Die letzte Begleitung

20. November 2020 | Ausgabe 2020/3

Christa Schodl arbeitet ehrenamtlich als Sterbebegleiterin beim Ambulanten Hospizdienst

Zuhören, Mut zusprechen, die Hand halten, da sein – das alles machen sogenannte Zeitschenker für Sterbenskranke und ihre Angehörigen. Bereits zwölf Menschen hat Christa Schodl begleitet – bis zu deren Tod. Die 67-Jährige ist eine von etwa 50 Sterbebegleitern des Ambulanten Hospizdienstes Herne.

Das Leben erzählen
Beim ersten Mal begleitete sie eine 70-jährige Dame, die an Krebs erkrankt war. Einmal die Woche besuchte Christa Schodl die Frau und ihren Mann. Es wurde viel geredet: „Das Ehepaar hat meine Anwesenheit genutzt, um sich selber das gemeinsame Leben zu erzählen. Das war total schön. Aber den körperlichen Verfall habe ich von Woche zu Woche sehen können.“ Als die Frau nicht mehr selbst sprechen konnte, hat sich die Ehrenamtliche mit dem Ehemann unterhalten – in der Hoffnung, dass die Sterbende viel davon mitbekam. Als sie die Dame noch einmal im Krankenhaus besuchten, wurde sogar zusammen über die geplante Beisetzung geredet: „Er hat ihr gezeigt, dass alles geregelt ist. Um 19 Uhr sind wir gegangen, um 20 Uhr ist sie verstorben. Das war ihr Abschluss“, erinnert sich Schodl, die später
auch die Beisetzung besuchte. „Ich habe in dieser Zeit so viel Dankbarkeit, Liebe und Wertschätzung erlebt“ – so sei sofort klar gewesen, dass sie die Tätigkeit auch weiter ausüben wolle.

Christa Schodl ist nach dem plötzlichen Tod ihres eigenen Mannes vor elf Jahren zurück nach Herne gezogen. Auf dem Weg zur Arbeit sei sie am Bahnhof immer wieder mit einer Frau ins Gespräch gekommen. Die habe ihr die Tätigkeit schmackhaft gemacht. Als sie dann in Rente ging, hatte sie die Möglichkeit: „Der Tag hatte auf einmal so viele Stunden. Ich wusste nicht, was ich mit meiner Zeit machen sollte“, erinnert sie sich. Kurz drauf meldete sie sich für den Vorbereitungskurs an. Das war 2016. „Das ist ein sehr intensiver Kurs, bei dem Berührungsängste abgebaut werden. Aber es geht auch um Selbstreflexion und eigene Trauererlebnisse“, berichtet Christa Schodl. Nach den 90 bis 100 Unterrichtsstunden habe sie sich dann fest dazu entschieden als Sterbebegleiterin tätig zu sein.

„Das Ehepaar hat meine Anwesenheit genutzt, um sich selber das gemeinsame Leben zu erzählen. Das war total schön.“

„Wenn ich gehe, wird gelacht. Das haben wir uns versprochen.“

Gemeinsam lachen
Dabei sind nicht alle Treffen mit kranken Menschen einfach. Manchmal bekommt sie auch deren Frust und die Wut zu spüren. „Aber dann sage ich: ,Wenn ich gehe, wird gelacht. Das haben wir uns versprochen.‘ Und das passiert dann auch. Diese Momente machen es mir leichter zu gehen, wenn dann gelacht wird.“ Einmal im Monat gibt es für die Ehrenamtlichen ein verpflichtendes Gruppentreffen. Hier können sie sich austauschen und gegenseitig beraten.

Insgesamt arbeiten etwa 50 Ehrenamtliche für den Ambulanten Hospizdienst Herne. „Wir kriegen Anrufe aus der Pflege, von Angehörigen oder Palliativmedizinern. Bei uns kann erstmal jeder anfragen“, erklärt Karin Leutbecher, die mit ihren Kolleginnen die Einsätze der ehrenamtlichen Kräfte koordiniert. Zunächst werden die Betroffenen von einer der Koordinatorinnen besucht. Anschließend wird geschaut, welcher Zeitschenker zu den Bedürfnissen passen könnte.

Ruhepausen für Ehrenamtliche
Der Ambulante Hospizdienst achtet darauf, dass die Zeitschenker nach einer Sterbebegleitung eine Ruhepause einlegen, um Erlebtes in Ruhe verarbeiten zu können. „Man wird in das Leben miteinbezogen“, erklärt Schodl. Einer Dame im Altenheim habe sie gruselige Krimis vorgelesen, da die ihre Stimme so angenehm fand. Einer anderen Frau habe sie immer wieder das Lieblingsparfüm auf ein Taschentuch gesprüht und ihr auf die Brust gelegt. Das seien ganz intime Momente, die sie nicht mehr vergisst.

Es geht bei der Sterbebegleitung nicht um pflegerische Tätigkeiten, sondern um emotionale Entlastung – für die Kranken und die Angehörigen. Das kann auch bis in die letzte Phase gehen: „Da geht es dann um Sitzwache: einfach anwesend sein, die Hand nehmen und Ruhe ausstrahlen“, so Karin Leutbecher, die betont, dass besonders körperliche Nähe coronabedingt gerade nicht möglich ist. Auch die Besuche in Heimen seien dadurch stark eingeschränkt. Für Christa Schodl ist die Arbeit eine Bereicherung: „An meine Substanz geht das nicht. Ich habe immer die Koordinatorinnen an meiner Seite. Wir tauschen uns telefonisch aus. Und wenn es nicht mehr gehen sollte, höre ich auf.“ Als Ausgleich bewegt sich die gebürtige Hernerin viel an der frischen Luft und engagiert sich für ihre beiden Patenenkelkinder, die sie ebenfalls ehrenamtlich betreut: „Dadurch beschäftige ich mich nicht nur mit dem Ende des Lebens, sondern auch mit der Unbeschwertheit der Jugend.“

Text: Anja Gladisch    Titelfoto: Frank Dieper