Pfarrer Rohr setzte über die Stadtgrenzen hinaus Maßstäbe in Fragen der sozialen Gerechtigkeit

Global denken – lokal handeln

21. Januar 2016 | Gesellschaft

Von 1968 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2002 war Herne Rohrs Wirkungskreis - in Wahrheit aber strahlte sein Engagement weit über die Stadtgrenzen hinaus. Von 1976 bis 2002 war er Leiter des neuen Informationszentrums Dritte Welt (heute Eine Welt Zentrum). In diesen 26 Jahren setzte Rohr Marksteine. Er stieß zahlreiche Maßnahmen an, die heute Standard sind, engagierte sich in unzähligen Initiativen  - Dritte-Welt-Bewegung, Friedensbewegung, Anti-Rassismus-Kampagnen. Der Initiative Rohrs war auch die Gründung des Sozialpfarramts des Herner Kirchenkreises zu verdanken.

Ein exzellenter Ruf

"Nie ging es Rohr um einzelne Länder in der Dritten Welt oder um die einzelne Spendenaktion. Sein Thema war 'Soziale Gerechtigkeit', sein Motto lautete 'Global denken - lokal handeln", unterstreicht Ralf Piorr. Der Historiker kam vom niedersächsischen Einbeck ins westfälische Herne, um hier seinen Zivildienst abzuleisten - dem exzellenten Ruf des Dritte-Welt-Zentrums folgend. "Der evangelische Kirchenkreis Herne war, was soziale Gerechtigkeit anbelangt, extrem progressiv", sagt Piorr. So sei es kein Zufall, dass in den 80-ern eine international agierende Menschenrechtsorganisation wie FIAN unter der Leitung von Frank Braßel seinen Sitz in unserer Stadt hatte. "Das zeigt, welchen Einfluss Rohr innerhalb der Kirche und der sozialen Bewegung ausübte." Schon damals wurde der Gedanke des "Fair Trade" gepflegt. Und das Zentrum hatte mit Stefan Thiele einen Ökologiebeauftragten.

Auch von rechtsextremen Anschlägen ließ sich Rohr nicht beirren. © Archiv Piorr. Auch von rechtsextremen Anschlägen ließ sich Rohr nicht beirren. © Archiv Piorr.

Der Menschenfischer

Harald Rohr pflegte den Pfarrer-Look der 80-er Jahre: Wilder weißer Bart, unförmig gestrickter dunkler Pullover, einen blauen Button der Friedensbewegung. "Rohr war eine One-Man-Band. Wenn er auf die Straße gegangen ist, hat er auch unkonventioneller Methoden bedient, wenn er dachte, dass es der Sache dienlich sei." Dabei war er in religiösen Dingen eher konservativ - eine Haltung, die vor allem in den 90-ern stärker zum Tragen kam. "Rohr war ein Menschenfischer", so Piorr, "denn er konnte Menschen dazu gewinnen, sich für eine Sache einzusetzen." Bis in den späten Abend widmete er sich sozialpolitischen Anliegen. Oft hat er sogar im Büro geschlafen. Für die jungen Leute, die im Dunstkreis von Rohr arbeiteten, war auch nicht unwichtig, dass Ihr Chef über einen, damals seltenen, Videorecorder verfügte. Da zog man sich spät abends nach getaner Arbeit noch einen spannenden Film rein. Um 22 Uhr knarzte die Tür und Rohr kam herein, um sich sein Nachtlager zu richten.

Willkommenskultur ein Fremdwort

Auch in der Flüchtlingsthematik hatte Rohr eine entschiedene Meinung. Er kritisierte die "gesetzlich herbeigeführte Illegalität" von Asylbewerbern und betreute die im Herner Abschiebegefängnis einsitzenden Flüchtlinge. Für ihn war es ein schwerer Schlag, als sich der Sudanese Thomas Emanuel Tout am Weihnachtstag 1993 im Herner Hafthaus erhängte. "Deutschland war damals ein widerborstiges Land", sagt Ralf Piorr. "In Hoyerswerda, Solingen und anderen Städten brannten die Flüchtlingsheime. Keine Spur von einer Willkommenskultur."

Text: Horst Martens / Fotos: Archiv Ralf Piorr