Fotodesign-Studenten machen sich ein Bild von Herner Stadtteilen

Junge Sichtweisen von außerhalb

24. Juli 2017 | Gesellschaft Kultur

Auf der Suche nach dem Thema

Wie Jennifer waren in den Monaten Mai und Juni ein Dutzend anderer Fotodesign-Studenten der Fachhochschule Dortmund unterwegs auf der Suche nach „ihrem" Herner Stadtteil-Thema. Skurrilität stand nicht unbedingt auf ihrer Agenda. Vorgegebene Kriterien für die Studierenden waren: Besonderheiten der jeweiligen Stadtteile Hernes unter dem Gesichtspunkt „Zusammenleben", Nachbarschaft, kulturelle Vielfalt und Heimat.

Sie sind Teilnehmer des Studienganginternen Fotowettbewerbs „Vier Stadtbezirke Hernes". Das Ergebnis soll im vierten Quartal in unserer Stadt in einer Ausstellung präsentiert werden, außerdem ist eine Dokumentation aller Arbeiten geplant. Ferner werden Preisgelder ausgelobt. Die Kulturinitiative Herne fördert das Projekt mit 5.000 Euro.

  • Einblicke in das Seminar des Fachbereichs Design mit Kai Jünemann und Thomas Schmidt. ©Thomas Schmidt, Stadt Herne

Weg vom Postkartenklischee

Einer der Initiatoren ist Prof. Kai Jünemann, der längere Zeit als Werbe- und Modefotograf in Paris die Haute Couture ablichtete und jetzt Hochschullehrer in Dortmund mit Schwerpunkt „Werbefotografie" ist. Was nicht bedeutet, dass Herne nun auf den Schautisch der Werbefotografie gelegt wird. Im Gegenteil. Es geht gerade darum, die „ewigen Postkartenansichten" von Schloss Strünkede und dem Rhein-Herne-Kanal bei Sonnenuntergang zu meiden. Dieses Ziel betont der Herner Stadtfotograf Thomas Schmidt, der das Seminar mitleitet. Jünemann und Schmidt haben „vor gefühlt 30 Jahren" selbst am Dortmunder Max-Ophüls-Platz studiert.

Nun sitzen die Studenten im Seminarraum und einer nach dem anderen trägt den Zwischenstand seiner Arbeit vor. Die einen stehen noch am Anfang, die anderen können erste Ergebnisse vorlegen. Ein Wohnprojekt für Demenzkranke will Karim Happer in Angriff nehmen. Ein „diffiziles Thema", schon beinah fotografisches Neuland. Und sehr schwierig, jemanden dafür zu finden. „Viel läuft über Vertrauen", meint seine Kollegin Eva Escosa.

Der Bandido, der Tauben züchtet

Seminartische werden zu einer großen Arbeitsfläche zusammen gerückt. Wilke Maiborg legt seine Fotodrucke aus, mehrere Dutzend Bilder. In den letzten drei Wochen hat er mehrmals einen Taubenzuchtverein aufgesucht. Er zeigt auf eine Person mit muskulösen Oberarmen. „Das ist der Bandido, der Tauben züchtet." Eva Escosa: „Hat der eine zarte Seele?" „Nee", antwortet Maiborg, „der hat das Hobby von seinem Vater geerbt."

Herne. Ruhrpott. Taubenzucht. Werden da nicht wieder die bekannten Klischees bemüht? Maiborg ist sich dieser Gefahr bewusst. „Ich will mit den Vorurteilen brechen, obwohl ich sie selber transportiere." Ein Balanceakt. „Die Geschichte der Menschen steht im Mittelpunkt", fügt Maiborg hinzu. „Da stirbt jede Woche ein Taubenzüchter. In 20 Jahren ist der Sport tot. Total spannend, ein Zeitzeugnis zu erstellen."

Zwischenmomente

„Wenn du einen Auftrag von einem Magazin hättest, dann hättest du einen Top-Job gemacht", lobt Jünemann. Doch wer bei ihm studiert, muss mehr abliefern als nur Oberfläche. Der Professor pickt mehrere Fotos heraus: „Dieses Bild (Mann mit Taube) ist total schön … aber bei diesen anderen Bildern passieren Sachen, die auf einer
anderen Ebene arbeiten. Du bringst Momente, die ich nicht direkt erwarte."
„Zwischenmomente", präzisiert Eva.

Leonie Scheufler war bei Insert Coins, einem Verein, der sich der Leidenschaft von Retro-Computerspielen verschrieben hat – da fiept der Amiga, der Atari ST und der legendäre Commodore 64. Die Faszination, die von der Optik der Altgeräte ausgeht, lässt sich gut ins Bild rücken. „Nimm dir ein Makro und geh ganz nah an die Monitore ran", empfiehlt Jünemann. Schmidt hingegen schlägt vor, mit den Spiegelungen der Spieler in den Monitoren weiter zu arbeiten.

Wohnzimmer mit Sarg

Genau an der Grenze zwischen dem Herner Stadtteil Röhlinghausen und Gelsenkirchen wohnt der Künstler Helmut Moldenhauer, den Jana Zünkeler besucht hat. Ein Original, dessen Wohnzimmer eine wahre Fundgrube ist, vollgestellt mit Kunstwerken und skurrilen Objekten. Blickfang in seinem überfüllten Zimmer: ein Sarg. Die Fotos sind noch zu überladen. Die Seminarleiter wollen Janas Interpretation dieses ausgefallenen Ortes sehen.

Leben am Herner Meer

Im Herner Meer, einer Bucht des Rhein-Herne-Kanals, campieren Menschen, grillen Fleisch, liegen auf Decken, rauchen Zigaretten. Oskar Schlechter hat vor, die Welt der Logistik und das Freizeitverhalten in Fotos zu sammeln und zu komprimieren.

Das städtische Jugendzentrum Am Freibad will Cornelius Mühlenbach fotografieren. „Ich bin davon überzeugt, dass man an die Kinder rankommt, indem man Nähe aufbaut." Und damit das funktioniert, hat er sich sogleich als Mitarbeiter anstellen lassen.

Leere Lehrschwimmbecken

Die afrikanische Community hat Aleksandra Vidyakina im Fokus. Sie setzt auf Schwarzweiß – was ihren Fotos, in denen Afrikaner bei Vereinsaktivitäten und -festen aufgenommen wurden, eine eigentümliche Wirkung gibt. Einen Imker hat Tim Bedecke besucht. Tausende Bienen schwirren um einen Mann im Schutzanzug. Aber Bedecke hat seine Kamera auf die eine Biene fokussiert, die sich auf dem Armschutz nieder gelassen hat. Leere Lehrschwimmbecken sind das Thema von Christian Huhn. Als Gegenüberstellung denkt er an Portraits der Schwimmer. Damit will er die verschwindenden Bäder thematisieren. 79 Jahre alt ist die griechische Gastwirtin Sofia, die den Alex-Grill in Röhlinghausen betreibt. Ihr runder Rücken erzählt davon, wie sie Tag für Tag das Gyros schneidet und die Wurst brät. An der Theke liegen CDs zum Verkauf – Lieder ihres Sohnes, der als Schlagersänger Chris Alexandros tourt. Diese Geschichte erzählt Eva Escosa.

Den Revierpark Gysenberg will Nina Brinkmann „observieren". In einem großen Herner Schrebergarten war Lukas Zander unterwegs. Noch sind die Themen nicht endgültig festgelegt. Es handelt
sich um einen Zwischenstand. Die fotografische Herangehensweise, die Bildsprache und die Präsentationsform stehen auf dem Prüfstand.

Was hat Herne davon?

Der Zugewinn für die Stadt Herne besteht darin, „eine frische, junge Sichtweise von außen zu erhalten", sagt der Herner Stadtfotograf Thomas Schmidt. „Studenten machen einen Step in die Nachbarstadt und schauen, wo sich Geschichten in den Stadtteilen versteckt halten, die man herauskitzeln kann." Neue Sichtweisen können sich offenbaren. „Ich hoffe auf  eine interessante, qualitativ hochwertige und bunte Palette von Arbeiten, im Idealfall kommen Geschichten heraus, die visuell neu aufgeschlossen werden."

Horst Martens