125 Jahre: Streifzug durch unsere Stadtgeschichte

15. Februar 2022 | Ausgabe 2022/1

Möge die Morgenröte für Herne eine gute Vorbedeutung sein

125 Jahre Stadt Herne – allemal ein Grund zu feiern, aber auch ein Grund einen Blick in die Geschichte der Stadt zu werfen. Stadtarchivar Jürgen Hagen hat die wichtigsten Stationen der Herner Vergangenheit zusammengetragen.

„Die Stadt Herne und ihr Erster Bürgermeister, sie leben hoch, hoch, hoch!“

Für Hermann Schaefer, seit 1879 Amtmann von Herne, dürfte diese Mitteilung eine besondere Genugtuung gewesen sein. Denn der Mann, der Herne schon vor 1879 „stadtreif“ gesehen hatte, musste einige Widerstände überwinden.

Von der Stadtwerdung bis zur Kreisfreiheit
Am Ende jahrelanger Verhandlungen geschah nach zeitgenössischen Schriften der Übergang zur Stadt dann ohne Schwierigkeiten. Die neugeborene Stadt zählte über 21.900 Menschen, die auf einer Grundfläche von etwa 800 Hektar lebten. Die erste Stadtverordnetenversammlung bestand aus 30 Mitgliedern. In dieser Sitzung wurde der Magistrat gewählt. Neben Bürgermeister Schaefer gehörten dem Gremium ein ehrenamtlicher Beigeordneter sowie drei Schöffen an. Mit einem Festessen im Saal des Hotels Schlenkhoff wurden der Bürgermeister und die Magistratsmitglieder am 24. April 1897 durch den Regierungspräsidenten Winzer feierlich eingeführt. 165 geladene Gäste hörten „ein Dutzend Festreden und der dreifachen Anzahl von Hochs und vaterländischen Liedern“. Man war sich einig, dass „wohl noch niemals Herne eine animiertere Gesellschaft gesehen habe“.
Neun Jahre später, am 21. Juli 1906, wurde im Schlenkhoffschen Saal wieder groß gefeiert. Grund: Herne war seit Beginn des Monats kreisfrei. Die schnelle Kreisfreiheit nach Verleihung der Stadtrechte galt als „ein Unikum in der preußischen Städtegeschichte“. Landrat Karl Gerstein nahm den Verlust Hernes aus dem Bochumer Landkreis sportlich: „[…] und gebe Ihnen das Gelöbnis, daß ich die Stadt Herne niemals vergessen werde. Ich bitte Sie, mit mir einzustimmen in den Ruf: die Stadt Herne und ihr Erster Bürgermeister, sie leben hoch, hoch, hoch!“ Es folgten weitere Reden. Der Chronist notierte, „daß sich schon der Himmel im Osten rötete, als die letzten Gäste das Hotel Schlenkhoff verließen“. Er fügte an: „Möge diese Morgenröte für Herne und seine Entwicklung eine gute Vorbedeutung sein.“

„Die Stadt Herne und ihr Erster Bürgermeister, sie leben hoch, hoch, hoch!“

Gebietsvergrößerungen und Großstadtwerdung
Hernes erster Oberbürgermeister Hermann Schaefer konnte von seinem Alterswohnsitz in Darmstadt aus verfolgen, wie die Stadt wuchs. So wurden am 1. April 1908 Baukau und Horsthausen eingemeindet. Das ursprüngliche Stadtgebiet verdoppelte sich, die statistische Personenstandsaufnahme zählte 57.103 Menschen. Die Verwaltung platzte aus allen Nähten, ein neues Rathaus musste her. Am 6. Dezember 1912 war es soweit. Als ein gesellschaftliches Großereignis wurde die Einweihung des neuerbauten Amtsgebäudes gebührend gefeiert. Das repräsentative Rathaus spiegelte das Selbstbewusstsein der noch jungen Stadt wider: klassizistisch ohne zu protzen, funktionsgerecht und zweckmäßig.
Nun blickte Herne nach Osten und umwarb das Amt Sodingen mit seinen Gemeinden Börnig, Holthausen und Sodingen. Blieben erste Annäherungsversuche noch erfolglos, läuteten am 1. April 1928 die Hochzeitsglocken.
Mit den Eingliederungen von Kray und Oestrich am 1. August 1929 fanden die Gebietsänderungen der alten Stadt Herne ein Ende. Die Eingemeindungen brachten eine Gebietsvergrößerung von gut 1.129 Hektar und einen Zuwachs von 24.657 Einwohnerinnen und Einwohnern, sodass Herne mit 96.844 Menschen in Wurfweite einer Großstadtwerdung kam. 1933 durfte im Rathaus endlich gejubelt werden. Mit der Geburt von Margarete Henkel am 14. März zählte Herne 100.000 Menschen und kam zu Großstadtehren.

Wandel
Herne hatte seinen rasanten Aufschwung der Eisenbahn und vor allem dem Kohlebergbau zu verdanken. Zu Zeiten des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders in den 1950er Jahren war der Kohlebergbau die Schlüsselindustrie für das Konjunkturhoch. 1956 fand sich in Herne jeder zweite Arbeitsplatz in der Bergbauindustrie. In den 1960er Jahren wendete sich das Blatt, das Zechensterben begann. Mit den Zechenschließungen gerieten auch die Bergbauzulieferer wie Beien oder Halstrick in einen Abwärtsstrudel. Nun rächte sich Hernes wirtschaftliche Monostruktur. Der Druck, der durch die Bergbaukrise auf Herne lastete, veranlasste Oberstadtdirektor Edwin Ostendorf 1965 die Wirtschaftsförderungsgesellschaft zu gründen. Mit der Ansiedlung der Firma Blaupunkt setzte diese ein Ausrufezeichen. Als ein „weicher“ Standortfaktor wurde am 4. Juni 1970 der Revierpark Gysenberg eröffnet. Bis 1970 investierte die Stadt 257 Millionen DM in den Ausbau der Infrastruktur. Hiervon fielen etwa 25 Prozent auf den Schulbau. Gerade auf die Entwicklung des Schulwesens legte Ostendorf ein besonderes Gewicht. In der Bildung sah der weitsichtige Oberstadtdirektor einen essentiellen Faktor für die Zukunft der Stadt.

Von der goldenen Stadt zur Freiluftakademie für Stadterneuerung
Hernes Zentrum blieb im Zweiten Weltkrieg von Bombenangriffen weitgehend verschont. Die Häuser im Geschäfts- und Behördenviertel standen und hatten nur Dach- und Fensterschäden erlitten. Die Unversehrtheit des Stadtkerns rief bei den Besatzungssoldaten Erstaunen hervor. Schnell bekam Herne den Titel „Goldene Stadt“. In der Presse bezeichnete man die Bahnhofstraße gar als „Kö des Ruhrgebiets“. Mit der Zeit aber blätterte das Gold ab und mit dem Wiederaufbau in den Nachbarstädten hatte es sich mit der Kö. Es zeigten sich die Nachteile: triste Hinterhöfe, verrottete Straßenzüge, rissige Stuckfassaden. Im Kerngebiet überwogen überalterte Gebäude mit unzureichenden Wohnverhältnissen. Von allen Städten der Bundesrepublik wies Herne über Jahre hinweg die höchste Abwanderungsquote aus. Mit der Bergbaukrise verschärfte sich die Lage. In dieser Situation entschied sich die Stadt für eine umfangreiche Stadtkernmodernisierung. In ihrem Fahrwasser kamen die Fußgängerzone, das Kulturzentrum und die U35. Neue Wohnbebauung entstand, wie etwa die Wohntürme, die begeistert als ein „Dimensionen sprengendes Superhaus“ bezeichnet wurden. Das in der Architekturgeschichte als „Herner Modell“ eingegangene Sanierungsprojekt ließ Stadtplaner Manfred Ley von einer Freiluftakademie für Stadterneuerung schwärmen, wohlwissend, dass man für diese „Akademie“ nicht zimperlich war. So wurde der historische Dorfkern rund um den damaligen Kraft-Messing-Platz zugunsten der vierspurigen Sodinger Straße abgerissen.

Die Zukunft im Blick
Ab 1. Januar 1975 bildeten Alt-Herne und Wanne-Eickel die neue Stadt Herne. Einfacher wurde es nicht. Ausgerechnet das große Vorzeigeunternehmen des Herner Strukturwandels, die Firma Blaupunkt, strich Mitte der 1980er Jahre im erheblichen Maße Stellen, Ende 1992 kam die endgültige Schließung. Als letzte Relikte der Bergbauindustrie folgten Dorn und Flottmann.
Die Stadt nahm auch diese Herausforderungen an, wie etwa mit der Ansiedlung von Industrie- und Gewerbegebieten auf Zechenbrachen, beispielhaft hierfür steht das Gewerbegebiet Friedrich der Große. Die Kultur hielt Einzug in ehemaligen Industriegebäuden, so in den Flottmann-Hallen, die mittlerweile in der Region einen guten Ruf als kulturelles Zentrum genießen. Einen spürbaren Schub brachte die Internationale Bauausstellung Emscherpark. Es entstanden die Fortbildungsakademie Sodingen, der Kunstwald Teutoburgia und die neue Eickeler Mitte.

Herne 2025: Urban – Digital – International. So lautet das Zukunftsbild der Stadt. Mit kreativen und innovativen Ideen sollen Hernes Potenziale bei der Stadtplanung ausgeschöpft werden, um den Herausforderungen der Globalisierung und der Digitalisierung zu begegnen. Es ist zu wünschen, dass es Herne – trotz nach wie vor schwieriger Finanzausstattung und den noch nicht absehbaren Folgen der Corona-Pandemie – gelingt, aus dem Zukunftsbild Realität werden zu lassen. Positive Entwicklungen stimmen optimistisch. 2025 feiert die neue Stadt Herne ihren 50. Geburtstag. Sicherlich ein guter Anlass, Bilanz zu ziehen.

Text: Jürgen Hagen     Fotos: Stadtarchiv