Wie Herner Kinder anno 1900 die Schulbank drückten

Mit Fleißkärtchen und Schiefertafel

27. Februar 2018 | Freizeit Gesellschaft

  • Peter Schneller, der ehemalige Leiter des Schulmuseums Bochum, erklärt das historische Klassenzimmer. @ Thomas Schmidt, Stadt Herne

Zeitreise ins Ruhrgebiet der Kaiserzeit

Die Kinder aus der Klasse 3b der Schiller-Schule haben sich gemeinsam mit ihren Lehrerinnen auf Zeitreise begeben. Und Sozialpädagoge Peter Schneller bemüht sich, den strengen Lehrmeister zu geben. Heute steht das Leben der Ruhrgebiets-Kinder vor über 100 Jahren auf dem Stundenplan. Wie lernten sie? Welche Aufgaben hatten sie im Haushalt? Und mit welchen Strafen erzogen die Lehrer damals ihre Schüler?

Die Kinder aus der Klasse 3b geben sich Mühe: Sie zeigen auf, den Arm im rechten Winkel sie stehen auf, wenn der Lehrer sie drannimmt und stehen stramm neben der Holzbank. Jeder Satz endet mit einem „… Herr Lehrer“. Naja, fast jeder Satz. Und manchmal tun die Drittklässler es doch: Sie bleiben beim Sprechen sitzen, recken ihre Arme in die Luft und schnipsen, wenn sie etwas sagen wollen.

Tintenfass und Gänsefeder

Manche der alten Regeln muten auf den ersten Blick willkürlich und skurril an: Die Tafeln mussten in einem 35-Grad-Winkel auf dem Tisch liegen. Linkshänder hatten keine Chance, so zu schreiben. Sollten sie auch nicht, erklärt Schneller. Denn wenn sie später Schreibfedern benutzten, mussten die von links nach rechts über das Papier gezogen werden. Versuchte man sie mit der Linken Hand zu führen, blieben sie im Papier hängen. Bis ins 17. Jahrhundert schrieben die Kinder noch mit einer angespitzten Vogelfeder, in späteren Jahrhunderten mussten sie lernen, mit einer stählernen Schreibfeder und Tintenfass umzugehen.

Warum die Kinder „etwas auf dem Kasten“ haben

Wer besonders gut war, bekam früher ein Fleißkärtchen. Da die Lehrer bei bis zu 80 Kindern in der Klasse aber nicht genügend Karten hatten, haben sie sich mit Kreidestrichen beholfen, die sie den Kindern auf den Federkasten gemalt haben. Kam ein Kind nach Hause und konnte seinen Eltern mehrere Striche für richtige Antworten vorweisen, hatte es ganz schön was auf dem Kasten.

Erziehung guter Untertanen

Da die Schule eine Erziehungsanstalt für gute Untertanen und brave Soldaten war, ging der Erziehungsauftrag eines Lehrers über Lesen, Schreiben und Rechnen hinaus. Jeden Tag kontrollierten die Schulmeister, ob die Kinder sauber waren, ob der Matrosenanzug und die Schürze über dem Kleid richtig saßen.

Die Schürzen waren Pflicht, denn kaum ein Kind konnte sich mehrere Kleider leisten. Bitter arm waren die Menschen damals im Ruhrgebiet, wie man an alten Rechenbüchern erkennen kann. Ein Ei zum Beispiel wurde in den Aufgaben mit 80 Pfennig berechnet – bei einem durchschnittlichen Einkommen von 80 Mark pro Monat für eine Familie. Um sich zu ernähren waren die Familien darauf angewiesen, Obst und Gemüse in ihrem Garten zu pflanzen, Hühner, Gänse und Schweine zu halten.

Kinderarbeit war selbstverständlich

Dabei mussten die Kinder natürlich mitarbeiten. Der Tag eines Schülers begann meist um fünf Uhr früh mit Arbeit auf dem Bauernhof der Eltern. Dann ging es in die Schule. Mittags konnten die Kinder zuhause essen und die Tiere füttern. Nachmittags gab es noch zwei Stunden Unterricht, dann gingen die Kinder nach Hause, wo sie sehnlichst erwartet wurden – um endlich auf dem Hof mitzuhelfen.

Aus Armut wurden auch Tornister nicht neu gekauft, sondern in der Familie weitergegeben. Musste ein Junge dann mit der Mädchen-Schultasche seiner Oma losziehen, hat er sich ähnlich geschämt, wie das heute ein Junge mit Barbie-Tornister täte. Unter dem Arm trugen die Kinder im Winter noch einen Holzscheit, um den Kanonenofen in der Ecke des Klassenzimmers zu beheizen.

Bis vor drei Jahren stand das Schulmuseum mit Tafel und Ofen noch in Bochum, dann wurde es von der Stadt abgegeben. Das Emschertalmuseum holte das historische Klassenzimmer als Dauerleihgabe nach Herne.

Nina-Maria Haupt