Individuelle Konzepte in Herne

Anders wohnen

24. Februar 2017 | Gesellschaft Wirtschaft

Texte: Anja Gladisch, Horst Martens, Christoph Hüsken, Philipp Stark und Michael Paternoga / Fotos: Frank Dieper, Thomas Schmidt, Michael Paternoga, Horst Martens

Wohnen im ehemaligen Sägewerk

Sie halten zusammen, gehen durch dick und dünn, haben gemeinsam ihren Traum verwirklicht. Den Traum vom Wohnen und Hobby unter einem Dach. In dem Fall ist mit Hobby das weite Feld der Kultur gemeint. Musik, Kunst, Theater – alles ist in den Affenhack Studios Herne willkommen. Die meisten kennen die Location von privaten Veranstaltungen, aber für Michaela Pawelke, Friedel Zibis und Werner Lob ist es ihr Zuhause. Hier leben sie gemeinsam auf etwa 180 Quadratmetern Wohnfläche – seit Februar 2014.

Siehe auch: Die Zukunft des Wohnens / Weg von den tradierten Mustern

Platz für die Kultur

Dass das ungleiche Team wunderbar harmoniert, merkt jeder, der zu Besuch ist. Die Drei sind seit Jahren eng miteinander verbunden. Michaela Pawelke hat mit ihrem Vater Friedel Zibis schon vorher zusammen gewohnt. Aber da waren sie nicht glücklich mit der Wohnsituation: „Da konnte man nachts kein Schlagzeug spielen", lacht Zibis und lehnt sich an die Fensterbank neben dem Snooker-Tisch. Ende 2013 wurde nach intensiver Suche von Michaela Pawelke der neue Kreativort gefunden. Als sie zur Besichtigung in der Werderstraße waren und die Halle, die früher das Sägewerk der Zeche Friedrich der Große beherbergte, sahen, war es um sie geschehen. „Ich war sofort mit Begeisterung dabei", erklärt Lob, der als guter Freund schon als Mitbewohner gesetzt war. Viele tausende Euro und viele Arbeitsstunden haben sie in den Umbau der späteren Affenhack Studios Herne investiert. Andreas Böse, ein familiärer Freund, hat tatkräftig beim Ausbau mitgeholfen und so entstanden eine Wohnung, ein Apartment, das aus einem alten Vereinsraum entstand und in dem Zibis lebt, eine große Dachterrasse, ein Musik- und ein Kunstraum. Platz für jeden, der etwas präsentieren, sehen oder hören möchte. An jedem ersten Samstag im Monat wird hier Musik gespielt und Kunst ausgestellt. Pawelke, Lob und Zibis öffnen dann ihr Zuhause für andere. Aber das tun sie auch außerhalb der Veranstaltungen. Es klopft. Pawelke ruft nur ein lautes „Ja". Andere hätten geschaut, wer da ist. Aber allen ist klar, das kann nur ein guter Freund sein, der zum Quatschen vorbeikommt. Das bestätigt sich, als Carlo Werth das Wohnzimmer betritt und sich zu Lob auf das Sofa setzt.

  • Zu Besuch in den Affenhack Studios. @ Frank Dieper, Stadt Herne

Momentan wohnt auch Bärbel Jendryschik, die Schwester von Friedel Zibis, dort. So ist die Vierer-WG komplett. „Man muss die richtigen Leute zusammen haben, sonst geht das nicht. Gerade in so einem Projekt", erklärt die 45-jährige Pawelke und ergänzt: „Da braucht es absoluten Teamgeist. " Und so kochen, spielen und lachen sie gemeinsam. Trotz allem gibt es genügend Rückzugsmöglichkeiten. „Ruhe und Abwechslung im gesunden Maß", darauf käme es an. Selbst bei der Frage nach der Sauberkeit, die so manche Beziehung auf die Probe stellt, sind sich hier alle einig. Wer gemeinsam Dreck macht, macht gemeinsam sauber. „Das regelt sich immer schnell", so Pawelke, die sich nicht mehr vorstellen kann, alleine zu wohnen: „Diese familiäre Atmosphäre hier ist etwas besonderes."

Gegenseitiger Respekt

Das ist auch bei den Veranstaltungen spürbar. Dann wird Snooker im Wohnzimmer gespielt, auf dem Sofa gequatscht und in der Küche Kaffee getrunken. Stört euch das nicht? „Unsere eigenen Zimmer bleiben verschlossen. Wir würden das nicht machen, wenn hier Idioten kämen. Aber hier treffen sich Freunde und Bekannte, die ebenso auf alles achten", erklärt Lob.
Gegenseitiger Respekt ist hier das Motto. So gehen die Drei nicht nur mit sich selbst respektvoll um, sondern auch mit ihren Besuchern. „Das Vertrauen, das wir den Gästen entgegenbringen, wurde nie ausgenutzt", erklärt Pawelke – die Jüngste im Team.

Viele neue Leute kennenlernen und interessante Geschichten erfahren – der gemeinsame Austausch steht im Vordergrund. Und so bieten sie  die Wohnung auch bei Airbnb an. „Wir hatten schon Menschen aus Australien, Schottland und der Schweiz bei uns", berichtet Pawelke. Für Touristen aus aller Welt öffnen sie auch weiterhin ihre Türen. „Es ist einfach schön zu sehen, dass sich auch andere Menschen bei uns wohlfühlen", erklärt Lob.

Kulturgenuss im alten Postamt

In geschichtlichen Mauern leben auch Jürgen Grislawski und Brigitte Krämer. Der bildende Künstler und die Fotografin haben sich das historische Postamt von Röhlinghausen angeeignet. 1896 gebaut, wurde es 2000 geschlossen und stand dann mehrere Jahre leer. „Wir suchten kein originelles Gebäude, sondern eigentlich nur größere Gewerberäume für mein Atelier und für das Fotolabor meiner Frau", sagt Grislawski. „Ich kannte es auch noch von früher, denn gegenüber war der ‚Blaue Engel‘, in dem ich häufig Gast war."

  • In der Werkstatt von Jürgen Grislawski. © Horst Martens, Stadt Herne

Schalterraum ist Atelier

Von außen ist das 120 Jahre alte Gebäude beinah unverändert. In großen Lettern steht „Postamt" an der Frontfassade. An der Haupttür ist eine Tafel angebracht, die den geschichtlichen Hintergrund erläutert.
Drinnen erinnert nur wenig an die Vergangenheit des Gebäudes. Der ehemalige Schalterraum wird von einem langen Werktisch und einer Staffelei in der Mitte des Raumes dominiert. An den Wänden hängen Regale und stehen Tische mit allerlei Malutensilien und Werkzeugen. Über einer der beiden ehemaligen Telefonzellen hängt ein von Grislawski gemaltes Porträt. Ein Durcheinander, das aber unglaublich sympathisch und kommunikativ wirkt. Hier hält man sich auch als Gast gerne auf.

Lucky punch

Nebenan – im ehemaligen Dienstzimmer - steht eine pompöse Andruckmaschine – Restbestand einer ehemaligen Druckerei. Kästchen, gefüllt mit Lettern, erinnern an die alten Zeiten der Druckkunst. „Die Entscheidung für dieses Haus war ein lucky punch", sagt Grislawski. Und man kann es nachempfinden.

Ein Kleinod in Fachwerk

Eine Zeitreise unternimmt, wer hinter dem Cranger Kirmesplatz in die Straße Altcrange abbiegt. Dort finden sich klassische Fachwerkhäuser. Das von Edeltraut Kurek ist annähernd 250 Jahre alt. Die Inschrift über dem Torbalken verrät es. 1748 ist es errichtet worden. 1969 hat es die 79-Jährige von ihrer Mutter geerbt, die es 1954 erworben hatte.

Stilvoll von oben bis unten

„Schön wohnt es sich hier", antwortet die ehemalige Stadt-Beschäftigte auf die Frage, wie es sich in dem schwarz-weißen Fachwerkhaus lebt. Auf Komfort muss sie jedenfalls nicht verzichten: Ein Kachelofen sorgt für wohlige Wärme und das Sichtfachwerk innen für eine besondere Atmosphäre. Von ihrem Wohnraum, der ehemaligen Deele blickt sie durch das stilvoll verglaste ehemalige Deelentor. Mit ihr in der Wohnung lebt ein Sohn, der andere mit seiner Familie in der Etage darüber. Diese ist moderner gestaltet, sichtbare Kehlbalken im hohen Wohnraum geben den besonderen Charme.

  • Zu Besuch bei Frau Kurek in Alt-Crange @Frank Dieper, Stadt Herne

Erinnerungen ans Plumpsklo

Bis Mitte der 1980er-Jahre war das Leben in dem heutigen Schmuckstück noch wesentlich einfacher. „Petroleumlampen und ein Plumpsklo gab es, aber kaum elektrisches Licht", erinnert sich Edeltraud Kurek. 1984 begann die große Sanierung des Hauses, das erst nach deren Abschluss unter Denkmalschutz gestellt wurde. „Wir haben damals Eichenbalken aus Frankreich liefern lassen, da sie günstig zu bekommen waren", erinnert sie sich. Allein war der Umbau nicht zu bewältigen. Zehn Verwandte unterstützen sie und ihren Mann. Dabei kam auch ein Fundstück zu Tage – ein mittelalterlicher Krug. „Mein Mann hat ihn zunächst für eine alte Leitung gehalten und erstmal draufgehauen", schmunzelt die Herrin des Fachwerkhauses. Ganz kaputt ging er dabei nicht, so dass das gute Stück heute zum Bestand des Emschertal-Museums gehört.

Möhreneintopf im Mehrgenerationenhaus

Jung und Alt unter einem Dach? Für viele Menschen ist es eine reizvolle Vorstellung, wenn verschiedene Generationen nicht nur nebeneinander, sondern auch miteinander leben. Wie so etwas aussehen könnte, zeigt ein Projekt der Herner Gesellschaft für Wohnungsbau (HGW) in Röhlinghausen. Am Stratmanns Weg setzt man dort seit 2010 mit einer Mehrgenerationen-Wohnanlage auf ein Miteinander.

  • © Michael Paternoga, Stadt Herne

Gesellige Runde beim DRK-Mittagstisch

„Neben dem Angebot an seniorengerechtem Wohnraum befinden sich in diesem Objekt auch größere Wohnungen für Familien mit Kindern und acht Reihenhäuser", erklärt HGW-Kundenbetreuer Thomas Henseler. Besonders die Wohnungen für Senioren seien sehr beliebt. Da verwundert es nicht, wenn Elisabeth Mühlenbäumer sagt: „Für uns war die Wohnung wie ein Sechser im Lotto." Sie war mit ihrem Mann Gerhard eine der ersten Mieterinnen, die den Schlüssel für ihre neuen vier Wände erhielt. Seitdem freut sich die 86-Jährige besonders auf den Mittwoch. Dann treffen sich regelmäßig einige Senioren im Gemeinschaftsraum der Anlage. Das DRK serviert dann einen Eintopf. „Heute stehen Wirsing- und Möhreneintopf auf der Speisekarte", verrät DRK-Mitarbeiterin Eva-Maria Schütte-Butz beim inherne-Besuch. Es scheint zu schmecken. Denn die Teller sind leer noch bevor Schalke-Fan Elisabeth Mühlenbäumer die aktuellen Neuigkeiten über ihren Club vermeldet.

„Das Projekt war uns wichtig"

Thomas Henseler freut sich über den Austausch, auch wenn noch ein paar jüngere Gesichter am Tisch fehlen: „Im Mietvertrag gibt es sogar einen Passus, dass sich jeder nach seinen Möglichkeiten einbringen soll." Donata Dayan (43) war die erste Mieterin in einem der acht Reihenhäuser und hat längst ihr Urteil gefällt. „Unsere Familie wohnt hier sehr gerne. Dass es sich um ein Mehrgenerationenprojekt handelt, war uns wichtig."

Das Wolkenschloss

Auch in einer an sich ganz profanen Etagenwohnung kann sich das Besondere verstecken. Erst recht, wenn diese Wohnung ein gutes Stück über dem „Mainstream" angesiedelt ist und Betrachtungsweisen auf die Umgebung zulässt, die den meisten Hernern verborgen bleiben. Seit 2009 lebt Sabine Pachtmann nun schon in ihrem „Wolkenschloss". Aus dem achten Stock des City-Centers hat sie von ihrem Balkon einen begnadeten Blick auf Herne und kann nicht selten bis nach Essen schauen. „Ich fühle mich hier richtig wohl. Bei passendem Wetter sitze ich gerne mit dem Laptop auf dem Balkon und arbeite von hier aus", freut sich die gebürtige Hernerin, die es als Center Managerin ohnehin
nicht weit zur Arbeit hat. Sabine Pachtmann schätzt die zentrale Lage sehr. „Drei Autobahnen in unmittelbarer Nähe, beste Anbindung an Bus und U-Bahn und zahlreiche Geschäfte direkt vor der Tür: Besser könnte es nicht sein."

  • © Philipp Sark, Stadt Herne

Der von außen etwas in die Jahre gekommene Gebäudekomplex hat viele Vorteile: „Hier oben wohne ich natürlich sehr ruhig. Hervorzuheben ist aber auch die gute Nachbarschaft. Hier leben junge Familien, Studenten, aber auch Senioren. Die älteste Bewohnerin ist schon Anfang der 70er Jahre eingezogen und ist inzwischen weit über 90 Jahre alt, was dank der Aufzüge auch kein größeres Problem darstellt." In den 74 Wohnungen leben Deutsche friedlich Tür an Tür mit Italienern, Polen, Türken, Weißrussen, Syrern, Holländern, Senegalesen und vielen mehr. Ein echtes Kleinod mitten in der Stadt.