Flüchtlinge

Herzlich Willkommen!

27. Februar 2015 | Gesellschaft

Millionen Menschen sind auf der Flucht. Ihnen zu helfen, ist nicht nur die verfassungsrechtliche Pflicht der  Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die moralische Verpflichtung aller europäischen Staaten, die dazu imstande sind. Bemerkbar macht sich  die weltpolitisch instabile Lage auch in Herne, und zwar durch steigende Aufnahmezahlen. Waren es 2014 noch 319, wurde für 2015 bereits eine Steigerung um mindestens 70 % angekündigt, die aber nach aktuellen Prognosen schon als zu niedrig geschätzt gilt. Insgesamt halten sich in Herne derzeit 423 Flüchtlinge in städtischen Einrichtungen auf. Gemessen an der Einwohnerzahl entspricht das einem Anteil von noch nicht einmal 0,27 % der Herner Bevölkerung, eine Zahl, die trotz steigender Tendenz leicht verkraftbar sein sollte. Zumal viele Flüchtlingsfamilien in eigene Mietwohnungen umziehen. Nicht allen Asylbewerbern gelingt diese nahtlose Integration auf Anhieb – hier hilft der städtische Fachbereich Soziales mit den Sammelunterkünften, in denen diejenigen durch Sozialarbeit betreut werden, die sich wegen ihrer Herkunft nicht auf Anhieb in unserem Kulturkreis zurechtfinden. Auch hier zeigt die Intervention Erfolg: Im vergangenen Jahr sind 319 Flüchtlinge in die Unterkünfte eingezogen, davon haben 256 innerhalb des gleichen Jahres den Weg in die eigene Wohnung gefunden.

Hoffnung auf einen Neuanfang

Die Menschen kommen voller Hoffnungen nach Deutschland: Und zwar nicht auf die soziale Hängematte, wie oft boshaft und falsch behauptet wird, sondern auf Sicherheit vor staatlichen Übergriffen oder Terror und Krieg, unter denen viele in ihren Herkunftsländern leiden mussten, einer guten Schulbildung für ihre Kinder, die sie dort meist nicht bekommen haben, und fairen Arbeitsbedingungen, die sie ebenfalls nicht vorgefunden haben. Sie sind deshalb in der Regel bemüht, schnell deutsch zu lernen, um Anschluss an die Gesellschaft zu bekommen. Und sie haben meistens einen guten Grund, Asyl zu beantragen. Etwas mehr als 200.000 Flüchtlinge sind 2014 nach Deutschland gekommen, 48,5 % aller Asylanträge sind positiv beschieden worden, wie die Süddeutsche Zeitung Ende Januar berichtete. Auch die abgelehnten Asylsuchenden sind nicht automatisch Wirtschaftsflüchtlinge", sondern ihr Begehren ist teilweise aus formalen Gründen abgelehnt worden, weil sie etwa über einen sicheren Drittstaat eingereist sind, der dann für die Prüfung zuständig ist. Ein Blick auf die größte Gruppe unter den Flüchtlingen macht schnell anschaulich, wie groß die Not der Menschen ist: Was den 41.100 syrischen Asylsuchenden des vergangenen Jahres in ihrer Heimat widerfahren ist, lässt sich Tag für Tag in den  Nachrichten verfolgen. Überhaupt scheint der Gedanke absurd, ohne wichtigen Grund in eine ungewisse Zukunft zu fliehen, mit nicht mehr als den Dingen, die man mit Händen tragen kann.

Keine Flüchtlinge, aber auf der Suche nach Zuflucht

In einer ähnlichen Situation befinden sich auch die von vielen so bezeichneten Armutszuwanderer aus Südosteuropa. Dabei handelt es sich oft um Roma, die in ihren Herkunftsländern Bulgarien und Rumänien ebenfalls erheblichen Repressalien ausgesetzt sind. Diese Menschen sind aber keine Flüchtlinge, sondern genießen wie alle EU-Bürger ein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht in Deutschland. In ihrer Heimat hatten sie in der Regel keinen Zugang zum gesellschaftlichen Leben, ebenso wenig wie zum Arbeitsmarkt. Sie kommen deshalb meist mittellos bei uns an, nur mit der Bereitschaft, ihren Lebensunterhalt mit Arbeit zu verdienen. Da sie aber in den wenigsten Fällen über berufliche Fachkenntnisse verfügen, bleiben oft nur einfache Hilfsarbeiten, die entsprechend schlecht bezahlt werden. Ein Leben in prekären Verhältnissen ist daher auch hier meist vorprogrammiert. Ausgenutzt wird die Notsituation dabei noch von skrupellosen Wohnungsanbietern. Den Zuwanderern, die auf dem freien Wohnungsmarkt keine Chance haben, werden Übernachtungsgelegenheiten in baufälligen  Gebäuden zu Wuchermieten angeboten. Folge dieser gewissenlosen Geschäfte sind dann „Problem-Immobilien" wie sie auch in Herne vorgekommen sind, die es jedoch in vielen anderen Städten des Ruhrgebiets auch gibt. Das mag nicht zur Beruhigung der zu Recht empörten Anwohner beitragen, macht aber die Situation der Behörden deutlich, die nur unter bestimmten Bedingungen eine Handhabe gegen die Folgen dieser privaten Rechtsgeschäfte haben.

Die Roma – ein Volk ohne Heimat

Die Roma hatten einmal eine Heimat, im Westen des indischen Subkontinents. Von dort sind sie etwa 1000 n.Chr. von dem Feldherrn Mahmud ben Ghazna verschleppt worden. Über zahlreiche Stationen führte sie ihr Weg nach der Gefangenschaft in Richtung Europa. Ab dem 15. Jahrhundert gibt es schriftliche Hinweise auf ihre Anwesenheit in Mitteleuropa. Dort kommen sie aber zu spät: Ländereien für Bauern sind restlos vergeben, die Arbeit im Handwerk ist in Zünften organisiert, die sie nicht aufnehmen. Selbstverständlich bekommen sie auch keinen Zugang zu Bildung. Sie müssen daher in Berufen arbeiten, die sonst niemand ausüben will. Sesshaft werden dürfen sie meist nicht. In den Herkunftsländern der heutigen Zuwanderer, Bulgarien und Rumänien, waren die Roma bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Sklaven von Großgrundbesitzern, den Bojaren und den orthodoxen Klöstern. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden sie ebenso wie die Juden verfolgt und getötet. So beschreibt der Pfarrer Dieter Herberth aus Rheinhausen, der in Rumänien aufgewachsen ist, die Geschichte der Roma. Herberth hat sich in Duisburg um die Menschen in dem aus den Medien bekannten Haus „In den Peschen" gekümmert, das als erstes symbolisch für die prekäre Wohnsituation stand. Im  sozialistischen Osteuropa erleben die Roma eine kurze Phase der Gleichbehandlung mit anderen Bevölkerungsgruppen, aber mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft nach dem Ende des Ostblocks sind viele wieder ohne Arbeit und Perspektive geblieben. Bereits damals setzte eine Wanderungsbewegung ein, die mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens in die EU und die damit verbundene Freizügigkeit einen neuen Schub erhalten hat.

Warum Willkommenskultur?

Was soll eine aufnehmende Gesellschaft mit den Flüchtlingen und Zuwanderern tun, die beispielsweise in Herne Zuflucht suchen? Oft handelt es sich nicht um die gut ausgebildeten Ärzte, Ingenieure und Fachkräfte, die zu uns kommen. Aber befreit uns das von der Verpflichtung, integrative Maßnahmen zumindest zu versuchen? Sie werden nicht in jedem Fall funktionieren, denn dazu sind manche Flüchtlings- oder Zuwanderergruppen zu sehr in ihren kulturellen Strukturen verhaftet. Aber viele lassen sich erreichen, die bereit sind sich auf unsere Gesellschaft und Kultur einzulassen. Das ist nicht einfach, weil viele dieser Menschen staatliche Maßnahmen nur als Mittel der Unterdrückung und nicht als Hilfestellung kennen. Deshalb muss zunächst durch eine ausgeprägte Willkommenskultur Vertrauen geschaffen werden. Abschließend noch ein Hinweis für die Zweifler aus den Reihen der Retter des Abendlandes: Die Sinti in Deutschland sind oft katholisch. Ebenso wie die Syrer, die hier Zuflucht suchen, oft Christen sind. Letztendlich kann aber die religiöse Grundhaltung dabei  keine Rolle  spielen.

Text: Christian Matzko