Rezension

Ein Gauner seiner Zeit

1. November 2014 | Gesellschaft Kultur

Die Geschichte spielt vorwiegend im Deutschland zwischen Krieg und Kriegsende. Die Leser werden auf keiner Seite des 221 Seiten langen Buches daran zweifeln, dass Johann Bos einen Charakter und eine Persönlichkeit hat, die ihn zu allen Zeiten zum Kriminellen hätten werden lassen. Aber zu keiner anderen Zeit als zwischen den 40-er und 50-er Jahren wäre er mit seiner Masche so erfolgreich gewesen.

Zwischen den 20-er und 50-er Jahren

In seiner Goldstein-Trilogie (Goldstein heißt der Ermittler) „Franzosenliebchen“, „Goldfasan“ und „Persilschein“ lässt der in Herne lebende Zweyer seine Kriminellen im Ruhrgebiet der 20-er Jahre, des Dritten Reiches und der unmittelbaren Nachkriegszeit agieren. Nun hätte man erwarten können, dass der Autor in der Zeitschiene wieder einen Sprung nach vorne macht und sich den 60-er, 70-er oder 80-Jahren im Ruhrgebiet zuwendet. Oder dass er den historische Bezug - wie eine Masche - ganz fallen lässt. Doch die Neuerscheinung spielt zwischen den 20-er und 50-Jahren, wobei der 1912 geborene Bos in den ersten Jahrzehnten seines Lebens das ausbrütet, was er nach 1945 im großen Stil realisiert.

Zwei Handlungsstränge

Der Roman verfolgt zwei Handlungsstränge. Die erste Ebene beschreibt einen Strafprozess in Arnsberg von der Eröffnung im August 1950 bis zum gesprochenen Urteil zwei Monate später. Das Gericht verhandelt alle Missetaten des Hochstaplers Johan Bos, dessen kriminelle Karriere damit begann, dass er als Lehrling im Metzgerberuf seinen Lehrherrn bestahl und damit endete, dass er Schmuck im großen Umfang stahl und als Hehlerware im Umlauf brachte. Und so blendet der Autor immer wieder zurück auf das Ereignis selbst, das zu dem Fall führte, der jetzt vor Gericht verhandelt wird. Und das ist der zweite Handlungsrahmen: Die kleinen Streiche und die schurkischen Betrügereien ziehen wie in einer Nummernrevue an uns vorbei.

Mit seiner chamäleonhaften Verstellungskraft ist Bos äußerst erfolgreich, doch wäre er so clever, wie er sich gibt, ließe er sich nicht immer wieder erwischen. Wobei: Genauso oft wie er sich erwischen lässt, so oft kann er auch immer wieder entkommen. Bis auf das letzte Mal.

Zeitungsberichte als Quellen

Zweyer erzählt „die fast wahre Geschichte eines Lügners“. Sein Roman folgt, wie er in der „Nachbemerkung“ erläutert, „im Wesentlichen dem Prozess vor dem Landgericht Arnsberg, so wie sie die Gerichtsreporter wiedergegeben haben“. Prozessakten konnte der Autor nicht auswerten – sie existieren nicht mehr. Und so ergibt sich aus den Zeitungsberichten das Gerüst, das Zweyers mit den literarischen Mitteln eines Erzählers formt.

Er lässt eine Ganovenbiografie entstehen, die sich nur zu den Bedingungen der Nachkriegszeit entwickeln konnte. Herne war der Spielort der Goldstein-Trilogie und anderer Bücher von Zweyer. Doch auch in diesem neuen Werk kommt die Emscherstadt, in der Zweyer seit Mitte der 70-er Jahre wohnt, nicht zu kurz. Ein Kumpan hat Bos die Stadt empfohlen, dort könne man gutes Geld auf dem Schwarzmarkt verdienen. Im Stadtteil Baukau wohnt Bos bei den Redmanns zur Untermiete. Die Redmanns - selbst in allerlei Machenschaften verstrickt - vermieten Zimmer an junge Männer, die auf Zeche wohnen – die sogenannten „Schlafburschen“: „Badewannen gab es im ganzen Haus keine. Man wusch sich entweder am Waschbecken, jeweils auf halber Höhe bei den Toiletten zwischen den Geschossen, oder im Zuber, der in der Waschküche im Keller stand…“. Historisch bezeugte Verhältnisse, an die sich die älteren Leser gut erinnern werden.

An jedem Prozesstag versucht Bos das Gericht mit immer gleichen Ausflüchten zu manipulieren. Zunächst schiebt er seinen Mitstreitern die Tat in die Schuhe, dann spielt er auf eine psychische Krankheit an und auf die Tabletten, die er vergessen hat einzunehmen. „Das dürfen Sie, meine Herren nicht vergessen, wenn Sie über mich richten. Denn eigentlich bin ich völlig unschuldig, ein guter Kerl ….“ Zum Schluss unterstreicht er, dass er KZ-Häftling war, sehr wohl verschweigend, dass als Krimineller nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch dort eingebuchtet war. Aber das Erlebnis „Konzentrationslager“ bringt ihn auf eine Idee, die er nach Kriegsende in die Tat umsetzt.

Größter Hochstapler

Wie Bos weiß, warten zahlreiche Frauen aus der Naziprominenz auf ihre Männer, die noch in den Internierungslagern der Allierten sitzen. Wenn Bos auftaucht und einen schönen Gruß vom Mann im Knast ausrichtet, dann tauen diese wohlhabenden Frauen auf – und trennen sich zumeist bedenkenlos von ihrem Schmuck, mit dem Bos angeblich den Gatten auslösen will. Die Geschichte eines der größten Hochstapler der Nachkriegszeit strebt ihrem Höhepunkt zu. Sie erinnert ein wenig an den Roman „Hurrah, sie leben noch“ von Johannes Mario Simmel, in der es der Protagonist vom „Eierdieb zum Millionär“ brachte, aber zuletzt wieder landete, wo er angefangen hatte, nämlich ganz unten. Aber diese Geschichte war ja komplett erfunden – mal abgesehen davon, dass es diese Profiteure der Nachkriegswirren tatsächlich gegeben haben muss. Dank Zweyer ist es nun auch bewiesen.

Text: Horst Martens