Der neue Oberbürgermeister im Interview mit inherne.net

Der Anfang ist gemacht

20. November 2015 | Gesellschaft

Inherne: Nach Ihrer Wahl haben Sie gegenüber der WAZ geäußert, dass das, was auf Sie eingeströmt ist, gewaltig gewesen sei, hat sich dies inzwischen kanalisiert?

Dr. Frank Dudda: Es ist in der Tat unverändert massiv und es betrifft verschiedene Ebenen des politischen Handelns. Ich habe zum Beispiel Briefe von vielen Oberbürgermeisterkolleginnen und -kollegen aus Städten erhalten, die mir persönlich nicht bekannt sind, die aber sehr aufmerksam verfolgt haben, wie wir in Herne Wahlkampf gemacht haben. Das Schöne ist, dass auch Briefe von Kollegen dabei sind, die nicht in der SPD sind. Das zeigt, dass man in politischen Kreisen den Blick auf Herne geworfen hat und das ist schon mal eine Anerkennung.

Inherne: Was bedeutet diese Anerkennung für die interkommunale Zusammenarbeit, zum Beispiel für das Bündnis „Für die Würde unserer Städte“?

Dudda: Das ist ein positives Signal. Es wird wahrgenommen, dass wir uns aus der Negativspirale befreien wollen. Das wird nicht von heute auf morgen gelingen, aber man muss die Weichen so stellen, dass wir Schritt für Schritt besser aufgestellt sind als in der Vergangenheit. Die Kollegen, die mich angeschrieben haben, haben das Signal verstanden und sehen das ähnlich.

Inherne: Die finanzielle Ausstattung der Kommunen ist ein zentrales Thema und wird dies auch in Ihrer Amtszeit bleiben. Wird die Stimme Hernes und des Ruhrgebiets dazu in den politischen Zentren, in Düsseldorf und Berlin, ausreichend wahrgenommen?

Dudda: Ich glaube, das Bündnis der Oberbürgermeister und Landräte ist mittlerweile in Berlin angekommen und mit meinem Gelsenkirchener Amtskollegen Frank Baranowski verfügen wir auch über eine starke erste Stimme. Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel zählten zu meinen ersten Gratulanten. Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass es nicht schlecht sein könne, wenn in Berlin noch mehr Oberbürgermeister auftreten würden, die schon über eigene Netzwerke verfügen – und über diese verfüge ich, wie nicht zuletzt die Anrufe der Ministerpräsidentin und mancher Minister belegen.

Inherne: Was sind gegenwärtig die größten Herausforderungen, die sich Herne stellen?

Dudda: Das größte Problem ist unverändert der Arbeitsmarkt mit den daraus resultierenden sozialen Strukturproblemen. Von daher kommt es darauf an, die Sozialstruktur zu verbessern. Gelingt dies, haben wir weniger Sozialausgaben und damit ein geringeres Finanzproblem. Wir steigern die Kaufkraft und gewinnen dadurch mehr Möglichkeiten, unter anderem im Einzelhandel Akzente zu setzen. Es ist also ein Kreislauf. Der Arbeitsmarkt ist unser Hauptaugenmerk wert.

Inherne: Dementsprechend haben Sie den Ansatz gewählt und ein Bündnis für den Arbeitsmarkt ins Leben gerufen?

Dudda: Ja. Ich bin der Überzeugung, dass die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik so komplex sind, dass man sie nicht im regulären Verwaltungsbetrieb abarbeiten kann. Man muss eigene Netzstrukturen aufbauen, um die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen. Daher habe ich das Bündnis auch schon in meiner zweiten Woche im Amt einberufen. Bei der Agentur für Arbeit, die das ganze mitentwickelt hat, habe ich offene Türen eingelaufen. Mit den bekannten ersten positiven Effekten: Fünf neue Ausbildungsplätze bei der Stadt, drei bei der Diakonie, einen im Handwerk und die Option auf gut 10 Ausbildungsstellen bei Evonik in Marl. Wir wollen damit auch diese psychologische Glocke, die über der Stadt hängt, aufbrechen. Der Anfang ist gemacht.

Inherne: Ist in diesem Zusammenhang auch zu betrachten, dass Ihnen das Image der Stadt und ihre Außendarstellung sehr am Herzen liegen?

Dudda: Das ist so. Nur kann das Image einer Stadt nicht durch eine Anordnung des OB verändert werden. Man muss an einigen Stellen so arbeiten, dass die Stadt bundesweit wahrgenommen wird. Die Landesgartenschau wäre dafür eine Chance gewesen, umso bedauerlicher, dass wir nicht mit unseren Partnern den Zuschlag erhalten haben. Ich kann nicht nachvollziehen, dass uns die interkommunale Zusammenarbeit bei der Bewerbung eher negativ ausgelegt worden ist. In anderen Bereichen wird sie von uns eingefordert. Der Imagegewinn durch die Landesgartenschau wäre groß gewesen.

Inherne: Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine große Herausforderung für die Stadt. Es besteht in Herne eine Willkommenskultur, sehen Sie, dass diese kippen könnte?

Dudda: Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Wobei man auch sagen muss, dass wir nicht über unbegrenzte Möglichkeiten verfügen, Menschen in unserer Stadt unterzubringen. Wir wollen Hilfe leisten und Menschlichkeit bewahren, aber eine dicht besiedelte Stadt wie Herne stößt irgendwann auch an ihre Grenzen. Neben der Unterbringung ist natürlich auch die Integration ein wichtiger Punkt. Den beleuchten wir in der Verwaltung, unter anderem aber auch im Bündnis für Arbeit. Es ist eine Herkulesaufgabe, die aber gelingen muss.

Inherne: Die Aufgabe stellt die Stadt auch vor weitere finanzielle Schwierigkeiten. Wünschen Sie sich eine größere Unterstützung durch Bund und Land, über die bisherigen Zusagen hinaus?

Dudda: Ohne Zweifel! Mit den Ergebnissen, die am 24. September in Berlin vereinbart worden sind, war ich sehr unzufrieden. Ich setze da auf die Dynamik des Politikbetriebs. Das heißt: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Wir stimmen uns unter den Oberbürgermeistern und Landräten des Ruhrgebiets ab, wie wir den Druck hoch halten.

Inherne: Der Wechsel vom Fraktionsvorsitz der SPD im Rat auf den OB-Stuhl ist vollzogen. Ist die Umstellung schwer gefallen?

Dudda: Die Aufgabe ist eine andere. Man muss sich an sie gewöhnen und auch lernen. Niemand ist ein geborener OB. Allerdings habe ich bereits verschiedene Etappen in meinem Leben beschritten und dort mich der jeweiligen Aufgabe schnell genähert. Was mir nicht verloren gehen wird, ist der Wille etwas zu bewegen und der damit verbundene Schwung. Der hat zwar auch schon mal irritiert, die meisten Menschen, die mit mir zusammengearbeitet haben, fanden das aber durchaus belebend.

Inherne: Welche Aufgaben eines Oberbürgermeisters finden Sie besonders reizvoll, welche Dinge sehen sie hingegen als Pflichtveranstaltung an?

Dudda: Die Einbindung in die vielen Tochtergesellschaften ist sicher ein strapaziöses Geschäft hinter den Kulissen, da ein OB dort in vielen Gremien und Untergremien erwartet wird. Das nimmt die Öffentlichkeit kaum wahr, aber auch diese harte Kernerarbeit muss geleistet werden. Da aber auch die Zeit eines OB endlich ist, muss man dort sehr genau hinschauen, denn es gilt auch, Aufgaben außerhalb der Stadt, beispielsweise beim Deutschen Städtetag wahrzunehmen. Gern bin ich im Dialog mit unseren Bürgerinnen und Bürgern.

Inherne: Die Zeitfenster für die Erholungsphasen sind dementsprechend kleiner geworden. Wie nutzen sie diese?

Dudda: Ich arbeite viel, bin aber kein Workaholic. Zudem betätige ich mich sportlich und bin gerne mit der Familie samt Hund unterwegs. Musik und Literatur begeistern mich. In meiner vorherigen Tätigkeit hatte ich die Aufgaben des Geschäftsführers des Bundesverbandes selbstständiger Physiotherapeuten und die des Fraktionsvorsitzenden in einer der 50 größten deutschen Städte zu vereinen. Das war auch nicht ohne. Für den neuen Alltag sammle ich nun Erfahrungen und habe viele Leute, die mithelfen. Dann gelingt das auch.

Inherne: Wo sehen sie die Stärken Hernes?

Dudda: Eindeutig im Zusammenhalt. Ich habe nach meiner Wahl fast hundert Briefe erhalten, in denen die Menschen signalisiert haben, dass sie bereit sind, mitzumachen. Das widerspricht auch dem, was nach der Wahl aufgrund der geringen Beteiligung nach außen über Herne wahrgenommen worden ist. Die geringe Wahlbeteiligung kann man erklären, aber Herne hat auch eine aktivere Stadtgesellschaft  als man meint - und für die möchte ich Impulse setzen.

Inherne: Wo liegen die Schwächen der Stadt?

Dudda: Wesentlich in der Sozialstruktur und darin, dass viele Menschen resigniert haben. Diese Menschen sehen auch durch einen OB-Wechsel für sich keine Veränderungen für die Stadt und ihre persönliche Lage. Dadurch verlieren wir hier im Ruhrgebiet den Anschluss. Dem kann man nur intensiv entgegenwirken und sagen, dass wir das anders sehen, dass man Ideen haben muss und wenn davon die eine oder andere gut funktioniert auch eine positive Änderung eintreten kann.

Das Interview führte inherne-Redakteur Christoph Hüsken.