Fußball

„Talent alleine reicht nicht“

27. Februar 2015 | Freizeit Gesellschaft

Sie suchen ihn alle, den „kleinen Messi" oder den „Mini-Ronaldo". Von Leipzig bis Passau, von Kiel bis in den tiefsten Westen schicken Fußballvereine ihre Scouts quer durch die Republik. Denn das „Talente-Halali" wird immer engmaschiger, die Jagd auf kickende Kinder immer intensiver. Auch in Herne, seit August 2002 einer von 366 Stützpunkten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in der gesamten Republik. Obwohl hier alles eine Spur ruhiger, familiärer zugeht. Denn: Die Herner Talentförderung kümmert sich um die U12/13-Kicker, die mit ihren elf oder zwölf Jahren (noch) nicht im Visier der Talentjäger sind.

Eine Pleite setzte das Signal: Die verkorkste Fußball-EM 2000 ließ beim DFB die Alarmglocken schrillen. „Wir müssen uns mehr um eine flächendeckende Nachwuchsarbeit kümmern", hieß die Maxime, die ab Sommer 2002 umgesetzt wurde. Seitdem bereiten sich auch im Herner DFB-Stützpunkt junge Talente auf eine möglichst große und lukrative Zukunft auf dem grünen Rasen vor. 16 Spieler, darunter zwei Torleute, eines jeden Jahrganges haben Christian Broos und Michael Hubner unter ihren Fittichen. Die beiden Ex-Profis, Inhaber der Trainer-B-Lizenz, werden dabei von Rüdiger Döring unterstützt, der für den Fußballkreis Herne die Talentsichtung und -förderung koordiniert. Ihre Aufwandsentschädigung zahlt der DFB, bei Döring der Fußballkreis.

  • Uwe Wandt und Rüdiger Döring in Aktion bei der Talentsichtung. ©Thomas Schmidt, Stadt Herne

 

Miro Klose blieb „unerkannt"

Einmal in der Woche, natürlich für 90 Minuten, wird trainiert. Im Sommer auf dem Kunstrasen des BV Herne-Süd am Südpool, im Winter in der Sporthalle der Erich-Fried-Gesamtschule. Das Ziel: „Wir wollen das einzelne Kind fördern, nicht die Mannschaft", so Broos, seit gut acht Jahren Stützpunkttrainer des DFB. Und Rüdiger Döring ergänzt: „Kein Talent soll durch unser Netz rutschen." Übrigens: Der letzte kickende Superstar, der vor seiner Profikarriere nicht von den DFB-Spähern gefunden wurde und in diversen Auswahlmannschaften kickte, war Miroslav „Miro" Klose, der heute 36 Lenze zählt!

Für das Training in den Stützpunkten gibt es einen DFB-Leitfaden, „den wir auch zu 70 Prozent befolgen", schmunzelt Christian Broos. Ballannahme und -mitnahme, Technik, Schnelligkeit, Koordination und Zweikampf-Schulung stehen auf dem Trainingsplan. Viel wichtiger aber: „Wir wollen Spaß am Fußball vermitteln", so Döring, der „seine" Schützlinge in einem „goldenen Lernalter" sieht. In regelmäßigen Vergleichsturnieren mit anderen Stützpunkten, bei der Westfalen-Meisterschaft in der Sportschule Kaiserau oder beim U12-ARAG-Cup wird das individuell antrainierte Können dann auch als Mannschaft umgesetzt.

Leuchtende Augen im 4-Sterne-Trikot

Ebenso wichtig wie das Können auf ist das Verhalten neben dem Platz. Broos: „Die Jungs müssen charakterlich in Ordnung sein. Auf Fair-Play, Pünktlichkeit sowie das An- und Abmelden legen wir viel Wert!" Und wenn nicht? „Dann gibt es erst die gelbe und dann die rote Karte. Denn nur Talent zu haben reicht nicht!" Und die stolzen Eltern, die so manchem Vereinstrainer im Jugendbereich gerne einmal die Leviten (Motto: „Mein Kind muss immer spielen!") lesen? Rüdiger Döring: „Wir nehmen die Eltern mit ins Boot. Aber sie müssen akzeptieren, dass ihr Junge auch mal auf der Bank sitzt oder auf einer anderen Position als in seinem Heimatverein spielt. Denn wir wollen nicht nur fördern, sondern auch fordern". Klare Regeln, die Konflikte schon im Vorfeld bändigen. Und mit ihren 16 Jungs haben die Trainer überhaupt nie ein Problem. „Sie sind alle stolz darauf, bei uns zu spielen. Und wir vermitteln ihnen auch, dass dies etwas Besonderes ist", so Christian Broos, der von leuchtenden Augen erzählt, wenn seine Talente die T-Shirts und Trikots mit den vier Sternen und dem DFB-Logo überziehen.

Zur Person 

Christian Broos

(45) ist gebürtiger Bochumer und wohnt zurzeit in Eickel. Der Vater von zwei Kindern arbeitet als Prozess-Optimierer bei Bosch. Seine Karriere als Fußballer begann beim VfL Bochum 1848, für den er 1985 mit der B-Jugend den Deutschen Meistertitel gewann. Nach seiner aktiven Laufbahn erwarb er die die Trainerlizenz (C und B) und war u. a. als Co-Trainer beim Wuppertaler SV tätig. Seit 2007 ist Christian Broos Trainer im Herner DFB-Stützpunkt. Sein Motto: „Ohne Fußball geht es gar nicht".

Rüdiger Döring

(46), Angestellter der Stadt Herne im Fachbereich Sport, ist verheiratet und Vater eines Kindes. Aktiv hat er in der Kreisliga gespielt, wechselte aber bereits 1998 auf die Trainerbank zahlreicher Jugendmannschaften, u. a. beim SC Westfalia und beim DSC Wanne-Eickel in den höchsten Juniorenklassen. Zwischen 2006 und 2012 war er Trainer im DFB-Stützpunkt, jetzt ist der C-Lizenzinhaber für den Fußballkreis Herne zuständig in der Talentsichtung und -förderung. Sein Motto: „Mir hat die Jugend immer besonders am Herzen gelegen".

Damit in unserer Stadt kein Talent durchs Netz flutscht, sichtet Rüdiger Döring schon bei den Grundschul-Sportfesten. Dazu kommt ein regelmäßiger Austausch mit den Vereinstrainern. Ob vom DSC oder vom SV Wanne 11, ob vom SC Westfalia oder vom VfB Börnig, ob von BG Schwerin oder dem FC Frohlinde – „wir nehmen die Heimtrainer immer mit ins Boot und geben ihnen auch bei regelmäßigen Infoabenden Trainingshilfen". Entwächst ein Talent dem U13-Jahrgang, sorgen die Herner Trainer für die nächsten Schritte auf den Stufen nach oben. Dann geht es zum Stützpunkttraining nach Bochum, Gelsenkirchen oder Recklinghausen (U14, C-Junioren), wobei eines ganz wichtig ist: „Bei allem sportlichen Ehrgeiz hat die Schule immer Vorrang. Daher ziehen wir die Eltern in unsere Entscheidung immer mit ein." Schafft es der junge Kicker auch in der U14, kann die nächste Stufe des zukünftigen Fußball-Profis gezündet werden – die Aufnahme in ein Leistungszentrum oder eine Eliteschule des Fußballs bei den Reviergrößen Schalke, Dortmund oder Bochum.

„Bessere Motivation gibt’s nicht"

Doch bis dahin ist es für die Herner Talente ein ganz, ganz schwieriger und dorniger Weg. Aktuell hat es einer (fast) geschafft: Tim Wiesner, Jahrgang 1996, fiel den Herner Trainern beim Schulsport auf, nahm dann am Stützpunktraining teil und ist heute Torwart in der A-Junioren-Bundesliga im Trikot von Fortuna Düsseldorf. Christian Broos erinnert sich: „Bei ihm hat aber auch alles gestimmt: Können, Ehrgeiz, Auftreten auf dem Platz, die Familie, die Schule." Wiesner gehörte nie zu denen, die im Herner Stützpunkt mal aussortiert werden mussten. „Jemandem zu sagen, dass er nicht mehr dazugehört, dass es sportlich nicht reicht, tut schon weh. Das ist für mich die schwierigste Aufgabe als Stützpunkttrainer", so Christian Broos. Viel lieber ist ihm da die wöchentliche Arbeit auf dem Platz, die, geht es nach seinen Schützlingen, immer viel zu kurz ist: „Können wir nicht auch sonntags trainieren?", fragen sie oft und beweisen damit, dass in Herne das gesteckte DFB-Ziel erreicht wird: „Eine bessere Motivation für ambitionierte Talente als das Stützpunkttraining gibt es nicht!"

Text: Jochen Schübel
Fotos: Thomas Schmidt / Jochen Schübel