Glosse

Flagge zeigen!

22. Mai 2014 | Gesellschaft

Ich kann in einer solchen Situation nicht anders, als mir eine schimpfende Person im Feinripp-Unterhemd auf dem Sofa vorzustellen, zumindest, wenn es sich bei der Stimme um eine männliche handelt, was meistens der Fall ist. Es scheint so, als wolle jemand seinen Frust loswerden, hat aber, warum lassen wir mal dahingestellt, seine bessere Hälfte vorgeschickt. Die moderne Variante dieses Versteckspiels fordert das Internet geradezu heraus: Hier darf jederfrau und jederman in Foren, Gästebüchern und dergleichen wortschwallartig seine Verbalinjurien herausspeien, ohne mit Folgen rechnen zu müssen. Weil sie oder er sich hinter mehr oder weniger lustigen Pseudonymen wie "paulsodingen" oder "gelbecaprihose" verstecken. Inzwischen werden solche absender- und oft auch geistlosen sprachlichen Amokläufe von manchen Printmedien wie Leserzuschriften behandelt und auf Papier abgedruckt, natürlich anonym, Entschuldigung, pseudonym. Im weltweiten Netzkindergarten führt das dazu, dass viele Stammtischschreiber ermuntert werden, ihre Grenzen auszutesten. Normalerweise ignoriere ich solche Parolen nicht einmal, letztens musste ich aber lauthals lachen: Da wurde aus dem anonymen Dunkel jemand aufgefordert Flagge zu zeigen und sich zu bekennen. Meine Antwort wäre gewesen, wenn ich sie denn an jemanden hätte richten können: "Komm mal aus dem Gebüsch, ich versteh dich nicht!"

Christian Matzko