Miriana Palermo und ihr Blindenführhund

Eine Frau zwischen zwei Welten

27. Februar 2018 | Freizeit Gesellschaft

Geübte Handgriffe

Ein dickes Stoffschwein trägt Fenja im Maul als sie durch die gemütliche Wohnung tapert. Mit gezielten Handgriffen zieht Miriana Palermo ihre Jacke an. Fenja ist bereit für ihren Arbeitseinsatz. Im Hausflur stülpt Miriana ihr das Führgeschirr über. Jetzt ist Arbeiten angesagt. Miriana muss zum Rathaus Wanne. Mit gehobenem Tempo geht es Richtung Bushaltestelle. Direkt an die Ampel führt Fenja ihre Besitzerin, damit sie nicht bei rot die Straße überquert. Beim Bus zeigt Fenja ihr den Eingang „Ist das der 23er?“, fragt die junge Frau den Fahrer und die beiden steigen ein.

„Ich hatte bei meiner Geburt strahlend blaue Augen. Alles war top“, berichtet die Studentin. Aber schnell verschlechterte sich ihr Zustand. Schon mit elf Tagen wurde sie zum ersten Mal operiert. Als sie etwa vier Jahre alt war, erblindete das rechte Auge. Links hatte sie noch Sehkraft. „Ich konnte eigentlich alles machen – außer den Führerschein.“ Aber es folgten mehr als 40 Operationen: „Deswegen musste ich auch so viele Schuljahre wiederholen. Ich lag eigentlich nur im Krankenhaus.“ Bei der letzten Operation war sie 21 Jahre alt: „Das Auge war so geschwächt,dass sich alles gelöst hat. Dann konnten die Ärzte nichts mehr machen.“

Zurück ins Leben

Was folgte, war eine Zeit der Trauer: „Ich habe fast nichts gemacht, habe mich zurückgezogen. Das Schlimmste war für mich, meine Mama nicht mehr zu sehen – und die Sonnenuntergänge.“ Die blindentechnische Grundausbildung des Berufsbildungswerks Soest hat Palermo immer mehr Selbstbewusstsein gegeben und sie zurück ins Leben geholt.

  • Miriana Palermo ist eine gemütliche Einrichtung in ihrer Wohnung wichtig. ©Frank Dieper, Stadt Herne

Angekommen an ihrem Praktikumsplatz zieht nicht nur Miriana ihre Jacke aus, sondern auch Fenja darf das Führgeschirr abnehmen. Eine Schale Wasser hat Kollege Dirk Stahl bereits auf den Boden gestellt. Für Miriana beginnt der Alltag: Telefonieren, E-Mails schreiben, Besprechungen. Fenja hat Pause: Sie liegt neben dem Schreibtisch und schließt die Augen.

Genaue Vorstellungen und ein verlässliches Gedächtnis

Seit knapp drei Jahren lebt nun Fenja bei ihr. Gemeinsam mit dem ausgebildeten Blindenführhund meistert sie ihren Alltag – wie jede andere Frau in ihrem Alter. Eingerichtet hat sie ihre Wohnung mit der Hilfe von Freunden und Familie, die ihr die Möbel beschrieben haben. „Ich habe ganz genaue Vorstellungen, und es muss alles so aussehen, wie ich es haben möchte.“ Momentan macht die Studentin ein Praxissemester bei der Stadt Herne. Ja, sie kann nicht jede Aufgabe erledigen. Aber die meisten. Mit Hilfe einer speziellen Braillezeile, einer Software und ihrem guten Gedächtnis arbeitet sie im Fachbereich Gesundheit sowie im Fachbereich Kinder-Jugend-Familie mit. Bald macht sie ihren Bachelor. „Ich möchte unbedingt arbeiten, lieber früher als später“, sagt sie. Aber etwas Angst habe sie schon, dass Arbeitgeber ihr aufgrund ihrer Blindheit keine Chance geben.

Einen Anruf muss Palermo heute noch tätigen. Die Nummer wurde ihr per Mail geschickt – eine Handynummer. Der Computer liest sie ihr vor. Palermo greift zum Telefon und tippt die Nummer ein. „Mist, das war falsch.“ Neuer Versuch – bis es klappt. Sie gibt nicht auf, bis das Telefonat getätigt wurde. Fenja stupst sie an. „Ach, Fenni, wir gehen ja gleich“, sagt die Praktikantin, fährt den Laptop runter und greift nach ihrer Jacke.

Dass Palermo den Großteil ihres Lebens sehend war, spielt heute auch noch eine große Rolle. „Ich bin so froh, dass meine Eltern so viel mit uns gereist sind. Ich habe schon viel von der Welt gesehen.“ Aber auch blind reist und fotografiert sie gerne: „Ich weiß ja noch in welcher Situation ich das Foto gemacht habe.“ Dass sie nach wie vor Kinobesuche liebt, ist für die ehemalige Schülerin des Berufskollegs für Blinde und Sehbehinderte in Soest selbstverständlich: „Vielleicht werde ich an der Kasse blöd angeschaut.

Aber das ist mir egal. Ich kann die Blicke ja eh nicht sehen.“ Bei Szenen, die sie nicht verstehen kann, hilft ihr Freund dann, indem er ihr einige Beschreibungen gibt. Beim Wing Tsun, einer chinesische Art der Selbstverteidigung, tobt sie sich zwei Mal die Woche aus. „Es macht richtig Spaß und wir sind eine coole Gemeinschaft.“ Wenn es zum Surfen auf den Baldeneysee nach Essen geht, kommt ihre tierische Begleiterin auch mit.

„Wir sind eins“

„Ich kenne die sehende Welt und die blinde Welt. Ich habe gelernt, meinen Tast-, Geruchs- und Hörsinn mehr zu nutzen“, erklärt Palermo. Und auch ihr Gedächtnis hat sich verbessert: „Ich muss mir alles merken. Wo steht was? Wie sind die Wege?“ Aber Fenja ist ihr bei alledem eine große Hilfe. Sie bringt sie sicher zum Bus, zum Einkaufen, zur Uni, zur Arbeit: „Durch Fenja bin ich frei.

Ich kann mein Tempo gehen. Muss mich nirgendwo einhaken. Wir bilden eine Symbiose. Wir sind eins.“

Zurück in der Wohnung mit den bunten Kronleuchtern und dem rustikalem Holztisch, kuschelt Miriana Palermo erst einmal ihren Hund. „Toll geführt hast du mich heute. Danke, Fenja“, sagt sie und gibt ihr einen Kuss, ehe Fenja sich wieder ihrem Stoffschwein zuwendet und sich auf ihr großes Kissen in der Ecke legt.

Momentan freut sie sich auf ihre nächsten Vorhaben: „Fallschirmspringen ist eines der großen Projekte. Ich möchte gern aus einem Flugzeug springen. Außerdem noch mit Delfinen schwimmen – auf jeden Fall irgendwo im Süden“, erzählt Palermo. Angst hat sie davor nicht. Denn eins ist für die lebensfrohe Frau klar: „Ich lasse mich nicht einschränken.“

Anja Gladisch