Der Mann mit der Kamera

31. Oktober 2019 | Ausgabe 2019/4

Bild oben: Brockenhaus Herne. Die Fotos entstanden1983/84 mit Jugendlichen, die an einer Arbeitsloseninitiative der Gesellschaft freie Sozialarbeit teilnahmen.

Eine Retrospektive des Fotografen Wolfgang Quickels

Text: Ralf Piorr Fotos: Wolfgang Quickels, Carola Quickels

Als freier Journalist war ich immer froh, wenn mir die WAZ-Redaktion Wolfgang Quickels als Fotografen schickte. Es war bemerkenswert, wie viel Zeit er sich für die Menschen nahm, die er portraitieren sollte, keine  Selbstverständlichkeit im eng getakteten Tagesgeschäft eines Zeitungsfotografen. Vielleicht konnte er sich so geduldig auf die Protagonisten einlassen, weil er um die Brüche und Fallstricke des Lebens wusste. Seinen ersten Job als Bildredakteur quittierte er 1984 mit einem veritablen Burnout. Immer alles im Griff zu haben, diese Illusion hatte er früh aufgegeben.

 

Portrait Opa und Oma Kroll, 1982

Ohne Titel

Malakowturm und Aufbauten der Zeche Hannover, 1981

Arbeitskampf auf Zeche Ewald, 1987

Kampf um den Erhalt der Zeche Ewald
1952 in der Gartenstadt in Eickel geboren, blieb Wolfgang Quickels der Stadt Herne stets verbunden. Als er 1985 zur WAZ nach Herten wechselte, war es fast ein Auswärtsspiel. In der damals größten Bergbaustadt Europas erlebte er als Bildredakteur den Kampf um den Erhalt der Zeche Ewald hautnah mit: die konsternierten Gesichter der Kumpels, die von der Gewerkschaft domestizierten Proteste, die lodernden Mahnfeuer und schließlich Wut und Resignation, die zum ungezügelten Sturm auf die A2 führten. Quickels war vor Ort, drückte auf den Auslöser. „Erst stirbt die Zeche, dann die Stadt“, lautete das Motto der Protestbewegung, die dann doch vergebens war. Ewald wurde abgewickelt. Aber entgegen den Befürchtungen war der Zerfall des Bergbaus nicht das Ende der Zukunft. Weder für Herten noch für die Region.
„Wolfgang war wie mit der Kamera verwachsen“, erzählt seine Ehefrau Carola und erinnert sich an den Trouble, wenn wieder diverse Kamerataschen und Ausrüstungsgegenstände das Urlaubsgepäck beschwerten oder eine spontane Radtour in ein logistisches Unterfangen verwandelten. Seit 1980 waren sie ein Paar und hatten seit 1989 das alte Bergarbeiterhäuschen in Holsterhausen. Alles musste renoviert werden. Quickels mal anders: mit Plastikhelm und Schüppe.
Er war dabei, als die Kokerei Emscher-Lippe 1/2 in Datteln stillgelegt und die Werkshallen der Flottmann-Werke in Herne (fast vollständig) abgerissen wurden. Frühzeitig spürte er den emotionalen Wert, den die verlöschende Industrielandschaft für die Menschen dieser Region besaß.

Reduziert auf Linien und Details
Die Industriekultur entwickelte sich zum neuen Markenkern des Reviers und Wolfgang Quickels gehörte zu den Fotografen, deren Fotos eine bis heute gängige Ästhetik der industriekulturellen Farbfotografie etablierten. Reduziert auf architektonische Linien und Details und mit viel Gespür für das Umgebungslicht wurden die im neuen Glanz erscheinenden Relikte der montanindustriellen Großbauten in Szene gesetzt. Dabei suchte er stets das im klassischen Sinn perfekte Bild. Subjektive Stilelemente wie Unschärfe und grobkörnige Strukturen waren nicht seins. Als Fotograf nahm er sich zurück, bezog eine neutrale Position. Allein das Motiv sollte Geltung haben. 2007 kehrte Quickels zur WAZ nach Herne zurück. Drei Jahre später gründete er gemeinsam mit seiner Frau Carola und dem langjährigen Kollegen Günther Mydlak die online-Zeitung „halloherne“.

Aber dann wurde es schnell traurig. Mesotheliom wurde diagnostiziert, ein wildwachsender bösartiger Tumor, der zumeist durch Asbesteinwirkung hervorgerufen wird. Als Student hatte er bei WANIT in Unser-Fritz gearbeitet. Es gab nur noch Aufschub, aber keine Rettung mehr. Quickels arbeitete weiter – trotz 68 Chemo-Therapien. In den Redaktionsräumen von „halloherne“ richtete man ihm einen Raum mit einer Schlafcouch ein, damit er sich zurückziehen konnte, wenn er erschöpft war. Er experimentierte noch mit Video und am Ende, als fast gar nichts mehr ging, nahm er Bilder mit einer Lochkamera auf. Dann, am 8. Oktober 2014, wurde er selbst zur Erinnerung. Er starb im Alter von 62 Jahren.

RETROSPEKTIVE Wolfgang Quickels Fotografie
Eine Fotoausstellung im Heimatmuseum Unser Fritz und in der VHS-Galerie im Haus am Grünen Ring vom 16. November 2019 bis zum 19. Januar 2020. Weitere Infos unter: www.emschertal-museum.herne.de

Wolfgang Quickels mit seinen Söhnen Lucas und Lino bei Renovierungsarbeiten, 1992