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Den Überblick behalten

11. Juli 2011 | Gesellschaft Wirtschaft

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Die Lufthansa ist mit einem Umsatz von 28,7 Milliarden Euro in 2011 eine der größten Fluglinien der Welt. Wer bei ihr im Vorstand sitzt, darf zu den Topmanagern der Republik gezählt werden. Mit Carsten Spohr gehört ein gebürtiger Wanne-Eickeler (als er 1966 das Licht der Welt erblickte, war die Städteehe mit Herne noch nicht geschlossen) dem vierköpfigen Vorstand an.

Beim Interview mit inherne in seinem Büro mit Blick über den Frankfurter Flughafen spricht Spohr über seine Beziehung zu Herne, den Job und seine Außensicht auf das Ruhrgebiet. Übrigens: Spohr lenkt nicht nur die Geschicke des Lufthansa-Konzernbereichs „Passage“ (also den gesamten Passagierflugbetrieb), sondern besitzt selbst die Pilotenlizenz für den Airbus A 320 und war bis vor fünf Jahren neben der Arbeit im Management auch im Cockpit unterwegs. Vorher war der heute 46-Jährige unter anderem Assistent des Vorstandsvorsitzenden und zuständig für die weltweiten Kooperationspartner der Kranich-Linie.

inherne: Herr Spohr, Sie sind im Januar 2011 in den Vorstand der Lufthansa berufen worden. Welche Aufgaben nehmen Sie dort wahr?

Carsten Spohr: Als Vorstandsmitglied bin ich für das Airline-Geschäft zuständig. Damit trage ich die Verantwortung für die Fluggesellschaft mit etwa 400 Flugzeugen und rund 40.000 Mitarbeitern im Passagiergeschäft. Auf jedes Flugzeug kommen bei uns rechnerisch 100 Mitarbeiter.

inherne: Wie sind Sie dorthin gelangt, wo Sie jetzt sind?

Spohr: Nach dem Abitur am Gymnasium Eickel habe ich in Karlsruhe Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Ich wollte damals schon gerne bei einer Fluggesellschaft – besser gesagt bei „der“ Fluggesellschaft – arbeiten und habe ein Praktikum bei der Lufthansa gemacht. Mir war dann schnell bewusst: „Bei der Lufthansa ohne Pilot zu sein ist wie bei Porsche ohne Führerschein.“ Zum Entsetzen meines Vaters habe ich deshalb dann nach dem Studium noch die Pilotenlizenz drangehängt. Das hat mir die Chance gegeben, neben meiner späteren Managementfunktion immer auch ein paar Tage im Monat zu fliegen.

inherne: Empfanden Sie diese Doppelfunktion, Pilot und Manager, als Vorteil?

Spohr: Unbedingt, denn es ist sinnvoll, wenn man in einer Firma nicht nur die Seite des Managements kennt, sondern auch das tägliche operative Geschäft. Dadurch entsteht ein Gefühl für unsere Kunden, aber natürlich auch für unsere 33 Mitarbeiter im Betrieb. Und man kann besser verstehen und nachvollziehen, wie Entscheidungen wirken und was sie bei Kolleginnen und Kollegen auslösen.

inherne: Sie haben Ihr Büro nicht in dem repräsentativen Gebäude, in dem die übrigen Vorstände sitzen, sondern in dem Haus, in dem auch die Crews ein- und ausgehen.

Spohr: Ich möchte ganz bewusst dort sein, wo das Herz unseres Flugbetriebs schlägt. Für den bin ich schließlich verantwortlich.

inherne: Sie kennen das Management und den Pilotensitz. Welche Tätigkeit ist schöner?

Spohr: Beides sind faszinierende Berufe. Pilot zu sein ist nach wie vor eine der interessantesten Tätigkeiten, die es gibt. Ich kann jeden jungen Menschen nur ermutigen, sich am Auswahltest hierfür zu beteiligen und es zu versuchen. Aber natürlich ist es auch ungemein vielschichtig und herausfordernd, ein Unternehmen zu leiten. Weil beides reizvoll ist, bin ich dankbar, dass ich beide Seiten kennenlernen konnte. Eine Wertung beider Jobs gegeneinander möchte ich aber nicht vornehmen.

inherne: Haben Sie als Pilot Kompetenzen erworben, die Ihnen auch heute als Vorstand nützlich sind, zum Beispiel in Entscheidungssituationen?

Spohr: Oh ja, durchaus. Zum einen wird man als Pilot trainiert, im Cockpit den Überblick zu behalten, gerade in schwierigen Situationen. Diese Fähigkeit schadet einem als Manager ganz sicher nicht. Zum anderen bekommt man im Flugbetrieb natürlich ein Gefühl dafür, was die eigentliche Dienstleistung einer Airline ausmacht, nämlich 170.000 Menschen am Tag sicher, pünktlich, zuverlässig und mit Spitzenservice von A nach B zu transportieren. Das ist die Wertschöpfung, die wir erbringen. Und noch ein Drittes habe ich mitgenommen, nämlich nicht immer alles sofort zu glauben, was man sieht. Piloten werden ausgebildet, zu schauen, ob die Dinge in sich stimmig sind. Sie müssen kritisch sein und Situationen hinterfragen. Das ist eine hilfreiche Grundlage für meine alltägliche Arbeit als Vorstand.

inherne: Als Vorstand eines der größten deutschen Konzerne stehen Sie stark in der Öffentlichkeit. Wer dort steht, wird nicht immer mit Samthandschuhen angefasst. Wie können Sie damit umgehen?

Spohr: Da können wir einen schönen Schwenk ins Ruhrgebiet machen, denn meine Herkunft hilft mir da schon. Dort pflegt man einen ehrlichen Umgang miteinander, auch wenn es schon mal ruppig zugeht. Das ist bestimmt kein schlechtes Training für einen Job, wie ich ihn habe. Denn natürlich ist es auch meine Aufgabe, ein Gesicht des Unternehmens zu sein und gegebenenfalls auch den Kopf hinzuhalten.

Der Lufthansa-Manager Spohr vor einem Flugzeug-Modell Carsten Spohr behält seine Flieger im Auge.

inherne: Welche Beziehung haben Sie heute noch zu Herne? Ihr Lebensmittelpunkt hat sich nach Süden verschoben.

Spohr: Privat lebe ich mit meiner Familie in München, beruflich ist mein Mittelpunkt hier in Frankfurt. Natürlich zieht es mich immer mal wieder in die Heimat nach Herne. Vor allem am ersten Freitag der Cranger Kirmes. Ich hoffe dann jedes Mal, Abiturkollegen beim Steinmeister zu treffen. Schließlich bin ich ja in Wanne-Nord, also in Kirmesnähe, aufgewachsen. In diesem Jahr allerdings bin ich zur Kirmeszeit leider im Urlaub.

inherne: Sie haben das Eickeler Gymnasium besucht und dort das Abitur gemacht. Was waren ihre Interessen neben der Schule?

Spohr: Ich habe sehr viel Zeit auf dem Wasser verbracht, beim Ruderverein Emscher. Das Bootshaus war ein Ort meiner Jugend.

inherne: Räumlich haben Sie inzwischen eine Distanz zum Ruhrgebiet entwickelt. Wie nehmen Sie die Region heute von außen wahr?

Spohr: Auch aus der Distanz beobachte ich mit Interesse, wie sich das Ruhrgebiet entwickelt. Es gibt dort erfolgreiche Bereiche, aber bei aller Verbundenheit muss man sagen, dass vielerorts die Probleme des nicht abgeschlossenen Strukturwandels un- übersehbar sind. Daher habe ich auch großen Respekt vor denjenigen, die dort Verantwortung übernehmen.

inherne: Kurze Abschlussfrage: Wie sieht Herne eigentlich aus der Luft aus?

Spohr: In meiner aktiven Zeit als Pilot habe ich die Stadt häufig überflogen, wenn ich Düsseldorf angesteuert habe. Meinen Kollegen im Cockpit konnte ich dann immer beweisen, dass Herne und das Ruhrgebiet aus der Luft viel grüner sind, als ‚Unwissende‘ glauben.

Das Gespräch führte Christoph Hüsken