Weltfrauentag/ Inklusionsplan Herne

Fachtagung rückt Gewalt gegen Frauen in den Fokus

11. März 2016 | Gesellschaft

Den Artikel 6 der UN-Behindertenrechtskonvention hätten wohl alle Gäste in der Alten Druckerei unterschrieben. Und das lag nicht am Datum: Dem 8. März – dem internationalen Frauentag. Viel mehr lag es an dem Thema der Fachtagung, die im Rahmen der Gesundheits- und Frauenwoche stattfand: „Mittendrin?! Draußen?!" Zur Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in Herne." Es ist ein Thema, das längst noch nicht in der Öffentlichkeit angekommen ist. Selbst Moderatorin Claudia Kleinert – vielen bekannt aus dem ARD-Wetterbericht - gestand ein, dass sie erst in Vorbereitung auf die Fachtagung für diesen Bereich sensibilisiert wurde. Und so erging es nicht wenigen der und 70 Besuchern in der Alten Druckerei. Dabei ist das Ausmaß von Gewalterfahrung und Diskriminierung erschreckend.

  • Zur Fachtagung konnte Bürgermeisterin Andrea Oehler rund 70 Gäste begrüßen. Foto: Frank Dieper/Stadt Herne

Studie untermauert Erfahrungen

Es macht fassungslos, wenn Petra Stahr, Referentin des NetzwerkBüros NRW, berichtet: „Frauen mit Behinderung sind zu einem weit höheren Anteil von Gewalt und struktureller Diskriminierung betroffen als der Durchschnitt der weiblichen Bevölkerung. Zwei bis dreimal häufiger erfahren sie körperliche und psychische Gewalt. Etwa jede zweite Frau mit Behinderung ist von sexualisierter Gewalt in Kindheit, Jugend und Erwachsenenleben betroffen." Eine repräsentative Studie, in der 1561 Frauen zwischen 16 und 65 Jahren befragt wurden, hätte dies belegt. „Und damit bestätigen sie auch unsere Erfahrungen, die wir in unseren Gesprächen und Interview gemacht haben", erklärt Petra Stahr. Sie setzt sich seit 20 Jahren mit ihrem Team für die Verbesserung der Lebenssituation von behinderten und chronisch erkrankten Frauen und Mädchen ein, also ihre gesellschaftliche Gleichstellung und Teilhabe sowie eine selbstbestimmte Lebensführung in allen Lebensbereichen. Die Expertin wünscht sich für die Zukunft mehr Personal und Gelder für neue Beratungsstellen und appelliert an eine größere Vernetzung aller Akteure. Außerdem beklagt Petra Strahr eine eklatante therapeutische Unterversorgung. „Das ist ein großes Problem, wir sehen hier dringenden Handlungsbedarf."

Die Veranstaltung ist Bestandteil des Beteiligungsprozesses zur Erarbeitung eines Inklusionsplanes für die Stadt Herne. Sie findet in Kooperation mit den Fachbereichen Gesundheit, Stadtentwicklung und Soziales der Stadt Herne sowie der Soforthilfe Herne (Caritasverband und Elisabeth-Gruppe), der Werkstatt für Behinderte und der Lebenshilfe statt.

"Viele Barrieren sind unsichtbar"

Den Inklusionsgedanken mit einem gleichberechtigten Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen sprach auch Bürgermeisterin Andrea Oehler an. „Dafür müssen viele Barrieren beseitigt werden! Viele dieser Hindernisse sind sichtbar oder fühlbar – etwa Stufen und Schwellen. Viele Barrieren sind aber auch unsichtbar: Sie bestehen in unseren Köpfen und äußern sich leider immer noch in Vorurteilen. Noch häufiger beruhen sie auf Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit. Die UN-Konvention hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass Behinderung nicht eine Eigenschaft der einzelnen Person ist. Sie ist vielmehr das Ergebnis einzelnen und gemeinschaftlichen Handelns: Man ist nicht behindert, man wird behindert." Auch für Andrea Oehler ist es eine schreckliche Vorstellung, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen Opfer von Gewalt werden: „Eigentlich unvorstellbar, schließlich benötigen sie unsere besondere Unterstützung. Wir müssen ihre Position stärken, damit sie sich besser zur Wehr setzen können und ihre Glaubwürdigkeit und ihr Selbstbewusstsein gestärkt werden. Veranstaltungen wie die heutige tragen dazu bei, dass unser Bewusstsein wächst und diese Problematik in die Öffentlichkeit getragen wird."

Frauengruppe setzt sich engagiert ein

Öffentlichkeit will auch Andrea Stolte herstellen. Sie arbeitet seit Jahren beim Gesine-Netzwerk in Schwelm. Das Netzwerk setzt sich für die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung gewaltbetroffener Frauen im Ennepe-Ruhr-Kreis ein. Unser Leitmotiv lautet: „Es ist nicht die Frage, ob Professionelle im Gesundheitswesen Kontakt zu gewaltbetroffenen Frauen in ihrem Berufsalltag haben, sondern lediglich wie sie diesen Kontakt gestalten". Das Netzwerk setzt auf regionale und kommunale Kontakte. So berichtet Andrea Stolte über die positiven Erfahrungen in einem Frauenheim, mit dem das Netzwerk eine Kooperationsvereinbarung entwickelt hat. „Die Mitarbeiter werden dort zum Thema häusliche Gewalt geschult und nehmen an Fortbildungen teil." Besonders erfreut zeigt sie sich über die Gründung einer Frauengruppe, die sich alle zwei Wochen trifft. Sie hat den Auftrag bekommen, den Prozess zu weniger Gewalt in der Einrichtung zu begleiten. Sie haben sich mit den Fragen beschäftig: Wie geht mir in dieser Einrichtung? Welche Erfahrungen habe ich gemacht? Und welchen Auftrag gebe ich an die Mitarbeiter weiter, damit Gewalt weniger präsent ist?