Sei Crange! ist hier fast Pflicht

Blick hinter die Kulissen

20. Juli 2019 | Freizeit

Wenn Kirmesbesucher ihr Auto suchen

Es sind Typen wie Bernd Bußmann. Seit 40 Jahren besitzt er einen Taxischein und genauso lange fährt er bereits zum Rummel. „Hier lernt man die ganze Bandbreite kennen, die es an Menschen gibt“, verrät der 61-Jährige. „Da gibt es die Kirmesbesucher, die nicht mehr wissen, wo sie ihr Auto abgestellt haben. Dann werden die ganzen Parkplätze abgefahren. Oder das Portemonnaie ist verschwunden und die Menschen wissen nicht mehr, wie sie das Taxi für die Rückfahrt bezahlen sollen. Da fließen auch schon mal Tränen.“ Einen Fall wird Bußmann nie vergessen: „Eine ältere Frau hatte ihr Geld verloren und ihre Familie. Sie war völlig aufgelöst und zitterte am ganzen Körper.“ Für den Taxiunternehmer stand schnell fest: Diese Frau fährt er auch ohne Aussicht auf Bezahlung nach Hause. In Wattenscheid angekommen, gab es für beide ein Happy End. Die vermissten Kirmesbesucher warteten schon auf ihre Oma und der Taxifahrer ging auch nicht leer aus. Natürlich gibt es auch weniger schöne Fahrten, wenn Betrunkene sich daneben benehmen oder kaputte Bierflaschen auf der Straße die Reifen in  Mitleidenschaft ziehen, „insgesamt macht die Kirmeszeit aber Spaß, man lernt viele neue Leute kennen“, betont Bußmann. Zum Teil auch neue Orte. Denn eine Taxifahrt kann im August dann schon mal bis ins Sauerland führen. Schnell geht es im Anschluss wieder zurück zur Kirmes. Dort wartet schon der nächste Gast. „Ab 23 Uhr geht es so langsam los“, berichtet Bußmann, der quasi Kirmesblut in den Adern hat. Als Kind in Unser Fritz aufgewachsen, unterstützte er schon als Zwölfjähriger seinen Vater auf Crange, der dort viele Jahre einen Bierstand betrieb.

Wasserversorgung für eine „kleine Stadt“

Und was benötigt man an einem Bierstand unbedingt, um die Gläser zu spülen? Richtig: Wasser. Womit wir bei Monika Heidicker wären. Die Firma Heidicker ist seit Jahrzehnten für die Wasserversorgung während der Cranger Kirmes zuständig. „Jeder Tropfen kommt von uns“, erklärt die Chefin, die nicht nur die Bierstände, die anderen gastronomischen Betriebe oder die Wasserbahn aufzählt, die auf die Leitungen angewiesen sind. „Hier entsteht ja für zehn Tage eine kleine Stadt. Auch die Schausteller brauchen ja Wasser zum Duschen und Kochen“, berichtet die 67-Jährige, für die es ab der zweiten Juliwoche so richtig ernst wird. „Alles wird dann noch einmal durchgespült und desinfiziert, schließlich muss alles Trinkwasserqualität haben.“ Die Standrohre für die zahlreichen Zapfstellen kommen von den Stadtwerken und sind natürlich längst alle im Einsatz bevor der Oberbürgermeister das Fest offiziell eröffnet. „Wir stehen auch im Austausch mit den Schaustellern und arbeiten auf  Zuruf. So wissen wir, wann wo welcher Wohnwagen aufgestellt wird“, erklärt Monika Heidicker, die mit ihrer Firma nur einen Steinwurf vom Cranger Tor beheimatet ist. Allein schon deshalb war die Kirmes auch für ihren Mann Jochen immer eine Herzensangelegenheit. Er verstarb vor sechs Jahren. Inzwischen hat sich die Firma aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen.  „Gemeinsam mit einer Partnerfirma machen wir jetzt nur noch die großen Feste und Veranstaltungen. Crange gehört natürlich dazu.“

Festumzugsfahrer aus Leidenschaft

Alfred Owicki ist zwar in Gelsenkirchen aufgewachsen, im August zog es ihn aber schon als kleinen Jungen über die Stadtgrenze nach Crange. „Natürlich war ich schon immer ein Kirmesfan“, gesteht der 46-Jährige. Doch diese Leidenschaft ist in den vergangenen fünf Jahren noch einmal deutlich gestiegen. Da saß er zum ersten Mal hinter dem Lenkrad und steuerte den Wagen der „Wanner Weiber“ vom Sankt-Jörgens-Platz über die Hauptstraße. Diese Premiere hinterlässt noch heute einen bleibenden Eindruck. „Mit diesen Menschenmengen rechts und links an der Straße hätte ich nie gerechnet. Diese Massen kannte ich vom Umzug aus Düsseldorf oder Köln, aber doch nicht aus Wanne-Eickel“, betont der heute in Essen lebende LKW-Fahrer. Kurios: Schon in den Jahren zuvor wollte er schon immer mal beim Kirmes-Umzug dabei sein, hatte  es aber nie geschafft. Heute weiß er umso besser, was ihn erwartet, wenn er sich am ersten Samstag im August um 8 Uhr mit den „Wanner Weibern“ in Eickel trifft. „Zur Stärkung frühstücken wir erst einmal gemeinsam.“ Eine Stärkung, die wichtig ist. Denn obwohl die Fahrt mit dem geschmückten Wagen nur rund 90 Minuten dauert und nur etwa vier Kilometer zurückzulegen sind, ist absolute Konzentration gefordert. „Bei so viel Publikum muss man sehr gut aufpassen, damit nichts passiert. Sicherheit hat beim Kirmesumzug höchste Priorität.“

Kehrmaschine als letzter Wagen

Kaum setzt sich der Lindwurm mit den mehr als 100 Gruppen in Bewegung, gilt das auch als Startsignal für die Männer von der Entsorgung Herne. Die  Kehrmaschine ist quasider inoffiziell letzte Wagen des Umzuges und muss die Überreste einsammeln, die auf der bunten Partymeile zurückgelassen wurden. „Da ist im Umgang mit den Gästen auch  viel Fingerspitzengefühl gefordert“, verrät Markus Schneiders, der fast jedes Jahr dabei ist, wenn bis zur „Flora Marzina“ wieder die Besen geschwungen werden. Auch am Morgen nach jedem Kirmestag ist das große Auf- und Wegräumen angesagt. Die erste Schicht mit den Sperrmüllwagen rückt bereits um 5 Uhr an. Schneiders: „Dann werden die Säcke verladen, die die Schausteller vor ihren Ständen abstellen. Allein so kommen pro Tag rund acht bis neun Tonnen Müll zusammen.“ Eineinhalb Stunden später fahren dann noch einmal drei Kehrmaschinen über den Kirmesplatz. Mit Unterstützung von zwei Kollegen wird dann noch einmal alles aus den Ecken gefegt, damit die Gäste einen sauberen Platz vorfinden. Danach dreht natürlich auch der 38-Jährige mit seinem Kind eine Runde. Wenngleich der gebürtige Xantener gesteht: „Jeden Tag muss ich das nicht haben. Die Begeisterung für die Kirmes kann ich aber gut verstehen, Crange ist für die Menschen hier etwas Besonderes...“

Michael Paternoga