Ausbildung

Ausbildungsplätze sind da, nur die Auszubildenden fehlen

18. November 2021 | Wirtschaft

Zwar wird coronabedingt der Ausbildungsstart vielfach nach hinten verschoben. Eine vorläufige Bilanz zu ziehen, macht dennoch Sinn. Der aktuelle Status Quo auf dem Ausbildungsmarkt solle jedes Jahr zur gleichen Zeit erläutert werden, so die Stimmen aller Paktpartner zum Ausbildungsmarkt. Dazu gehören: Dr. Frank Dudda (Oberbürgermeister der Stadt Herne), Michael Bergmann (kommissarischer Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet), Frank Neukirchen-Füsers (Vorsitzender Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Bochum), Dirk W. Erlhöfer (Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen), Hans-Joachim Draht (Kreishandwerksmeister Kreishandwerkerschaft Herne – Castrop-Rauxel – Wanne-Eickel) und Stefan Marx (Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbunds Ruhr-Mark).

  • Gemeinsam werben die Partner im Bündnis für Arbeit für mehr Ausbildungsplätze. ©Frank Dieper, Stadt Herne

Weniger Bewerbungen als im Vorjahr

Die ersten wichtigsten Eckdaten im Vergleich lauten wie folgt: Insgesamt haben sich 1.357 junge Menschen in Herne für eine Ausbildung beworben, das ist ein Minus von 230 gegenüber dem Vorjahr. Fast alle von ihnen haben eine Ausbildung oder eine Alternative gefunden, für das aktuelle Jahr sind noch 106 Bewerberinnen und Bewerber unversorgt. Eine gute Nachricht gibt es: Trotz Pandemie ist der Ausbildungsmarkt stabild, so wurden 734 Ausbildungsstellen in Herne gemeldet, zwei mehr als im Vorjahr. 124 dieser Stellen sind noch unbesetzt, hier können sich noch bis zum Jahresende junge Menschen bewerben.

Start in die Ausbildung ist noch möglich

Ausbildungsbeginn ist im August oder September. Traditionell starten dann die dualen Ausbildungen in den Betrieben. Gleichwohl gibt es jedes Jahr die Möglichkeit, zu einem späteren Termin in die Ausbildung einzusteigen. Die Rede ist vom 5. Quartal auf dem Ausbildungsmarkt. Gemeinsame Nachvermittlungsaktionen der Agentur für Arbeit und der Kammern sollen über den Ausbildungsstart hinaus Suchende und Unternehmen zusammenbringen. Jedes Jahr aufs Neue werden in dieser Periode auch in letzter Minute noch neue berufliche Startchancen für Jugendliche ermöglicht und somit auch eine bessere Fachkräfteversorgung für die Unternehmen erzielt. In diesem Jahr kommt diesem 5. Quartal eine besondere Rolle zu.

Die Coronapandemie hat viele Prozesse, so auch auf dem Ausbildungsmarkt, nach hinten verschoben. Durch die erschwerten Lernbedingung für Schülerinnen und Schüler im Wechselunterricht haben sich viele erst nach ihrem Abschluss auf die Suche nach Ausbildungsplätzen gemacht. Ebenso mussten neue Formate für die Bewerbungsverfahren entwickelt werden. Auch aus wirtschaftlichen Gründen sahen Unternehmen sich durch die Pandemie häufig gezwungen, andere Prioritäten zu setzen. Die Entscheidung zur Besetzung freier Ausbildungsstellen wurde daher vielerorts erst einmal verschoben.

Um die Jugendlichen trotz der pandemiebedingten Einschränkungen gut zu unterstützen, wurden viele neue Wege gesucht, und der Ausbildungsmarkt geht in die Verlängerung. Neben der klassischen Telefonie steht nach wie vor die Videokommunikation oder auch mal ein gemeinsamer Beratungsspaziergang an der frischen Luft mit den Jugendlichen auf der Agenda der Berufsberatung. Zwar ist die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen in diesem Jahr trotz Corona fast stabil und das Bewerber-Stellen-Verhältnis hat sich statistisch verbessert. Aber die Vermittlungen sind noch lange nicht abgeschlossen und die Meldungen der noch unbesetzten Ausbildungsstellen und unversorgten Bewerber entsprechend hoch.

Mehr Ausbildungsstellen pro Bewerber

Insgesamt haben sich seit Beginn des Berufsberatungsjahres im Oktober 2020 bis zum Bilanzschluss Ende September dieses Jahres 1.357 Bewerberinnen und Bewerber auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz bei der Agentur für Arbeit gemeldet. Das sind gegenüber dem Vorjahr 230 Jugendliche oder 14,5 Prozent weniger. Für sie gibt es derzeit 734 betriebliche Ausbildungsstellen. Im Vergleich zum letzten Berufsausbildungsjahr ist das ein Plus von zwei Ausbildungsstellen oder 0,3 Prozent. Rein rechnerisch kommen damit derzeit auf 100 Bewerber 54 Ausbildungsstellen. Im Jahr zuvor waren es nur 46 Stellen. Dennoch sind viele Unternehmen mit der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen im coronabedingten zeitlichen Verzug, und so gibt es aktuell noch immer 124 unbesetzte Ausbildungsstellen. Im Vergleich zum Vorjahr sind das gut 18 Prozent mehr unbesetzte Stellen. Die Anzahl der unversorgten Bewerber ist mit 106 Jugendlichen um knapp 33 Prozent niedriger.

Unternehmen sorgen für die Zukunft vor

Frank Neukirchen-Füsers, vorsitzender Geschäftsführer der Agentur für Arbeit, zu den Zahlen: „Das zurückliegende Jahr auf dem Ausbildungsmarkt in Herne ist stark von den Folgen der Pandemie gekennzeichnet und weist einen starken Rückgang der Bewerberinnen und Bewerber auf, obwohl wir unser Beratungsangebot in der Pandemie erweitert haben, tageweise Beratungsstände in der Stadt hatten und auch per Telefon, per Video und digital erreichbar waren. Insgesamt meldeten sich 1.357 Bewerberinnen und Bewerber bei uns – das sind 230 Jugendliche weniger als im letzten Jahr. Erfreulich ist aber, dass die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen trotz Pandemie stabil geblieben ist. Die Unternehmen wissen, dass sie für die Zukunft vorsorgen müssen und haben uns im zurückliegenden Berufsberatungsjahr 734 Ausbildungsstellen gemeldet, zwei mehr als im Vorjahr. Hinzu kommen in Herne noch rund 450 schulische Ausbildungsmöglichkeiten. Dennoch reicht auch dies noch nicht aus und wir werben insbesondere bei den Betrieben für zusätzliche duale Ausbildungsmöglichkeiten. Seit dem Sommer beraten wir auch wieder verstärkt in den Schulen. Die Herausforderung, Unternehmen und Jugendliche zueinander zu bringen, bleibt hoch. Jedes Jahr bleiben Ausbildungsstellen unbesetzt und Bewerber unversorgt. Hier setzen wir an und versuchen beide Seiten – sowohl die Unternehmen als auch die Jugendlichen – noch besser als bisher auf ihrem beruflichen Weg zu begleiten.“

Ausbildung ist eine tolle Chance

Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda plädiert für die Ausbildung als Investition in die Zukunft: „Der Ausbildungsmarkt hat sich erholt, aber wir haben leider noch nicht wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Die positiven Tendenzen stimmen allerdings optimistisch: Den Bewerberinnen und Bewerbern stehen wieder mehr freie Ausbildungsplätze zur Verfügung, die Anzahl der unversorgten ist gesunken. Zukünftig muss es darum gehen, die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge weiter zu erhöhen, damit beide Seiten – Jugendliche und Betriebe – davon profitieren. Denn auch die Betriebe sind angewiesen auf gut ausgebildete Fachkräfte, das ist eine Investition in die Zukunft. Gerade jetzt gilt es, noch mehr Betriebe für die Ausbildung zu gewinnen und auch die Jugendlichen zu motivieren, die betriebliche Ausbildung als Chance für eine sichere Zukunft zu betrachten. Daneben bleiben schulische Ausbildungen etwa in Gesundheitsberufen eine starke Säule der Herner Ausbildungslandschaft.“

Betriebe unterstützen ihre Azubis

Der kommissarische Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet, Michael Bergmann, zieht eine durchwachsene Bilanz für Herne, sieht aber auch eine positive Entwicklung im gewerblich-technischen Bereich: „Leider haben wir dieses Jahr, nach ein paar sehr starken Jahren, einen Einbruch von rund 12 Prozent zu verzeichnen (382 zu 435 Verträgen im Vorjahr). Besonders auffallend ist in Herne das Minus bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen der kaufmännischen Berufe (minus 19 Prozent). Dafür zieht der gewerblich-technische Bereich leicht an (plus 10 Prozent). Besonders in der Logistik- sowie in der Hotellerie- und Gastronomie-Branche werden weniger kaufmännische Ausbildungsplätze angeboten, was das Minus in diesem Bereich erklärt. Dies hängt zweifelsohne mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie zusammen, welche den Unternehmen in Herne nach wie vor viel abverlangt. Dennoch gibt es viele, die – Corona zum Trotz – fleißig ausbilden. Für uns ein klares Indiz dafür, dass sie sich der Bedeutung der dualen Berufsausbildung bewusst sind und sie als einen Weg sehen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Aufgrund der unausgewogenen Bewerber-Stellen-Relation möchten wir aber noch mehr Betriebe für die duale Ausbildung in Herne begeistern.

Ausbildungsbetriebe setzen auf digitale Lösungen, wenn die Pandemie den persönlichen Kontakt erschwert. Das geht aus einer Umfrage hervor, welche die IHK Mittleres Ruhrgebiet kürzlich durchgeführt hat. So gaben 40 Prozent der befragten Betriebe an, auch künftig zumindest teilweise mobil auszubilden. Besonders erfreut sind wir darüber, dass den Auszubildenden der Distanzunterricht teilweise in den Betrieben ermöglicht wurde, wenn diese beispielweise über eine schlechte Internetverbindung verfügten oder die Ausbilderinnen und Ausbilder zusätzlich unterstützen wollten. Auch hatten viele Auszubildende die Möglichkeit, das zweite und dritte Lehrjahr größtenteils im Homeoffice zu absolvieren. Den Befragten zufolge ersetzt dies natürlich nicht den persönlichen Austausch, da praktische Inhalte teils zu kurz kommen und Wissensvermittlung auf Distanz nicht allen Auszubildenden liegt. Dennoch ist es nicht zuletzt dieser Flexibilität und diesem Entgegenkommen vieler Betriebe zu verdanken, dass die Zahlen für den Herner Ausbildungsmarkt nicht viel niedriger sind. Dafür sagen wir Danke. Allen unversorgten Jugendlichen, aber auch allen, die schon eine Ausbildung oder ein Studium hinter sich haben, sich jedoch umorientieren möchten, sage ich: Es gibt noch freie Stellen, der Ausbildungsmarkt ist noch in Bewegung. Nutzt eure Chance.“

Handwerk bietet Karriere-Chancen

Hans-Joachim Draht, Kreishandwerksmeister der Kreishandwerkerschaft Herne – Castrop-Rauxel – Wanne-Eickel, sieht den eingeschränkten persönlichen Kontakt als einen der Gründe für die niedrigen Zahlen und hebt die guten Weiterbildungsmöglichkeiten im Handwerk hervor: „Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Handwerk leicht rückläufig. Die Pandemie hat sicherlich dazu beigetragen, dass deutlich weniger Vorstellungsgespräche in Präsenz geführt werden konnten. Auch die notwendigen Praktika zur Erprobung eines Ausbildungsberufes im Handwerk konnten nicht absolviert werden. Dies führte dazu, dass weniger Ausbildungsverträge geschlossen werden konnten. Es werden seitens des Gesamthandwerks weiterhin viele Anstrengungen notwendig sein, um auch im kommenden Jahr diese Aufgabe zu bewältigen. Ziel sollte es sein, eine weitere Steigerung – insbesondere bei den Abstimmungsmaßnahmen – im Bereich der Passgenauigkeit – der Ausbildungsverhältnisse zu erreichen. Die Zusammenarbeit und Initiativen der beteiligten Akteure sollten weiter ausgebaut werden. Die Vorzüge einer Ausbildung im Handwerk müssen den Jugendlichen aufgezeigt werden. Hier sind die hervorragenden Möglichkeiten der Weiterbildung im Anschluss an eine erfolgreiche Ausbildung vordergründig zu nennen. Dies kann ein wichtiger Grundstein für eine weitere berufliche Karriere sein.“

Praktika haben gefehlt

Dirk W. Erlhöfer, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen, nennt drei der größten Corona-Herausforderungen: „Industrie und Dienstleistungen im mittleren Ruhrgebiet bekennen sich auch weiterhin zur dualen Ausbildung. Allerdings überschatten das Pandemiegeschehen und dessen Begleiterscheinungen auch weiterhin den Ausbildungsmarkt. Um nur drei Aspekte zu nennen: Die anhaltende Störung der internationalen Lieferketten führt zu einer erheblichen Verunsicherung bei der Personalbedarfsplanung und damit auch beim Angebot von neuen Ausbildungsplätzen. Zweitens konnten Ausbildungsplätze in verstärktem Maße nicht besetzt werden, weil die üblichen Maßnahmen der Berufsorientierung (zum Beispiel Praktika, Schulmessen und so weiter) pandemiebedingt nicht stattfinden konnten. Und schließlich führten die geltenden Abstandsregeln dazu, das Ausbildungswerkstätten nicht im üblichen Maße ausgelastet werden konnten.“

Jungen Menschen eine Chance geben

Stefan Marx, Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbunds Region Ruhr-Mark, hält fest, dass es fast 20 Prozent weniger Ausbildungsstellen im Vergleich zum Vorjahr gibt. Die Bilanz auf dem Ausbildungsmarkt in Herne sei für ihn besorgniserregend: „Auch wenn die Zahlen der vollzeitschulischen Ausbildung (Pflegebereich) fehlen, ist ein großes Defizit nicht zu übersehen. Dabei singen die Betriebe seit Jahren das gleiche Lied von fehlenden Fachkräften. Dass Fachkräfte an vielen Stellen fehlen, ist aber kein Wunder, wenn sie nicht ausgebildet werden. Jetzt ist das ein Problem für die Jugendlichen in unserer Region, denen oft keine Perspektive für einen erfolgreichen Einstieg in das Erwerbsleben geboten wird. Einem vermeintlich schwächeren Bewerber eine Chance zu geben und auch mal mehr Zeit in die Ausbildung eines jungen Menschen zu investieren: Diese Herausforderung sollten Betriebe gerne annehmen, damit fehlende Fachkräfte morgen nicht zum Hemmschuh unserer Region werden.“

Wer noch sucht, kann sich hier melden

Jugendliche können in der Lehrstellenbörse, einem Service der IHKs, freie Ausbildungsplätze finden, sich über die verschiedenen Ausbildungsberufe informieren und einen Selbsttest durchführen, um zu sehen, welcher Beruf zu ihnen passt.

Der Ausbildungsatlas listet sämtliche Ausbildungsbetriebe der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Hier finden Interessierte den passenden Betrieb in ihrer Nähe.

Die Berufsberater der Agentur für Arbeit stehen jederzeit telefonisch unter 0800 4 5555 00, per E-Mail an bochum.berufsberatung@arbeitgeber.de zur Verfügung. Weitere Informationen gibt es auf www.arbeitsagentur.de/beratungswunsch.

Ausbildende Betriebe, die in den Ausbildungsatlas aufgenommen werden möchten, richten ihre Anfrage an Alexandra Brnicanin von der IHK Mittleres Ruhrgebiet, zu erreichen unter 0234 9113-182 oder per Mail an brnicanin@netzn.ihk.de. Die Agentur für Arbeit ermöglicht Arbeitgebern auch eine kurzfristige Bewerbersuche. Anfragen sind an die 0800 4 5555 20 zu richten, können aber auch über die persönlichen Betreuerinnen und Betreuer im Arbeitgeber-Service sowie auf bochum.arbeitgeber@arbeitsagentur.de durchgegeben werden.