Literatur

25 Jahre Martin-Opitz-Bibliothek: Service noch komfortabler

13. November 2014 | Gesellschaft Kultur

Eine Germanistin aus Lodz forscht zu den Deutschen aus Mittelpolen. Regelmäßig kommt sie für einige Tage nach Herne in die Martin-Opitz-Bibliothek (MOB). Vor einem Jahr recherchierte eine Doktorandin aus Kanada drei Monate lang an der Berliner Straße. Sie suchte nach Material, das mit Flucht, Vertreibung, Gedächtnis und Erinnerung, Kulturerbe und mit Ostpreußen zu tun hatte.  Eine weitere Doktorandin untersucht derzeit den sogenannten Zöcklerschen Nachlass. Da geht es um die Protestanten in Polen. Zu den Besuchern zählen aber nicht nur die Wissenschaftler, auch die anderen kommen, die Familienforscher und die Privatleute, die eine Beziehung zum Osten haben und sich mit Erinnerungsliteratur eindecken wollen.

Bibliothek stellt sich auf Medienzeitalter ein

Die Bibliothek gilt seit jeher als größte Spezialbibliothek zur Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa. Und dennoch: Sie muss sich auch auf die Kunden und ihr durch die Medien verändertes Nutzungsverhalten einstellen. "Das Wesentliche an den Veränderungen ist die Digitalisierung der Bestände", sagt der stellvertretende Direktor Dr. Arkadiusz Danszcyk. Vor zehn Jahren begann die Aktion, bisher wurden rund 3.000 "Digitalisate" produziert, also Bücher, Zeitschriften und Schriften in eine digitale Form verwandelt. Das ist ein Prozent des Gesamtbestandes, denn in den Regalen lagern rund 300.000 Bücher, Zeitschriften und Karten.

  • Das Gemälde zeigt Martin Opitz, den Namensgeber der Bibliothek. © Stadt Herne, Horst Martens
    Das Gemälde zeigt Martin Opitz, den Namensgeber der Bibliothek. © Stadt Herne, Horst Martens
Die Werke werden nicht nur einfach eingescannt, sondern auch als Volltext erfasst - dass heißt, der Forscher kann ein Stichwort eingeben und gelangt sofort an die entsprechende Stelle im Text. Diese Aufgaben übernehmen studentische Hilfskräfte wie Tobias Koscielny. Wobei es mit dem Abscannen nicht getan ist. Anschließend ist eine umfangreiche Nachbearbeitung notwendig. Digitalisate ohne Copyright stehen für jedermann zur Verfügung, wer will kann sie sich im "Digitalen Leseraum" auf den eigenen Computer laden. Die Buchrechte setzen der Digitalisierung Grenzen. Erst wenn der Autor 100 Jahre tot ist, steht der Inhalt zur freien Verfügung.  Bücher mit Copyright kann der Besucher nur im konventionellen Leseraum einsehen.

Martin-OpitzBasisinformationen

Martin- Opitz-Bibliothek

Berliner Platz 5

44623 Herne

Telefon: +49 (0)2323/16 28 05

www.martin-opitz-bibliothek.de

Öffnungszeiten: Montag - Donnerstag 10 bis 18 Uhr

 

Online-Katalog auf dem neuesten Stand

Stolz ist Danszcyk auch auf den neuen Online-Katalog, der mit einer besseren Optik und mit zahlreichen Zusatzfunktionen ausgestattet ist wie Inhaltsverzeichnis, Rezensionen oder Wikipedia-Link. Er läuft derzeit in einer Testversion. Die Nutzer erhalten Vorschlagsrechte: Welches Buch digitalisiert werden sollte, welche Publikation die Bibliothek anschaffen sollte. Auch in die Fernleihe ist die Martin-Opitz-Bibliothek gut eingebunden. Die MOB ist eine Leihbibliothek, die einen großen Anteil ihres Bestandes gegen Vorlage des Nutzerausweises ausleiht. Bei EBook on Demand können Interessierte sich für den Eigengebrauch ein Buch digitalisieren lassen. Nach Ablauf einer dreimonatigen Frist wird das Werk auch in die digitale Bibliothek aufgenommen.

Die meisten Besucher haben eine klare Zielvorstellung. "Wir haben einen hohen Anteil an spezieller Literatur, die in den östlichen Ländern in niedrigen Auflagen erscheint. Dafür interessieren sich laut Danszcyk Sprachwissenschaftler, Literaten, Historiker. Geschichts-, Slawistik- und Germanistikstudenten besuchen uns - die nächste U-Bahnhaltestelle ist nur ein paar Schritte entfernt."  Viele Familienforscher suchen das Haus auf. Die meisten sind Amateure, aber kompetent, weil sie sich schon lange mit der Materie befasst haben. Sie können beispielsweise aus einem großen Bestand von Adressbüchern schöpfen - vom Ende des 19. bis hin zum 20. Jahrhundert. Ebenso beliebt ist Erinnerungsliteratur ("Damals in ...", "Meine Heimat", "Meine Geschichte").

Das Interesse an der Herkunft wächst

"Das Interesse an der Herkunft wächst und vermindert sich in Wellen", sagt Danszcyk. Irgendwann werden auch die Kinder von dem Interesse an der Herkunft ihrer Eltern oder Großeltern gepackt. "Wichtig ist von unserer Seite, dass der Service hoch gehalten wird", sagt Danszcyk. Er kennt sich bestens aus im Osten, denn er ist Schlesier, in Kattowitz geboren. Studiert hat der Stellvertreter von Hans-Jakob Tebarth in Regensburg und Berlin Sprachwissenschaften. Daran schloss sich eine Zusatzausbildung für Bibliothekswesen und Informationswissen an.

Martin-OpitzWas in den Regalen lagert

300.000 Medieneinheiten / 400 laufend gehaltene Periodika

Frühdrucke und aktuelle Publikationen, Karten, Pläne, Prospekte, wertvolle Handschriften.

Literatur über folgende Gebiete: Schwerpunkt: heutiger Westen Polens und Königsberger Gebiet (historisches Ostdeutschland), Litauen, Lettland, Estland, Russland, Ukraine, Moldawien, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Ungarn, Rumänien, Serbien, Kroatien und Slowenien.

Thematische Gliederung: Geschichte, Belletristik und Soziologie, Kirchen- und Religionsgeschichte. Migration und Minderheitenforschung.

Verlorene Heimat erhalten

Der Vorgänger der Martin-Opitz-Bibliothek ist die "Bücherei des Ostens", die 1949 in der unmittelbaren Nachkriegszeit errichtet wurde. In einer Zeit also, in der viele deutsche Flüchtlinge aus dem Osten in Herne gestrandet waren und hier eine neue Heimat fanden. Diese Menschen hatten ein großes Interesse daran, dass ihre verlorene Heimat zumindest bibliographisch erhalten bleibt.

Zwei Monate vor dem Mauerfall (25. September 1989) wurde die "Bücherei des Ostens" zur Martin-Opitz-Bibliothek, ins Leben gerufen von der Stadt Herne und dem Land Nordrhein-Westfalen, unter finanzieller Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland. Benannt wurde die Bibliothek nach dem "Vater der deutschen Dichtung".

Ost und West sind keine Gegensätze mehr

Der Kalte Krieg ist beendet - Ost und West sind keine Gegensätze mehr. "In vielfacher Hinsicht sind die Staaten, Regionen und Völker in Ost- und Südosteuropa historisch, politisch und kulturell mit Deutschland verbunden", heißt es in einer Selbstdarstellung der später von Bücherei in Bibliothek umbenannten Einrichtung.

Text: Horst Martens, Fotos: Horst Martens, Kirsten Weber