Regionalverband Ruhr und Literaturbüro Ruhr zeichnen Lütfiye Güzel aus

Literaturpreis Ruhr wird zum ersten Mal in Herne verliehen

24. Oktober 2017 | Gesellschaft Kultur

Literaturhaus-Chefin Elisabeth Roettsches freut sich, dass nach 32 Jahren unsere Stadt im literarischen Fokus steht. "Für die Veranstaltung besteht ein ganz großes Interesse", sagt Roettsches. "Wir haben Anmeldungen aus dem gesamten Ruhrgebiet vorliegen."

Freitag, 3. November, 19 Uhr: 32. Literaturpreis Ruhr, Literaturhaus Herne, Bebelstraße 18. Infos und Tickets: www.literaturhaus-herne-ruhr.de

Der Hauptpreis des Literaturpreises Ruhr 2017 geht an die Autorin Lütfiye Güzel. Die Tochter eines türkischen Stahlarbeiters wuchs in Duisburg-Marxloh auf und lebt heute in Duisburg und Berlin. Seit 2012 hat sie fast ein Dutzend schmale Lyrik- und Prosabände veröffentlicht, die meisten im Selbstverlag. Ihre Texte sind lakonische Momentaufnahmen und scharfsinnige Alltags-Beobachtungen. Die Jury des Literaturpreises Ruhr würdigt mit Lütfiye Güzel „eine Sprachspielerin, die ihre Arbeit ernst nimmt". Zu den Preisträgern gehörten bisher u. a. Ralf Rothmann und Marion Poschmann, Frank Goosen und Fritz Eckenga, Liselotte Rauner und Jürgen Lodemann.

Mit dem Förderpreis des Literaturpreises Ruhr werden Doris Konradi aus Köln für ihre Erzählung „Der Maulwurf" und Sascha Pranschke aus Dortmund für seinen Text „Reparaturen" ausgezeichnet. Die Jury wählte die beiden Beiträge unter 215 Einsendungen zum Wettbewerbsthema „Das Klopfen an der Tür" aus. Der Förderpreis ist mit je 2.555 Euro dotiert.

  • Lütfiye Güzel wird mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. © RVR.
Der Literaturpreis Ruhr wird jährlich vom Regionalverband Ruhr (RVR) vergeben und vom Literaturbüro Ruhr organisatorisch und konzeptionell betreut.

Zu den Autoren: 

Lütfiye Güzel (geb. 1972) entschied sich nach einigen Semestern an der Universität fürs Schreiben. In ihrem Selbstverlag Go-Güzel-Publishing hat sie bisher u. a. veröffentlicht „Herz-Terroristin" (Gedichte), „Let’s Go Güzel!" (Gedichte und Kurzgeschichten), „Pinky Helsinki" (Notizen), „Hey. Anti-Roman" und „Oh, No!" (Novelle). Die Autorin sucht den direkten Kontakt zum Publikum in Performances und Workshops, vorzugsweise mit Schülern.

Lütfiye Güzel ist eine Außenseiterin des Literaturbetriebs. Ihre Texte handeln vom eigenen und fremden Leben, ihr Formenspektrum reicht von der Prosa über das Langgedicht und das literarische Selbstgespräch bis zu aphoristischer Kurzlyrik. Ihre Sprache ist knapp und präzise – was Hintersinn nicht ausschließt. Der Ton ist oft melancholisch, aber nie wehleidig. Manches erinnert an Charles Bukowski und anderes an Ingeborg Bachmann.

Vor allem ist es ein ganz eigener Ton, der Lütfiye Güzels Literatur auszeichnet – so die Jury. Ein Ton, der vielleicht im Ruhrgebiet mit seinen Traditionen, Verwerfungen und Umbrüchen besonders gut gedeihen konnte.

Doris Konradi (geb. 1961) ist Diplomvolkswirtin und seit vielen Jahren Mitglied im Literatur-Atelier Köln. Sie hat bisher einige Romane veröffentlicht sowie diverse Texte in Zeitschriften und Anthologien. Sie war 2016 die erste Hamburger Stadtschreiberin.

In ihrer Geschichte „Der Maulwurf" erzählt Doris Konradi von einer Studentin in Bochum, die sich von einem alten Nachbarn beobachtet fühlt. In der Straße wird er nur „der Maulwurf" genannt, weil er tagsüber nie seine Wohnung verlässt und nur nachts lebt. Die Ich-Erzählerin bekommt jedoch diesen Konszczinsky, einen ehemaligen Bergmann („alter polnischer Bergarbeiteradel") nie zu Gesicht, obwohl sie immer wieder an die Tür des alten Mannes klopft.

Doris Konradi schildert stilistisch elegant und sensibel diese subtile Bedrohungssituation, in der jedoch äußerlich nichts wirklich Bedrohliches geschieht, und zeichnet mit feinen Strichen eine atmosphärisch dichte Momentaufnahme aus dem Ruhrgebiet.

Sascha Pranschke (geb.1974) schreibt Romane und Erzählungen. Er arbeitete als Journalist und Texter, leitete das Junge Literaturhaus Köln und lebt heute als freier Autor und Dozent für Kreatives Schreiben in Dortmund.

In seiner Erzählung „Reparaturen" inszeniert er auf ebenso originelle wie spielerische Weise das diesjährige Thema „Das Klopfen an der Tür" als eine surreal anmutende feindliche Übernahme. Berger, unscheinbarer Vertreter für Tiefkühlkost, klopft an Jablonskys Tür, denn die Klingel ist defekt. Am nächsten Tag erscheint Berger überraschend wieder bei Jablonsky, um – allerdings vergeblich – die Klingel zu reparieren. Dabei verletzt er sich an der Hand, Jablonsky verarztet ihn und kocht ihm Kaffee. Berger stellt fest, dass Jablonskys Wasserhahn tropft, und erscheint am nächsten Tag wieder, um ihn zu reparieren, setzt aber lediglich die Küche unter Wasser.

Schließlich übernachtet Berger aufgrund eines „Notfalls" bei Jablonsky und klopft am nächsten Abend erneut an der Tür, um sich vollends in Jablonskys Leben hineinzudrängen.