Die ausgestopften Tiere im Heimatmuseum werden ja auch mehr in den Hintergrund treten. Kultur toleriert keinen Stillstand. Was hat sich in den letzten Jahren in unserer Stadt getan?

Weber: Eine ganze Menge. Wir haben die wichtigen institutionellen Kulturaufgaben von Musikschule, Stadtbibliothek, Museen, Archiv und Flottmann-Hallen zukunftsgerecht ausgerichtet. Über das Konjunkturpaket II wurden, was dringend notwendig war, das Kulturzentrum, das Schloss Strünkede, das Museum Wanne und die Musikschule saniert. Herne hat neue Veranstaltungsorte gewonnen wie die Kulturbrauerei in Eickel oder das neue Zentrum der Jugendkultur, die „AULA“ in Crange. Insgesamt hat der Fachbereich Kultur im vergangenen Jahr 1370 Einzelveranstaltungen durchgeführt. Allein das Kulturbüro hat über die Akquise neuer Fördertöpfe und mit Unterstützung der Herner Kulturinitiative (Anm. d. Red.: siehe Infokasten), der Herner Sparkasse und den Stadtwerken seit 2009 zusätzlich 180.000 € an Projektfördermitteln bereitgestellt.

inherne: Kultur ist ein weites Feld, auf dem man leicht straucheln kann, wenn keine Eckpunkte oder Leitlinien festgelegt sind. Hat die Stadt welche?
Thierhoff: Kulturelle Bildung und Jugendkultur sind unsere Schwerpunkte. Wir arbeiten mit Schulen und Kindertageseinrichtungen zusammen und erreichen inzwischen einige tausend Kinder und Jugendliche, denen wir Kultur nahe bringen. Dabei spielt das heutige Zauberwort „Vernetzung“ eine wichtige Rolle. Wer wie zum Beispiel Schulen, KiTas, Familienbildungszentren oder Jugendeinrichtungen selbst Kultur anbietet, muss auch von anderen wissen. So kann man die vorhandenen Potentiale besser nutzen. Ebenso wichtig ist die Förderung von freien Künstler- und Theatergruppen, Chören und Vereinen. Wir unterstützen die Künstlerzeche Unser Fritz, Teutoburgia, Theater Kohlenpott, Jugendkunstschule, Pottporus oder die Kulturbrauerei Eickel mit knapp 290.000 Euro im Jahr.

inherne: Sie sprechen von Kindern, von Schülern, von Jugendlichen. Wo bleiben die anderen, die Ü 30, die Ü 65?
Weber: In unserem Angebot ist für jede Altersgruppe und für jeden Anspruch etwas dabei: Von den Kulturmäusen, Kulturstrolchen, der Frühleseförderung bis hin zum Projekt „Jedem Kind ein Instrument“. Oder die sehr lebendige Jugendtheaterszene, Roomservice, Streetart und Tanz, Rock-, Folk- und Jazzveranstaltungen. Oder Kabarett und Comedy bis hin zu klassischen Theater-und Konzertangeboten und Open-Air-Formaten sowie einer Reihe von Festivals. Stärkere Akzente wollen wir bei den interkulturellen Angeboten und in der Kreativwirtschaft setzen.

inherne: Ist es eigentlich ein Nachteil, dass Herne kein festes Stadttheater bzw. Konzerthaus hat?
Thierhoff: Ich glaube, es ist sogar ein Vorteil. Wir verfügen im Ruhrgebiet, der dichtesten Kulturlandschaft Europas, über ein Theater- und Musikangebot der Spitzenklasse, alles im Radius von 30 Kilometern und schnell zu erreichen. Dennoch haben wir für die Menschen vor Ort interessante Theateraufführungen, Konzerte und Gastspiele im modern renovierten, multifunktionalen Kulturzentrum. Theater und Konzerthäuser mit stehenden Ensembles binden zudem so viele Ressourcen. Dafür müssten wir viel aufgeben. Da setzen wir lieber auf außergewöhnliche Veranstaltungsformen, die uns ein Alleinstellungsmerkmal garantieren. Mit Archäologiemuseum, Flottmann-Hallen oder Mondpalast haben wir zudem Institutionen mit ruhrgebietsweiter Strahlkraft.

inherne: Was ist wichtig für unsere Stadt: Kultur made in Herne oder Ruhrpottkultur?
Thierhoff: Beides. Unsere sehr lebendige Jugendkulturszene mit Pottporus, Theater Kohlenpott, Roomservice oder dem neuen Jugendkulturpreis Herbert ist inzwischen ein Markenzeichen. Zudem hat die Kulturhauptstadt viele Projekte mit Nachbarstädten auf den Weg gebracht wie Kulturkanal, Ruhrkunstmuseen, den Day of Song, Starke Orte oder Filmschauplätze. Und: Für viele Herner Kulturinteressierte ist es selbstverständlich, das vielseitige Angebot der Region zu nutzen. Hierfür sind die ExtraSchicht oder die Ruhr-Triennale beste Beispiele.

Inherne: Sparen, sparen und nochmal sparen, heißt es bei der Stadt. Die Kultur trifft es immer zuerst, sagt man. Wo im kulturellen Bereich wird in Herne der Rotstift angesetzt? Was unternehmen Sie gegen entsprechende Bestrebungen?
Thierhoff: Mit der Schließung der Büchereizweigstellen Sodingen und Eickel haben wir bereits sehr schmerzhafte Einschnitte hinnehmen müssen. Mit einem Kulturanteil von knapp 2,5 Prozent am Gesamthaushalt zählt Herne ohnehin zu den sparsamsten Städten. Hier weitere Einschränkungen vorzunehmen, wäre fatal, denn unsere hervorragenden Angebote für Jung und Alt tragen nicht unwesentlich zur Lebensqualität in Herne bei. Ich werbe mit fester Überzeugung für den Erhalt unseres Kulturangebotes, das wir mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln auf die Beine stellen. Da gebührt auch den Mitarbeitern und Kulturschaffenden ein großes Lob. Natürlich bemühen wir uns nach Kräften, durch moderate Einnahmeerhöhungen und das Einwerben von Fördergeldern und Sponsorenmitteln, aber auch durch „intelligentes Sparen“, Beiträge zur Haushaltskonsolidierung zu leisten.

inherne: Das Jahr 2013 neigt sich dem Ende entgegen. Welches waren die kulturellen Highlights
Weber: Besonders gelungen war aus meiner Sicht das gesamte Sommerprogramm mit Nightlight-Dinner, Strünkeder Sommer, Kulturfestival oder dem Mittelaltermarkt. Darüber hinaus die ExtraSchicht oder die neuen, frischen Formate bei Flottmann. Aktuell haben mir die Ausrichtung des Jugendkulturpreises „Herbert“, die Ausstellung Starke Orte im Bunker Sodingen, die Comedy-Gala und das Brian-Auger-Konzert in der Kulturbrauerei gefallen. Viele Highlights kommen ja noch: Pottporus-Festival, die Tage Alter Musik oder der Strünkeder Advent.

inherne: Auf welche neuen Angebote  können sich die Bürger in den nächsten Jahren ganz konkret freuen?
Weber: Natürlich muss Kulturarbeit immer offen sein für Experimente und neue Ideen. Zu nennen wären hier das Jugendtheaterfestival oder eine Neuauflage von „Lichtgestalten“ in der Herner Innenstadt. Eines der großen Projekte 2014 wird das 100-jährige Kanaljubiläum sein mit Kulturschiffen, dem Day of Song und der geplanten Vollsperrung des Kanals. Der Kulturkanal wird wie in 2010 über seine ganze Länge bespielt. Eine tolle Sache!

Das inherne-Gespräch führten Christian Matzko und Horst Martens.

Die Herner Kulturinitiative ist ein Verein der Herner Wirtschaft, der besonders alternative Kulturangebote fördert, zum Beispiel die Veranstaltung „Tegtmeiers Erben“ oder die Ausrichtung des Jugendkulturpreises „Herbert“.
Kontakt:
Vorsitzender Michael Benkert,
Industriestraße 12, 44628 Herne
Telefon: 0 23 23 / 14 51 11