Eine Rarität rollt bei Ineos

15. Februar 2022 | Ausgabe 2022/1

Dampfspeicherlok Emma fährt auf dem Werksgelände

Ein Zischen ertönt, dann ziehen ein paar weiße Dampfwolken über die Gleise. Man hört das typische rhythmische Schnaufen einer Lokomotive. Emma, die grüne Dampfspeicherlok, setzt sich in Bewegung. Wenn sie fährt, riecht es aber nicht nach Rauch, denn Emma selbst verbrennt weder Kohlen noch Diesel. Als Dampfspeicherlok wird sie mit purem Wasserdampf angetrieben, der in ihrem Kessel unter Druck gespeichert wird.

Nur Dampfwolken und Wasser bleiben übrig
Emma gehört Ineos, dem Chemiewerk an der Shamrockstraße, das Lösungsmittel herstellt. Ohnehin produziert das Werk rund 90 Tonnen Dampf pro Stunde, der für die Herstellung der Produkte gebraucht wird. Fünf bis sechs Tonnen Dampf bekommt die Lok ab, die nachts an der Dampftankstelle mit einem Druck von 18 Bar in ihren Kessel gepresst werden. 18 Bar entsprechen etwa dem 18-Fachen des normalen Luftdrucks oder dem Druck in 180 Metern Wassertiefe.
Emma fährt, weil der unter Druck stehende Dampf sie antreibt und anschließend in die Luft entweicht. Heraus kommen nur Dampf und Wasser. Das ist vor Ort eine saubere Angelegenheit, ganz emissionsfrei fährt Emma aber doch nicht, denn den Dampf erzeugt Ineos mit Erdgas.
Jeden zweiten Tag fährt Emma und rangiert acht bis zehn Kesselwagen von der Befüllstation im Werk zur Übergabestation in der Nähe des Herner Bahnhofs. Dort übergibt sie die Güterwaggons an eine Lokomotive der Deutschen Bahn. Morgens holt Emma leere Kesselwagen am Anschluss zum Schienennetz der Deutschen Bahn ab, später bringt sie volle Wagen dort hin.

Gemächlich unterwegs
Rund fünf Kilometer lang sind die Gleisstrecken im Chemiewerk, insgesamt legt Emma an einem Tag, an dem sie im Einsatz ist, fünf bis sechs Kilometer zurück. Das ist nicht viel und dafür reicht es, dass Emma maximal 15 Stundenkilometer schnell ist. Ohnehin darf sie an manchen Stellen auf dem Werk nur Schritttempo fahren. Überquert sie die Brunnenstraße, werden die Schranken geschlossen und der Verkehr muss warten. Der Bahnübergang an der Mulvanystraße mit weitaus weniger öffentlichem Verkehr wird sogar noch mit einem Posten gesichert, der händisch die Bahntore öffnet und den Verkehr sichert. Oft warten Eisenbahnfans mit Kameras an der Brunnenstraße, denn Emma ist eines der wenigen Exemplare, die in Deutschland noch fahren. „Soweit wir wissen, ist sie die einzige Dampfspeicherlok in NRW, die noch in Betrieb ist. In Mannheim soll es noch eine geben“, erklärt Petra Leyk-Voss, die die Werkslogistik und den Eisenbahnbetrieb auf dem Ineos-Gelände leitet. 1954 wurde der Dampfkessel gebaut, die Lok selbst verließ im Jahr 1958 die Krupp-Werke in Essen. Zuerst war Emma in Hamburg unterwegs, fuhr ab 1962 für die Firma Shell und kam dann nach Herne. Hier ist sie seit Anfang der 70er Jahre im Einsatz.

„Soweit wir wissen, ist sie die einzige Dampfspeicherlok in NRW, die noch in Betrieb ist“, erklärt Petra Leyk-Voss.

Emma mit  Lokführer Reinhard Kuhlmann und Rangierer Mario Krzizek.

Zuverlässig und beliebt
„Die Kollegen fahren lieber mit der Dampfspeicherlok als mit unserer Diesellok“, weiß Leyk-Voss. „Emma ist schwerer und sie ist zuverlässiger. Die Lok ist sehr mechanisch, hat keine Elektronik. Allerdings ist es schwieriger, Ersatzteile zu bekommen“, so die Maschinenbauingenieurin. 2019 hatte Emma ihre letzte Hauptuntersuchung, das heißt, sie kann mindestens bis 2023 weiterfahren, wenn alles gut geht, auch länger. Für viele Fans von Emma ist das eine wichtige Information.
Dass eine so alte Lok noch in Betrieb ist, hat allerdings nichts mit dem Charme von Emma zu tun. „Betriebswirtschaftlich ist das bisher sinnvoll“, erklärt Dr. Bernhard Hüpen, Werksleiter des Herner Standorts. Es gab einfach keinen Grund, eine funktionierende Lok in Rente zu schicken und eine neue anzuschaffen. Denn Emma tut ihren Dienst. Jeden zweiten Vormittag hört man sie zischen, schnaufen und sieht sie in einer Wolke aus weißem Dampf heranrollen.

„Die Kollegen fahren lieber mit der Dampfspeicherlok als mit unserer Diesellok“, weiß Leyk-Voss.

Text: Nina-Maria Haupt     Fotos: Thomas Schmidt