Theatergruppe der Forensik führt "Der Revisor" auf

Applaus hinter Gittern

22. Februar 2016 | Gesellschaft Kultur

Eine kleine Ecke in einem Aufenthaltsbereich war zu einem Schauspielraum umfunktioniert worden. 40 Stühle boten Platz für genauso viel geladene Gäste. Und die Bühne wirkte winzig - mittendrin dominierte eine mit barocken Farbmustern angestrichene Bank, die genauso in der hauseigenen Tischlerei hergestellt war wie die Kulissen, die den Raum umrahmten. Eine Bank, auf der und um die herum sich das Geschehen abspielte, inszeniert von Katja Willebrand, einer Theaterexpertin, die nicht zum ersten Mal mit psychisch kranken Straftätern ein Stück präsentiert hat, in Eickelborn, aber auch in Berlin. Theater als Therapie - kommunikationsfördernd, die Möglichkeit, aus seiner eigenen Haut zu schlüpfen.

  • Die Frau des Bürgermeisters hat den Schuldigen entdeckt. © Horst Martens, Stadt Herne.
Der "Revisor" wurde kurzerhand auf eine Stunde verschlankt. Willebrand setzt neun Schauspieler ein, während das Original über 20 Rollen parat hält. Was dem Stück durchaus gut tut. Weil in der Forensik nur Männer untergebracht sind, müssen sie auch Damenrollen übernehmen. Und es funktioniert auf eine charmante Art und mit einem Hauch von Transvestiten-Trash.

Schmiergelder von allen Seiten

In einem russischen "Kaff" des 19. Jahrhunderts wird ein Revisor erwartet. Alle sind in heller Aufregung, denn niemand kann dem Wirtschaftsprüfer mit reinem Gewissen entgegen treten. Die Aufmerksamkeit fällt auf einen Hotelgast, der sich weigert, seine Rechnungen zu bezahlen. Das muss er sein, der Revisor. Der Gast ist überrascht über die plötzliche Gastfreundschaft, steckt das Schmiergeld, das ihm von allen Seiten zugesteckt wird, dreist ein und verlobt sich mit der Tochter des Bürgermeisters.

"Das war mein letztes Stück"

Die Frau des Bürgermeisters bezieht die Komplimente des jungen Revisors, die zuerst der Tochter gelten,  auf sich selbst. Sie wird von Rolf B. verkörpert: kirschrote Bluse, rotblonde Perücke, rot angemalte Lippen, zurückhaltende Gestik. Das hat was.  Rolf B. steht schon zum 11. Mal auf der Bühne, hier in Wanne-Eickel zum zweiten Mal, zuvor Eickelborn, wo er 24 Jahre Patient war. Seine Lieblingsrolle war das "Gretchen" in Goethes "Faust". "Frauenrollen machen mir Spaß, und Gretchen ist besonders anspruchsvoll", sagt er. "Das Schönste ist, dem Publikum Spaß zu bereiten", unterstreicht er mit einer Portion Bedauern, denn: "Das war mein letztes Stück. Ich werde auf die Beurlaubung vorbereitet." Ein Stück Freiheit jenseits der Gitter wartet auf ihn. "Aber natürlich komme ich als Gast, wenn hier ein Stück aufgeführt wird."

Die Gruppe wollte eine Komödie

Gute neun Monate brauchte die "Zechentruppe", um das Stück einzustudieren. Der lange Zeitraum war notwendig, weil die Gruppe sich nur einmal im Monat für zwei Tage trifft. Warum fiel die Wahl auf "Der Revisor"? "In der Gruppe gab es den Wunsch nach einer Komödie", sagt die Regisseurin. Nachvollziehbar, denn für viele war und ist ihr Leben eher eine Tragödie.

"Wir haben uns liebgewonnen"

Michael K., der den Gutsbesitzer Dobtschinski mit hintergründiger Nonchalance spielte, kam nicht von selbst auf die Idee, mitzumachen: "Mein Gruppenleiter hat mich zart dazu überredet. Er hat mir sozusagen die Ohren zugequasselt." Aber offensichtlich hat es sich gelohnt, wenn man die Fröhlichkeit sieht, mit der er spielt und den Applaus genießt. "Das war eine gute Zeit", beschreibt er die Vorbereitung, "wir haben uns sehr lieb gewonnen." Das Gute am Theater sei: "Man spielt eine Rolle und bekommt keinen Ärger mit den Mitspielern." Das sei anders als im richtigen Leben, wo man schon mal anecke.

"Noch nie ist mir einer komisch gekommen"

Als Katja Willebrand zum ersten Mal hinter Gittern inszenierte, war sie überrascht, wie unterschiedlich die Menschen im "Maßregelvollzug" sind. "Genauso unterschiedlich wie draußen auch." Angst mit psychisch kranken Straftätern zu arbeiten, habe sie nicht. "Hier gibt es eine große Sicherheitsstruktur", sagt sie, "ein paar mal habe ich versehentlich mit meinem Melder Alarm ausgelöst. Aber ein Patient ist mir noch nie komisch gekommen." Was ist als Nächstes dran? Einer flog übers Kuckucksnest würde doch passen. "Ja", sagt sie, "das haben wir schon mal überlegt."

Und am Ende wurde russischer Borschtsch serviert. - Zwei weitere Vorstellungen sind eingeplant. Leider nur vor geladenen Gästen.

Text und Fotos: Horst Martens