Start-ups – mit einer guten Idee in die Selbstständigkeit

Vom Dachboden ins Innovationszentrum

24. Februar 2017 | Gesellschaft Kultur Wirtschaft

"Die WFG hat mir Ängste genommen."

Wie man sich als Gründer in Herne fühlt, verrät Annika Nimz (28), die im letzten Sommer den großen Schritt von der Arbeit als Illustratorin im Nebenerwerb zur Hauptberuflichkeit gewagt hat. Während ihres Illustrationsstudiums an der Ruhrakademie Schwerte und auch nach ihrem Diplom jobbte sie nebenher schon freiberuflich. Ihr Gedanke damals: "Okay, jetzt bist du selbstständig - google mal, wie das funktioniert! Wie mache ich das mit den Finanzen? Wie schreibe ich Rechnungen?" und stieß auf der Suche nach Antworten schnell auf die WFG – deren Angebote übrigens kostenlos sind. "Dort hat man mir sehr geholfen und auch Ängste genommen." Sie schrieb ein Unternehmenskonzept und kam so während ihrer kurzen Arbeitslosigkeit zu einer Finanzspritze für Erstanschaffungen und das sog. Einstiegsgeld. Vieles lässt sich natürlich auch im Netz recherchieren, aber "auch wenn die stimmen mögen, muss das ja nicht unbedingt dein Weg sein", sagt Annika. Die persönliche Beratung der WFG war ihr wichtig.

Startups03©Sascha Rutzen Annika Nimz ist diplomierte Illustrorin. © Sascha Rutzen

Unterstützung gibt es – man muss sie sich aber holen

"In meinem Studium wurde ich fast gar nicht auf das Beruf vorbereitet. Man weiß zwar, was ein gutes Portfolio ausmacht, aber nicht, wie man einen Geschäftsbrief schreibt", sagt Nimz. Ihr Rat lautet daher, sich früh genug umzuschauen und vielseitig zu informieren: "Wenn man sucht, dann kriegt man Unterstützung. Aber man muss sie sich holen." Und konkret für alle jungen Künstler und Kreativen in Herne: "Sich mit 22 nicht auf den Hintern setzen, sondern Projekte anfangen und vor allem durchziehen - selbst, wenn du Zweifel daran hast, mach es trotzdem weiter. Du lernst dadurch so viel!"

"Andere Leute haben Wochenenden."

Und wie lebt es sich heute eigentlich in der Selbstständigkeit? Annika: "Alles ist noch schwer für mich, aber vieles ist schon leichter geworden. Ich bin souveräner und nicht mehr so nervös, wenn ich mein Portfolio herumschicke." Und weiter: "Ich werde durch Illustration nicht reich, aber ich kann davon leben." Und das ist doch schon viel wert, wie ich finde. Wie teilt Annika sich Freizeit und Arbeit ein? "Ich habe einen sehr zerstückelten Arbeitsalltag", sagt sie. "Manchmal arbeite ich bis tief in die Nacht hinein, aber ich lege meine Pausen auch anders. Ich muss keine acht Stunden absitzen." Für ihre Branche ist die Präsenz auf Messen und Conventions wichtig – da muss sie schon mal mehrere Tage durcharbeiten. "Andere Leute haben Wochenenden!", lacht sie.

Ihr Wunsch wäre es, ein illustriertes Kinderbuch im Steampunk-Stil zu veröffentlichen.

Erste Anlaufstelle für Gründer

Bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Herne (WFG) treffe ich Susanne Stegemann, Teamleiterin des seit 2008 vom Land zertifizierten Startercenters. Das Startercenter ist eine Anlaufstelle für alle, die sich bei ihrer Existenzgründung beraten lassen wollen - ganz gleich, ob es um Steuern, Kredite, Personal oder Gesellschaftsformen geht. Im Einzelgespräch, bei Seminaren oder Messen wird Fachwissen vermittelt und Kontakt zu Experten hergestellt.

"Wenn die Arbeitsmarksituation entspannt ist, haben wir weniger Anfragen", sagt Stegemann. Das überrascht mich, aber es macht Sinn - denn persönliche Krisen wie z.B. eine Kündigung bringen zum Umdenken und führen zu Chancen, "die jemand ansonsten nie ergriffen hätte", erklärt Stegemann.

Trend: Nebenerwerb in der Selbstständigkeit

Der Trend in Herne geht zum Nebenerwerk in der Selbstständigkeit, denn viele "wagen sich nicht, ihren regulären Job an den Nagel zu hängen. So ein reguläres Einkommen ist schon gut", sagt Stegemann. Viele gingen dennoch aufs Ganze: "Die probieren maximal ein Jahr und dann gründen die voll. Da weiß ich genau, dass die in zwölf Monaten wieder aufschlagen!" Knapp 300 Einzelgespräche wurden jeweils in den vergangenen beiden Jahren mit Interessierten geführt. Eine ganze Menge, aus denen auch viele Unternehmungen hervorgehen.

Hippe Szene: Slots statt Module, Speaker statt Sprecher

"In den letzten vier Jahren änderte sich der Gründungsmarkt massiv. Früher gab es Gründungen - heute gibt es auch noch hippe Gründungen!", scherzt Stegemann und meint damit die sogenannten Garagengründungen, die klischeehaften start-ups, die wie eine Rakete durchstarten Aber auch die Arbeit der WFG hat sich verändert. "Diese Gründer fordern uns auf neue Weisen", sagt Stegemann. Eine direktere, frischere Ansprache musste her. Bei Veranstaltungen heißt es jetzt Slots statt Module, Speaker statt Sprecher. Ein neu eingeführtes Veranstaltungsprogramm wird dem gerecht: Die Gründungschaoten, ein crossover aus poetry slam und PowerPoint-Präsentationen von erfolgreichen Herner Gründern, die repräsentativ für die Gründungsszene unserer Stadt sind.

Ein Master-Abschluss als Rettungsschirm

Startups02©Sascha Rutzen Alexander Paulczynski und Stefan Wehling von Flexolut-IT. © Sascha Rutzen

 

Im Innovationszentrum Herne, wo auch die WFG ihren Sitz hat, treffe ich Alexander Paulczynski und Stefan Wehling von Flexolut-IT, einem Unternehmen für Softwarelösungen wie zum Beispiel App-Entwicklung. Die beiden haben während ihres Informatik-Studiums in Gelsenkirchen mit einem weiteren Kommilitonen bereits nebenher an Projekten mitgewirkt und dabei "schnell gemerkt, dass wir sehr gut im Team arbeiten können", so Wehling. Wir dachten uns, "warum machen wir nicht was Richtiges?", ergänzt Paulczynski. Das war vor vier Jahren und sie merkten "dass das tatsächlich funktioniert und wir es schaffen, auch Größeres umzusetzen", so Wehling. Die drei Informatiker haben dann noch jeweils ihren Master gemacht, um auf jeden Fall abgesichert zu sein. "Das ist unser Anker", sagt Paulczynski. Die Sicherheit, mit einem solchen Abschluss auf jeden Fall eine Anstellung zu finden. Denn: "Der Fachkräftemangel macht sich bemerkbar ", erklärt Wehling." Und weiter: "Gerade als freiberuflicher Programmierer kann man ganz gute Stundensätze verlangen."

Geld und Macht? Nur für Konzernchefs

Aufträge und Geld kommen zwar rein, aber es ist noch Luft nach obren. "Ich habe 2015 die Hälfte von dem verdient, was ich als Angestellter verdient hätte", gibt Paulczynski zu. "Als Masterand in die Selbstständigkeit zu gehen...", setzt er an und deutetet darauf hin, dass es lukrativere Entscheidungen gäbe. "...es gibt schon Momente, wo man sich fragt, was man da macht." Sein Kollege ergänzt: "Aber hätten wir das nach dem Studium eingestampft, hätte ich das irgendwann wohl bereut!" Mut lohnt sich also? Wehling dazu: "Wenn man der Typ ist, der Spaß daran hat, fällt einem das sehr leicht. Es darf nicht um Geld und Macht gehen - das ist den Konzernchefs vorbehalten!" Heute nimmt die Arbeit bei Flexolut die drei vollkommen ein. Paulczynski: "Ganz oder gar nicht, das kriegt man sonst auch nicht gehändelt. Wenn man nie alle Energie reinsteckt und es dann nicht klappt, kann man nicht sagen, man hätte alles versucht."

Dachboden statt Garage, Gelsenkirchen statt Silicon Valley

"Im Prinzip haben wir bei mir auf dem Dachboden angefangen. Nicht wie Zuckerberg in der Garage", sagt Paulczynski schmunzelnd. Der Umzug ins Innovationszentrum bietet Fexolut-IT Platz für Wachstum: für das kommende Jahr ist die Umformung in eine GmbH geplant, eine Kooperation mit der WH Gelsenkirchen soll wiss. Arbeiten ermöglichen, neue Mitarbeiter sollen eingestellt werden. "Jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir uns steuerlich beraten lassen müssen, weil da schon viel Geld im Raum steht", sagt Paulczynski. Noch heute führt sie in solchen Fällen der Weg zur WFG. Wehling: "Man ist zwar gut in seiner Kernkompetenz, aber trotzdem auf andere Leute angewiesen." Zu erkennen, wo und wann man sich lieber Hilfe von Experten holt – wie wichtig das ist, habe ich schon bei meinem Besuch im startercenter gelernt.

Krisen gibt es immer

Auch bei Flexolut kriege ich einen Tipp mit auf den Weg gegeben. Wehling: "Man darf sich von anderen nicht zu sehr negativ beeinflussen lassen. Ja, es gibt Krisen - aber die gibt es immer im Leben und die kann man im Griff haben. Wenn man selbst von dem überzeugt ist, was man macht, sollte man unbedingt dran bleiben!" Man solle aber "ständig reflektieren - wo bin ich und wo wollte ich eigentlich hin?"

Sascha Rutzen