Ereignis in der Tschechoslowakei jährt sich zum 50. Mal

Wie Peter Worbs am Prager Frühing mitwirkte

24. Juli 2018 | Gesellschaft

Ein andrer Sozialismus

Als 24-jähriger Jugendsekretär und Mitglied des Aktuellen Forums erhielten Worbs und Gerd Zbikowski, der spätere Personalvorsitzender der Stadt Herne, eine Einladung nach Prag von seinem Freund Karel Nyvelt, Dozent für Pädagogik und Psychologie der Prager Parteihochschule. In der „Goldenen Stadt" war Alexander Dubček, Generalsekretär der Kommunistischen Partei, dabei, den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu verwirklichen, bekannt geworden unter dem Begriff „Prager Frühling".

  • Peter Worbs und Gerd Zbikowski schildern bei der Rückkehr aus Prag ihre Erlebnisse. ©Archiv Peter Worbs
Mit zwei Lehrern des Eickeler Gymnasiums, die sich zufällig mit einer Klasse ebenfalls in der Landeshauptstadt aufhielten, besuchten sie am ersten Abend den politisch engagierten Maler, Bühnenbildner und zweifachen Staatspreisträger Jan Sladek. „Wir haben viel gequatscht, gut gegessen und später in Nyvelts Haus auch gut und fest geschlafen." Am frühen Morgen wurden sie von Panzerlärm aus dem Schlaf gerissen. Nyvelt stand mit Tränen in den Augen auf dem Balkon und schaute nach unten. Der Fernseher lief: Die Russen hatten Prag besetzt.

Stadt ohne Schilder

Die Herner liefen in die Prager Innenstadt zu Radio Freies Prag, wo die Bevölkerung einen Ring um den Sender bildete, um die Polizei draußen zu halten. Auch den nächsten Abend verbrachten Worbs und Zbikowski bei Sladek, wo sie die ab 22 Uhr geltende Ausgangssperre verpassten – und im Theater Sladeks übernachten mussten. Schräg gegenüber lag eine Kaserne. Sie beobachteten, wie ein Militärkonvoi unter ihrem Fenster hielt. Die Soldaten beugten sich desorientiert über eine riesengroße Straßenkarte. „Die Bevölkerung hatte alle Straßenschilder abgerissen und alle Richtungsschilder verkehrt herum montiert", erinnert sich Worbs. „Wir haben uns köstlich amüsiert."

Solidarität mit Dubček

In den nächsten Tagen übernahmen die beiden Herner Botendienste für Radio Freies Prag. Worbs verteilte Flugblätter in Betrieben, beispielsweise in einer Flugzeugfabrik. Die tschechische Kommunistische Partei versammelte sich heimlich zu einem Parteitag in einer Maschinenhalle. Einer der wenigen, die davon wussten, war Peter Worbs, der mit Karel Nyvelt die Delegierten vom Bahnhof zur Fabrikhalle chauffierte. Ohne sein Wissen schmuggelte er auch eine Pistole mit Munition aus Prag heraus, die ein Funktionär loswerden wollte. Worbs: „Wenn man die im Auto gefunden hätte, das wäre mehr als ein Skandal gewesen."

Dubček und andere hochrangige Regierungsvertreter wurden verhaftet und nach Moskau gebracht, wo sie heftigen Verhören ausgesetzt waren. Nach seiner Rückkehr wurde der Generalsekretär von tausenden begeisterten Menschen bei einer Großdemo gefeiert – unter ihnen auch Worbs und Zbikowski. In den späteren Monaten verlor Dubček nach und nach die Macht. Auch Worbs Freund Nyvelt wurde entlassen: „Er hat mehrere Jahre als Fensterputzer und als Sortierer in einer Schraubenfabrik gearbeitet“, weiß Worbs.

Schicksal ungeklärt

Die Herner Lokalzeitung titelte: „Eickeler Schulklasse wohlbehalten zurück, Schicksal von Peter Worbs ungeklärt." Die Mutter von Worbs machte sich Sorgen Dr. Müller, Leiterin der deutschen Handelsvertretung in Prag, teilte ihr mit: „Der Peter kommt noch nicht nach Hause, der ist noch beschäftigt. Es geht ihm aber gut." Am 30. August 1968 war aber der Urlaub vorbei. Zum Abschied übergab Jan Sladek Worbs ein Buch mit der Widmung: „Du hast mir mit deinem reinen Herzen viel geholfen."

In den Freiheitsbestrebungen in Prag sieht Worbs auch das Wirken von Willy Brandt, der ein Jahr davor Außenminister der Großen Koalition geworden war. Worbs Fazit: „Was sich in Prag zwischen 1967 und 1968 abspielte, das war eine hochemotionale und historisch wichtige Zeit für Mitteleuropa. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich Zeitzeuge eines solchen Ereignisses werde. Ich war mittendrin und habe auch ein bisschen was getan."

Liebe und Politik

Übrigens: Worbs war noch im gleichen Jahr ein weiteres Mal in Prag und erlebte dort noch einmal dramatische Szenen. Aber nicht nur Politik interessierte ihn, er hatte im Jugendreisebüro eine nette Frau mit dem Vornamen Hana kennen gelernt. Sie ist heute immer noch seine Frau.

Horst Martens