Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit im Einklang

29. April 2024 | Ausgabe 2024/3

Seit mehr als 100 Jahren Hraftsport in Herne

Der KSV Herne weckt nostalgische Erinnerungen und lässt Muskeln wachsen.Es lässt sich nicht mehr nachhalten, aber dennoch ist eines ziemlich sicher: Beim KSV Herne 1920 e.V. wurden in den letzten 104 Jahren wohl mehr Kilos mit reiner Muskelkraft bewegt als irgendwo sonst in unserer Stadt.

Starke Männer und Frauen stemmen in Hernes ältestem Kraftsportverein seit Generationen Tonnen an Gewichten, stählen ihre Körper und halten sich bis ins hohe Alter mit sichtbarem Erfolg fit. Bis 1976 im Fuchsbau neben der alten Gaststätte Storck nahe der Kreuzkirche beheimatet, ist die Kraftsportabteilung des Vereins seit 1978 in einem Raum der benachbarten Wohntürme in der Herner Innenstadt zu finden.

„Die ältesten Hanteln stammen aus dem Jahr 1937, einige davon waren schon bei Olympischen Spielen im Einsatz.

Franz-Josef Szymczak im Kreise seiner Weggefährten.

Schnörkellos, aber funktional

Ein großer, quadratischer Raum mit holzvertäfelten Wänden, vollgepackt mit Gerätschaften zur Ertüchtigung einzelner Körperpartien, Hanteln und Gewichte in verschiedenen Größen, ein Sandsack, viele Spiegel und bei Bedarf aufmunternde Musik aus dem großen Lautsprecher: Mehr braucht es offensichtlich nicht, um Muskelmasse aufzubauen und zu erhalten. Immerhin: Ansporn erhalten die Trainierenden auch von den zum Teil historischen Bildern großer Kraftathleten, wie etwa Arnold Schwarzenegger, die leicht bekleidet von den Wänden grüßen. 

Museumsstück

Passend zu dem reduzierten Umfeld ist das Trainingsgerät zum Teil älter als seine Nutzer. „Die ältesten Hanteln stammen aus dem Jahr 1937, einige davon waren schon bei Olympischen Spielen im Einsatz. Viele andere Dinge in diesem Raum sind selbstgemacht“, erklärt Franz-Josef Szymczak, der Vorsitzende des Vereins und Abteilungsleiter bei den Kraftsportlern.

Große Pokalsammlung

Der 75-Jährige geht noch zweimal in der Woche an die Geräte und ist erstaunlich fit für sein Alter. „Mir ging es immer darum, dass Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit im Einklang stehen“, erklärt Szymczak seine Philosophie, mit der er vor allem in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts beachtliche Erfolge feiern konnte. Szymczak, einst ein Bild von einem Athleten, errang Titel wie „Mister Berlin International“ und war zweimal Deutscher Vizemeister im Kraftsport. Zuhause, in der Siedlung Teutoburgia, hat sich eine recht ansehnliche Sammlung an Pokalen angesammelt.

Kaum zu glauben, aber ds mittlere Bid entstand direkt vor dem Rathaus Herne. An den Gewichten zu sehen ist Oskar Lutz, der den KSV lange Jahre prägte. Auf dem linken Bild ist Lutz mit seiner Medaillensammlung abgebildet.

Bleiweste beim Laufen

Sein Erfolgsrezept? Hartes Training der Muskeln und der Ausdauer. Letztere erarbeitete er sich aber nicht schnöde auf dem Laufband, sondern unter anderem bei Treppenläufen und im Wald. „Früher bin ich sechsmal hintereinander, zweimal die Woche, die Treppen im Hochhaus rauf und runter gejoggt, immer vier Stufen mit einem Schritt und nicht selten mit Bleiweste. Zusammen mit den Waldläufen, ebenfalls zweimal in der Woche, habe ich mir so die nötige Fitness und Ausdauer geholt“, so Szymczak.

Hammer-Werfer

Sportliche Höchstleistungen waren beim KSV Herne schon immer ein Thema. Die Geschicke des Vereins, der in seinen Glanzzeiten bis zu 500 Mitglieder hatte, lenkte einst mit Oskar Lutz eine echte Sportlegende. Der schaffte es als Hammerwerfer bis zu den Olympischen Spielen und stellte einst einen inoffiziellen Weltrekord über 59,07 Meter auf.

10. Dan

Auch Willi Kempka, der 2023 im Alter von 90 Jahren verstorben ist und den Verein lange Jahre aktiv mitgestaltete, war ein hoch dekorierter Sportler, errang unter anderem den sehr seltenen 10. Dan im Jiu-Jitsu. Auch der ehemalige Box-Europameister im Halbschwergewicht Lothar Stengel sowie Profi-Catcher Günther Nordhoff, der eigentlich Günter Notthoff hieß und auch als Schauspieler im Fernsehen zu sehen war, trainierten in ihrer Jugend beim KSV Herne. 

Echter Gladiator

Sogar bis nach Hollywood reichte die Karriere eines weiteren Talentes, das Franz-Josef Szymczak in den späten 1970er Jahren für kurze Zeit mitformen durfte. Ralf Möller, ein ausgebildeter Schwimmmeister aus Recklinghausen, baute zwei Jahre lang im Fuchsbau seine Muskeln auf, ehe es ihn in die große weite Welt des Bodybuildings zog, wo er es mit seinen 1,97 Metern bis zum Mister Universum brachte und später als muskelbepackter Schauspieler weltweiten Erfolg hatte.

Für jeden

An der Basis ist der KSV Herne 1920 e.V. breit geblieben, deckt heute neben dem Kraftsport auch die Bereiche Aikido, Judo und Jiu-Jitsu ab. Die dafür benötigten Räumlichkeiten sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt, etwa in den Flottmannhallen, der Sporthalle der Erich-Fried-Gesamtschule und eben im Wohnturm an der Kreuzkirche.

Angemessenes Training

Frauen und Männer aus allen Berufsgruppen sind heute an Bord, bei den Kraftsportlern sind es aktuell rund 40 aktive Mitglieder, insgesamt rund 200 Frauen und Männer. Vom Handwerker über den Polizisten bis zum Arzt reicht das Spektrum. Die wenigsten davon gehen mit der Intensität zu Werke, die Franz-Josef Szymczak in seinen besten Zeiten an den Tag gelegt hat. Der ehemalige Elektrotechniker und Ausbilder mutete sich neben der Arbeit zwei mal drei Stunden tägliches Training zu, ergänzt um die Wald- und Treppenläufe und das alles sechsmal die Woche. 

Das Wissen der alten Hasen

Nicht ohne Stolz zeigt er deshalb auch gerne seine Fotos aus Wettkampftagen, wo er im knappen Outfit seine Muskeln der Kamera präsentierte. Die Mitglieder, die heute ins Hochhaus kommen, legen zum überwiegenden Teil nicht ganz so viel Wert auf Körperkult, wissen neben den gesundheitlichen aber auch um die ästhetischen Vorteile dieser Art des Trainings. Der Stadtverordnete Roberto Gentilini etwa schaut seit seinem 18. Geburtstag mehr oder weniger regelmäßig vorbei und hält seinen Körper hier fit, weil er sich bei Franz-Josef Szymczak „sehr gut aufgehoben und betreut“ fühlt. Die unaufgeregte, ja beinahe schon historisch anmutende Atmosphäre im Trainingsraum und das große Fachwissen der alten Hasen tragen ihren Teil dazu bei, dass der KSV auch in Zeiten hochmoderner Fitnessstudios noch Zulauf hat und sich aktuell nicht um die Zukunft sorgen muss. Und wer weiß, vielleicht werden die Hanteln, die in bislang achteinhalb Jahrzehnten jede Menge Körper definiert haben, selbst auch noch ihren einhundertsten Geburtstag erleben, allzu lang ist es ja nicht mehr hin.

Text: Philipp Stark     Fotos: KSV, Philipp Stark