Interview mit vier Liverollenspielern über ihre Leidenschaft für das Böse

Die Orks aus Wanne-Eickel

5. Mai 2019 | Freizeit Gesellschaft

  • Orks in der U-Bahnstation. ©Jennifer Nowak

inherne: Wie sind Sie zum Larp gekommen und seit wann machen Sie das?

Broggah, 26 Jahre: Mein bester Freund Dustin und ich hatten beide ein Faible für Mittelalter und Fantasy. Angefangen hat es mit den Herr-der-Ringe-Filmen, inzwischen machen wir seit fast 15 Jahren Larp.

Bashkuk alias Dustin Seidich, 24 Jahre: Ich bin in Wanne-Eickel aufgewachsen und habe dort einen ganz besonderen Menschen kennengelernt: meinen besten Freund Broggah.  Wir hatten die gleichen Interessen: Mittelalter, Fantasy und Rollenspiel. Unsere Straße wurde schnell gedanklich in Felder, Burgen und Wälder umfunktioniert und war ein Traum für uns beide! Da mein Vater eine Schäftemacherei betreibt, hatten wir einen unerschöpflichen Vorrat an Lederresten, Nieten, Werkzeug und Maschinen und schnell wurden die ersten Rüstungen gebaut. Mein Vater baute uns die ersten Holzschwerter. Als wir uns die ersten Platzwunden zuzogen suchte mein Vater nach Alternativen. Zu der Zeit baute mein Onkel Steven seine ersten Larpwaffen und Masken. So kamen wir in Kontakt mit diesem Hobby. Inzwischen sind wir ungefähr zehn bis 14 Leute in der Truppe. Ich sehe diese Menschen mehr als Familie denn als Freunde an. Jeder bei uns steht für den anderen ein.

Worgahr alias Steven Molodecki, 32 Jahre: Meine ersten Kontakte mit Larp hatte ich um das Jahr 2000 über einen Kameraden eines Freundes, der uns in sein Haus einlud. Das gesamte Haus war vollgestopft mit Lederresten, Schaumstoffmatten, Rüstungsteilen und weiterem Bastel- und Gewandungskram. Unter Anleitung des Hausherren und seiner beiden Freunde bauen wir unsere ersten Larpwaffen aus schaumstoffummantelten Fieberglasfaserstäben, welche mit mehreren Schichten Latex bepinselt wurden. Die anderen verloren bald das Interesse. Ich versuchte mich in der Zeit bereits an meinen ersten Masken. Schon damals kam für mich nur ein Ork infrage. Aber da ich in meinem Umfeld niemanden mit ähnlichen Interessen hatte, verlief das im Sand. Im Laufe der Jahre konnte ich aber meinen Neffen fürs Larp begeistern – und er verbreitete es in seinem Freundeskreis. Jahre später, 2014, wurde aus uns dann der Orkclan Horrgarch Mok.

Razzlak, 20 Jahre: Meine Begeisterung für Orks und dergleichen war schon immer da. Durch Dustin habe ich Larp ausprobiert und fand es verdammt cool. Jetzt bin ich seit 2017 dabei.

  • Der Ork-Clan ohne Masken. © Jennifer Nowak

inherne: Was macht den Reiz am Larp und insbesondere an Orks aus?

Razzlak: Ich spiele einen Ork, weil man sich gehen lassen kann und sich verhält wie ein Tier, sobald man in seiner Rolle ist. Was einem auch wiederum zeigt das Menschen auch nur intelligente Tiere sind.

Bashkuk: Das Schöne beim Larp ist, dass man dem Alltag komplett entflieht, auf der Con hat man kein Handy, keine richtige Uhrzeit, keinen Strom, keine Technik. Man kann komplett abschalten. Der Reiz, einen Ork darzustellen, liegt darin, dass man alles ausleben kann, was man normalerweise nicht kann und nicht sollte! Man ist eine der bösesten Gestalten, also kann man plündernd, mordend und saufend durch die Welt schreiten – was das Abschalten von dem Alltag noch reizvoller macht.

Broggah: Dustin und ich sind häufiger auf dem Drachenfest gewesen und haben Menschen-Charaktere gespielt. Wenn dort eine Rotte von zwei bis drei Orks über den Platz läuft, gehen die anderen Gruppen ihnen aus dem Weg, in-time, also im Larp, haben sie schon fast Angst. Einmal sind wir von Orks zu einer Party eingeladen worden, da hat es klick gemacht. Wir Orks sind die typischen Antagonisten, man kann viel tiefer in das Spiel eintauchen. Es ist eine ganz eigene Kultur. Auf dem Drachenfest ist man immer die dunkle schwarze Wolke, die oben auf dem Hügel ihr Lager hat. Viele anderen Rollenspieler wollen sich einmal gefangen nehmen lassen, um in unser Lager zu kommen. Wir brauchen aber einen Grund, um sie gefangen zu nehmen, weil wir sie opfern wollen oder für Rituale brauchen oder sie gut kennen. Wenn es jemandem zu viel wird, signalisiert er das durch ein Codewort. Es ist wie ein Schauspiel ohne Zuschauer. In der Szene sind wildfremde Leute sofort wie Freunde. Man hilft einander beim Zeltaufbau oder bekommt schnell eine Mitfahrgelegenheit.

Worgahr: Orks waren in den Büchern die klassischen Antagonisten. Die ersten Orks, mit denen ich in Kontakt kam, waren grüne Orks mit Hauern und Schweinenasen. Ich mag dieses Fiese, Monströse und Animalische. Ich spreche gerne mit grollender Stimme und mime das Monster. Im Clan darf ich dazu auch noch Anführer sein, was nicht immer einfach ist, da man die Waage halten muss zwischen dem großen, bösen Bestimmer und dem Spielspaß der anderen. Es gefällt  mir sehr, mal Nichtmensch zu sein. Ein Fiesling, der gegen menschliche Denkmuster agiert und ein eigenes Verständnis von Moral hat: Du hast deinen Freund drei Wochen lang gefoltert, weil du ihn fälschlicher Weise verdächtigt hast? Naja das kann doch mal passieren. Auch die Stimmung der Spieler untereinander gefällt mir. Die einen wollen das böse Monster erleben und für deine gute Darstellung danken sie dir wiederum mit ihrer guten Darstellung, indem sie Hass oder Furcht und Verzweiflung ausstrahlen. Am Ende des Tages dankt man einander, weil es Spaß gemacht hat. Larp ist für mich Improvisationstheater ohne Zuschauer. Ein bisschen wie ein Fantasyfilm. Ich kann Teil von so etwas sein und diese filmreife Stimmung einsaugen.

inherne: Welche Reaktionen bekommen Sie – auf Cons und im Alltag?

Razzlak: Die Reaktionen sind alle positiv. Die meisten, denen man davon erzählt, finden das richtig cool, trauen sich das aber nicht selbst.

Bashkuk: Die Reaktion auf mein Hobby sind durch die Bank weg positiv. Die Leute finden es toll, was man an Bauten und Kostümen auf die Beine stellt, und können den Reiz verstehen.

Broggah: Innerhalb des Cons sind wir darauf aus, Hass zu erwecken und Furcht zu verbreiten.  Outtime sind Freunde oft überwältigt und sehr überrascht. Sie können sich kaum vorstellen, dass ich dieser Ork bin.

inherne: Wie lange arbeiten Sie an Ihrer Gewandung? Welche Materialien verwenden Sie und was kostet das?

Razzlak: Ich habe in meine Gewandung drei bis vier Tage effektive Bauzeit hinein gesteckt.  Von Fellen über Leder bis hin zu Metall benutze ich unterschiedliche Materialien.

Broggah: Für das erste Jahr, wo ich beim Drachenfest war, habe ich vier bis fünf Wochenenden an der Gewandung gearbeitet. Eine Ork-Klamotte ist aber nie fertig, sondern immer im Wandel. Vier bis fünf Wochen vor der Con fange ich an, die Klamotten zu überprüfen und mir fällt immer etwas ein, das man verändern kann.

Bashkuk: Unsere Kostüme sind zu 80 Prozent selbst gemacht. Zum Teil kaufen wir Elemente, verändern sie aber noch. Nichts bleibt wie gekauft, das meiste ist Eigenarbeit. Materialien sind meistens Leder, Metall und Knochen, aber auch verschiedene Schäume und Latex. Ein Kostüm wird immer weiter gebaut. Ich schätze, ich habe über die Zeit 300 Euro und knapp ein Jahr Arbeit hineingesteckt, plus Zelte und andere Bauten, die wir erstellt haben.

Worgahr: Im Grunde sind das Leinenstoff und Leder. Wichtig ist, dass man später nicht mehr als Mensch zu erkennen ist. Nackte Haut sollte dabei vermieden werden. Egal aus welchem Hintergrund die Orks kommen, sie sind eher funktional als ästhetisch. Darum sind Anziehsachen stark verschlissen, oft genäht und geflickt. Egal ob es hässlich und schmutzig ist, es muss warm halten, oder trocken.

Eine Gewandung, die aus mehren Schichten besteht, wirkt viel gehaltvoller. Dann nutzt man diverse Messer, Sägen oder auch Steine, um seinen Kram abzuranzen, damit er so aussieht, als hätte man ihn mehre Jahre ununterbrochen getragen. Diverse Knochen, ob von Ebay oder vom letzten Spare-Rib-all-you-can-eat (natürlich abgekocht und eine Nacht lang in Kaffee eingelegt für den Gelbstich) auf die Kleidung genäht und schon ist man da auf einem guten Weg. Eine Orkgewandung ist nie fertig. Aber eine einsatzbereite Klamotte kann nach einem intensiven Wochenende brauchbar sein. Mit 50 bis 100 Euro kann man dafür schon rechnen. Wenn man eine Rüstung haben will, die nicht nach Stangenware aussieht, muss man sie mit Essig und Wasser zum rosten bringen und mit einem Hammer brutal verschönern.

Für die meisten Mitglieder unseres Clans habe ich die Masken gemacht. Mittlerweile geht mir das ganz gut von der Hand. Damit habe ich mir auch einen lange gehegten Traum erfüllt: ein paar coole
Monster zu erschaffen und dem Clan meinen eigenen Stempel aufzudrücken. Beim Maskenbau tausche ich mich intensiv mit den anderen aus und lasse diese durch reichlich Fotos an der Entstehung teilhaben, gehe auf Wünsche ein, oder rede auch mal die eine oder andere Idee aus. Die Materialkosten für eine Maske belaufen sich auf 50 bis 70 Euro, je nachdem, welche Haare, Schmuck, oder Zähne die Maske haben soll. Larp ist ein Großteil meines Hobbys, weil es vieles vereint. Basteln, Maskenbau, Schauspiel, Fantasy und auch Schreiben.

inherne: Auf welche Cons fahren Sie?

Broggah: Das Drachenfest ist der Dreh- und Angelpunkt im Jahr. Wir werden von Veranstaltern manchmal als Antagonisten auf Cons eingeladen, wo wir zum Beispiel eine Burg belagern sollen, die die anderen dann verteidigen müssen.

Das Interview führte Nina-Maria Haupt / Fotos: Jennifer Nowak