Am Emscherufer grasen demnächst wieder Wildpferde

Die Rückkehr der Emscherbrücher Dickköppe

21. Juli 2017 | Freizeit Gesellschaft

  • Wildnis im Merfelder Bruch. So ähnlich soll es bald auch an der Emscher aussehen. © Frank Dieper, Stadt Herne

Die ehemals größte Wildbahn Deutschlands

Jetzt, wo die Emscher von einem betonierten Kanal in einen naturnahen Fluss zurück verwandelt wird, sollen dort auch wieder Pferde grasen, plant die Emschergenossenschaft gemeinsam mit den Städten Recklinghausen, Herne, Herten und Castrop-Rauxel sowie dem Kreis Recklinghausen. Sie möchte auf einem Stück Land zunächst eine Herde von acht bis zehn Tieren ansiedeln, die naturnah leben sollen. Ganz frei werden sie sich nicht bewegen können, denn Gleise, Autobahnen und Industrieanlagen könnten ihnen gefährlich werden. Aber zumindest einen Eindruck von der einstmals größten Wildbahn Deutschlands sollen sie vermitteln.

Tierische Rasenmäher

Die Idee stammt von einem Mitarbeiter der Stadt Recklinghausen. Konkret geplant und beschrieben haben Emschergenossenschaft und Kommunen ihr Vorhaben im Integrierten Handlungskonzept Emscherland 2020. Dort heißt das Projekt ganz allgemein „Ökologische Landschaftspflege mit alten Nutz- und Haustierrassen“ und kann von der EU gefördert werden. Als tierische Rasenmäher kommen auch Heckrinder, Schafe oder Wasserbüffel in Frage, die jene Pflanzen abfressen, die die Ponys stehen lassen. Spätestens im Jahr 2020 sollen die Tiere freilaufend im Emscherbruch unterwegs sein, derzeit laufen Planungen und erste Gespräche.

Vorbild Dülmener Wildpferde

Wie es aussehen kann, wenn Pferde auf einem abgegrenzten Gebiet weitgehend unbehelligt von Menschen leben, ist heute schon im Merfelder Bruch beim Herzog von Croy zu sehen. Die berühmten Dülmener Wildpferde leben hier. 400 Hektar, also 4 Quadratkilometer, haben sie zur Verfügung. „Wir befinden uns zwischen zwei Autobahnen. Wenn wir keine Zäune hätten, würden die Pferde überfahren“, erklärt Oberforstinspektorin Friederike Rövekamp. Sie führt Besucher durch die Wildbahn und kümmert sich um den Wald und die Pferde des von Croy’schen Anwesens.

Ganz hinten auf das Gelände hat sich die Herde aus etwa 400 grau-beigen Ponys zurückgezogen. Entspannt stehen sie im hohen Gras. Dann löst sich eine Gruppe und trabt an den Besuchern vorbei zur Wasserstelle. Friedlich, ist das erste, was einem zu den frei lebenden Pferdchen einfällt. Neugierig das zweite. Denn schon bald kommt eine Stute heran und schnuppert am Fotografen, der sich ins Gras gekniet hat. Ein kleiner Stupser, dann entfernt sich das Tier wieder.

Weitgehend wild

„Vor 1000 Jahren haben Menschen die Wildpferde vorwiegend zur Fleischgewinnung genutzt“, erklärt Friederike Rövekamp. Um mehr Pferde fangen zu können, haben sie die Herden in sogenannten Wildbahnen oder Wildgestüten anwachsen lassen. „Wir haben hier andere Rahmenbedingungen als in der Natur. Hier gibt es nur begrenzten Platz und keine Raubtiere wie Bär und Wolf, die die Bestandsgröße verringern“, so Rövekamp. Deswegen braucht auch die ansonsten ungestört lebende Herde eine gewisse Betreuung: Im Winter bekommen die Tiere Heu, außerdem Wasser, damit die Pferde nicht verdursten – was in der Natur vorkommen könnte. Damit die Herde nicht zu groß wird, werden in jedem Frühjahr die einjährigen Hengste gefangen. Würden alle Hengste in der Herde bleiben, gäbe es permanente Revierkämpfe zwischen ihnen, denn genug Platz, dass die Rivalen einander aus dem Weg gehen könnten, haben sie nicht. Ansonsten lebt die Herde weitgehend ohne menschliche Eingriffe.

Dass die Wildbahn noch besteht, liegt an den kargen Böden rund um Dülmen, die wenig für die Landwirtschaft taugten. So konnte die Dülmener Herde Jahrhunderte lang unbehelligt im Merfelder Bruch leben, während andere Wildbahnen der Landwirtschaft und der Industrie weichen mussten. So auch die ehemals größte Wildbahn im Emscherbruch. Damit dort wieder wilde Pferde weiden können, müsste sich ein Landwirt bereit erklären, gegen eine Aufwandsentschädigung Land zu Verfügung zu stellen und regelmäßig nach den Tieren zu sehen.

Evolution an der Emscher

Da die Emscherbrücher Dickköppe ausgestorben sind, könnten nur eng verwandte Ponys angesiedelt werden. In Frage kämen Tiere aus den Herden, die die letzten Emscherbrücher aufgenommen haben. In den 1840er Jahren wurden die letzten etwa 20 Dickköppe an den Herzog von Croy verkauft, der sie in seine Herde Dülmener Wildpferde integrierte. Auch in die Herde des Arenberg-Nordkirchener-Ponys wurden Emscherbrücher eingekreuzt, sie gilt inzwischen als vom Aussterben bedroht. Konkrete Gespräche dazu hat es aber noch nicht gegeben.

„Wir werden die Emscherbrücher nicht zurück züchten, sondern die Evolution wirken lassen. Mit der Zeit wird sich die Herde verändern und sich ihren Lebensbedingungen im Emscherbruch anpassen“, erklärt Dr. Martina Oldengott, Gruppenleiterin bei der Emschergenossenschaft. Ihr Mitarbeiter Moritz Herbst ergänzt: „Der Emscherbrücher galt als robustes Tier. Die Anpassung an seinen eher unwirtlichen Lebensraum spiegelt sich in seiner kompakten, stämmigen Statur.“ Das kam den Menschen recht, denn die Ponys waren Arbeiter und sollten möglichst belastbar sein. Wenn sie eingefangen wurden, mussten sie in den Stollen Loren voller Kohle ziehen.

„Der ideelle Wert ist kaum zu überschätzen“

Heute wäre die Aufgabe der Tiere eine andere: Die weidenden Tiere sollen das Biotop erhalten, denn auf Grasflächen fühlen sich besonders viele Tierarten wohl. „Beweidung ist eine sehr kostengünstige und ökologisch ausgesprochen verträgliche und hochwertige Form der Landbewirtschaftung“, bestätigt Karl Malden Ressortleiter beim Kreis Recklinghausen. Eine weitere Aufgabe hat Moritz Herbst für die neuen Emscherbrücher: „Sie sollen es den Bürgern einfacher machen, sich mit ihrer Heimat zu identifizieren. Der ideelle Wert der Pferde für die Kommunen ist kaum zu überschätzen.“

Nina-Maria Haupt