Sicherheit

Damit kriminelle Jugendliche die Kurve kriegen

18. August 2016 | Gesellschaft

„Das ist die Liste, der Taten, die ein durchschnittlicher jugendlicher Intensivtäter bis zu seinem 25. Lebensjahr begeht“, sagt Jäger und rollt eine dicht beschriebene Papierschlange quer durch den Saal. „Dieser Jugendliche hat 100 Menschen etwas angetan und die Gesellschaft 1,7 Millionen Euro gekostet.“ Mit diesen Zahlen belegt der nordrhein-westfälische Innenminister, wie wichtig es ist, diese kriminelle Karriere zu stoppen. Deswegen finanziert das Land NRW nun ein Projekt, an dem auch die Stadt Herne teilnimmt. Straftäter ab acht Jahren sollen frühzeitig lernen, sich an Regeln zu halten.

„Das ist ein wichtiges Projekt und wir sind froh, dass wir diese Hilfe für Familien mit Kindern im Alter ab acht Jahren jetzt anbieten können. Es ist nötig, so früh anzusetzen, weil kriminelle Karrieren teilweise sehr früh beginnen, aber die Strafmündigkeit noch nicht gegeben ist“, erklärt Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda. Er findet es wichtig, damit die Arbeit von Polizei und Jugendamt zu ergänzen.

  • NRW-Innenminister Ralf Jäger mit der Wittener Bürgermeisterin Anja Leidemann, Polizeipräsidentin Kerstin Wittmeier und Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda. © Frank Dieper, Stadt Herne

Das Projekt ist auch Opferschutz

Um diese Kinder und Jugendlichen mit außergewöhnlichen kriminellen Karrieren zu erreichen, arbeiten nun drei Pädagogen der Bochumer Stiftung Overdyck im Polizeipräsidium Bochum. Sie wirken zusammen mit den Tätern und ihren Familien daran, die Kinder aus der Kriminalität zu holen . „Diese Konstellation ist bundesweit einmalig“, betont Innenminister Jäger. Dabei geht es nicht nur darum, kriminellen Kindern eine neue Perspektive zu geben, erklärt Polizeipräsidentin Kerstin Wittmeier. „Was wir hier investieren, macht sich mehrfach bezahlt.“ Zum einen natürlich finanziell, denn Haftstrafen und Resozialisierung von Straftätern sind teuer. „Es ist auch Opferschutz“, so Wittmeier. Denn je früher straffällige Kinder und Jugendliche ihr Leben wieder in den Griff bekommen, desto weniger Menschen werden Opfer von Straftaten.

Die teilnehmenden Kinder werden nach bestimmten Kriterien ausgesucht, erklärt der Polizist Joachim Wiegold, der in der Kriminalprävention arbeitet. „Es geht nicht um die Kaugummiklauer, es geht um mögliche Intensivtäter“, also Kinder, die schon im Grundschulalter rauben, erpressen oder gewalttätig werden. Diese sechs Prozent Intensivtäter begehen immerhin 40 Prozent der Straftaten die Kinder und Jugendliche insgesamt verüben.

Eltern freuen sich über Angebot

Um ihnen ein Leben ohne Kriminalität zu ermöglichen, nehmen die Pädagogen zuerst Kontakt zu den Familien auf und stellen sich vor. Die Fachkräfte arbeiten zwar mit der Polizei zusammen, beteiligen sich aber nicht an Ermittlungen, stellt Diplom-Sozialarbeiter Peter Kranke klar. „Ein Polizist hat eine Strafverfolgungs-Pflicht, ich habe eine Schweigepflicht.“ Dadurch erfahre er auch Dinge, die die Kinder der Polizei nicht verraten würden. Außer den Familien werden auch das Jugendamt, Schulen, Vereine und gegebenenfalls Therapeuten der Kinder einbezogen.

Meist wüssten die Familien schon, dass bei ihren Kindern etwas schief läuft und würden gerne am Projekt teilnehmen, erzählt Wiegold: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir von den Eltern meist mit absolut offenen Armen empfangen werden. Die Eltern sehen das meistens sehr positiv, die Kinder sehen das nicht immer positiv, denn es bedeutet, sich mit unangenehmen Dingen im eigenen Leben zu beschäftigen.“ Zum Beispiel absolvieren die jungen Täter ein Training fürs Sozialverhalten, ein Anti-Gewalt-Training und sie lernen, in schwierigen Situationen ruhig zu bleiben.

Mit den Ergebnissen sind die Beteiligten sehr zufrieden: Viele der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen bleiben nach dem Projekt straffrei. „Und die Zusammenarbeit von pädagogischen Fachkräften und der Polizei läuft reibungslos“, berichtet Sozialarbeiter Peter Kranke.

Innenminister Ralf Jäger möchte das Projekt nun Stück für Stück ausweiten: „Das muss ein Regelangebot werden, weil es wirkt.“ Vier andere Bundesländer und die Schweiz haben sich bereits nach dem Konzept erkundigt.