"Seide" im Herner Kulturzentrum - präsentiert von Flottmann-Hallen und TGG Herne

Ein ganz andrer Król

14. Januar 2017 | Gesellschaft Kultur

Im Einsatz: der ganze Körper

Auf der Leinwand besticht Król durch sein minimalistisches, zurückgenommenes Spiel. Im KuZ las er jetzt aus dem Roman "Seide", ein Bestseller des italienischen Romanciers Alessandro Baricco aus dem Jahre 1996 und zeigte das ganze Potenzial seines schauspielerischen Könnens. Seine sonore Stimme war manchmal einschmeichelnd leise, dann immer lauter werdend, wie ein sich aufladendes Gewitter, das sich entlädt, dann wieder sachlich und eher verhalten. Gestenreich unterstrich er die detaillierten Romanschilderungen. Wie jemand seine Zigarette am Aschenbecher ablegt oder die Teetasse an die Lippen führt. Wie die Vögel in der Voliere schwirren oder ein Kontrahent dem Protagonisten ein Gewehr an die Schläfe drückt. Dabei sind nicht nur Hände und Arme im Einsatz, sondern der ganze Körper. Besonders beim Lesen eines Liebesbriefes, wohl der Höhepunkt des Stückes, muss man jederzeit befürchten, dass Król von seinem Hocker fallen könnte, so intensiv ist das Körperspiel.

Perfekt: Musik und Beleuchtung

Perfekt dazu passt das musikalische Spiel des Trio "South of the Border" mit Ekkehard Rössle (Saxofon), Gee Hye Lee (Klavier) und  Christoph Dangelmaier (Bass). Mal nur zurückhaltend im Hintergrund, dann bei dramatischen Szenen in den Vordergrund drängend, gekonnt auch die im Roman und durch den Rezitator aufgebaute Atmosphäre untermalend - beispielsweise durch fernöstliche Töne während des Aufenthaltes in Japan. Zweieinhalb kurzweilige Stunden dauerte die Darbietung. In der Mitte der Bühne Joachim Król auf einem Hocker hinter einem Lesepult. Dahinter die musikalische Begleitung durch das Trio "South of the Border". In Szene gesetzt durch eine durchdachte Beleuchtung.

In einer medialen Zeit, in der vorwiegend Action und der Showdown zählen, kann sich hier hochwertige Literatur durchsetzen. Der Roman "Seide" umfasst nur knapp über 100 Seiten, so dass die darin erzählte Geschichte eher zum Genre "Novelle" passen würde. Aber als Lesestoff für eine Rezitation gut geeignet. Die Idee dazu hatte der Stuttgarter Martin Mühleis, der den Originaltext bearbeitete und Regie führte.

Die Story

Der südfranzösische Seidenhändler Hervé Joncour bricht auf zu einer weiten Reise nach Japan, um Seidenraupen zu kaufen, weil die Raupeneier in der französischen Heimat von einer Krankheit befallen sind. Dort begegnet er einer rätselhaften Schönheit, mit der er nur heimliche Blick tauscht und eine kurze Botschaft. Aber das genügt, um seine Leidenschaft zu entfachen. Jedes Jahr bricht er auf nach Japan - bis ein revolutionärer Aufstand seinen Reisen ein Ende bereitet. Aber dann erhält Joncour einen leidenschaftlichen Brief von seiner Angebeteten - und erfährt erst viel später, was es damit auf sich hat.

Zufällige Zutaten

Król entführt das Publikum in entfernte Zeiten und Welten. Unterstützt wird er dabei durch gewisse, eher zufällige Zutaten. Zum Beispiel durch die Tatsache, dass die Jazzpianistin Gee Hye Lee Südkoreanerin ist und somit eine weitere fernöstliche Note in die Präsentation bringt, so dass nicht nur einer der Zuschauer insgeheim denkt: Da ist sie doch, die geheimnisvolle Schöne.

Premiere in Herne

Für Joachim Król war es eine Premiere. Er stand zum ersten Mal in seiner Heimatstadt Herne auf der Bühne. Er hält sich zwar häufiger in der Emscherstadt auf, um Familienangehörige oder seiner Westfalia einen Besuch abzustatten. Auch als die "Filmwelt Herne" eingeweiht wurde, ging er über den roten Teppich. Als das Kulturzentrum in den 70-er gebaut wurde, turnte er noch als Schüler auf dem Rohbau rum, wie er im inherne-Interview erklärte. Aber als Künstler war dies der erste Auftritt in Herne.

In dem Gespräch mit dem Stadtmagazin erklärte er auch, warum er sich für Darbietungen wie "Seide" entscheidet: "Auf der Bühne zu stehen, das ist ein Bedürfnis, das ist 'schauspielerische Hygiene' und macht den Kopf frei. Aber mich fest an ein Theater zu binden, kommt für mich nicht in Frage – auch aus Zeitgründen."

Erst zurückhaltender Applaus, dann Ovationen

Interessant gestaltet sich der Schlussapplaus: Das Publikum klatscht zunächst etwas zurückhaltend in die Hände, wohl auch noch tief beeindruckt von der Darbietung, aber dann wird der Applaus immer lauter und fast frenetisch. Und am Schluss gibt es dann von einem großen Teil der Zuhörerschaft "standing ovations".

Horst Martens