Flüchtlinge suchen Praktika

Größter Wunsch: Lernen

15. September 2016 | Gesellschaft Wirtschaft

Sie haben Arbeitgeber eingeladen und den Gemeinsamen Arbeitgeberservice von Arbeitsagentur und Jobcenter. „Die Arbeitgeber sollen einen Ansprechpartner vor Ort haben“, sagt Philipp Gallinowski von der Arbeitsagentur. Er und sein Kollege Alpen Kurt erklären, welche Hilfen Arbeitgeber und neue Auszubildende von der Agentur bekommen können.

  • Die Entsorgung Herne bietet Flüchtlingen Praktika an. © Frank Dieper, Stadt Herne

Zum Beispiel eine Einstiegsqualifizierung, bei der die angehenden Azubis ein halbes bis ein ganzes Jahr Praktikum beim Arbeitgeber machen. Für Auszubildende, die schon einen Ausbildungsplatz haben, aber noch Schwierigkeiten mit dem Lernstoff, gibt es Ausbildungsbegleitende Hilfen – also eine Art Nachhilfe. Und für die, die besondere Schwierigkeiten haben, gibt es die sogenannte Assistierte Ausbildung, wo die Azubis von einem Sozialarbeiter betreut und mitunter auch zur Ausbildungsstelle gebracht werden.

Viele Firmen sperren sich

Zehn Firmen konnte Projektleiterin Natalia Knispel für ihr Projekt gewinnen. Sechs stellen sich am Mittwoch, 14.09.2016, in der Hibernia-Schule vor, weitere vier vereinbaren separat Termine mit den Bewerbern. Um das zu erreichen, musste das Projektteam allerdings mehr als 60 Arbeitgeber anrufen. „Ich weiß, dass viele Firmen sich sperren“, berichtet Projektleiterin Natalia Knispel aus ihrer eigenen Erfahrung. Sie selbst ist seit fünf Jahren in Deutschland und musste selbst erleben, dass Arbeitgeber sich oft scheuen, Menschen aus anderen Ländern anzustellen. Deswegen hat sie mit ihrem Team nach Möglichkeit die Arbeitgeber persönlich angesprochen und ihnen von ihrem Projekt erzählt. Gekommen sind dann das Deutsche Rote Kreuz, der Steinmetz und Steinbildhauer Axel Pawella, der Schuhmachermeisterbetrieb Seidlich, die Verkehrsfachschule Reimertshofer, die Entsorgung Herne und die Stadt Herne.

Auch die Flüchtlinge haben Vorarbeit geleistet: Sie haben sich über den Arbeitsmarkt informiert, haben sich überlegt, welche Arbeit sie gerne machen würden und haben mit ihren Trainerinnen Kurzprofile erstellt. Darin steht zum Beispiel, wie lange die Teilnehmer in ihrem Heimatland zur Schule gegangen sind und welche Berufserfahrung sie haben. Manche von ihnen haben schon ein Studium abgeschlossen, andere haben nur kurz die Schule besucht oder sind als Analphabeten hergekommen.

Vorstellungsgespräch mit Worten und Gesten

Trotz der Spickzettel unterhalten sich Flüchtlinge und Arbeitgeber mit Worten, Händen und mit Hilfe eines Dolmetschers. Mohammed Ismail Ahmadzay hat gerade die ersten deutschen Vokabeln gelernt und zeigt mit den Fingern die Anzahl seiner Schuljahre: zwölf. Dann versucht er, seinen bisherigen Beruf zu benennen. Kaufmann? Oder Verkäufer? Die Vertreter der Entsorgung Herne rätseln ein wenig, bis der Dolmetscher kommt und Ahmadzay einfach fragt, was er an einem Arbeitstag normalerweise getan hat. Schmuck verkauft und entworfen, er ist also Verkäufer und Designer. Außerdem hat er in einer Schule Nachhilfe gegeben. Ob er sich vorstellen kann, Mülltonnen zu leeren und Straßen zu säubern? Er überlegt noch, versucht, sich den Beruf vorzustellen. Tamil Nouri aus Afghanistan hat zwar keine Ausbildung, dafür aber fünf Jahre lang Schweißarbeiten an Dächern und Türen erledigt. Auch er lässt sich am Tisch mit den kleinen Mülltonnen erklären, welche Perspektiven der Entsorgungsbetrieb für ihn bietet.

Hauptsache ein Praktikum

Fouad Alchami aus Syrien möchte gerne etwas mit Pädagogik machen, weil er bereits ein Diplom gemacht und als Lehrer gearbeitet hat. Trotzdem lässt er sich erklären, wie man Berufskraftfahrer wird. Auf Einladung der Arbeitsagentur ist Günter Reimertshofer von den Reimertshofer Verkehrsschulen gekommen und erklärt nun, was man tun muss, um Laster oder Busse lenken zu dürfen. Oft übernimmt das Jobcenter die Kosten für den LKW-Führerschein, weil Berufskraftfahrer derzeit dringend gesucht werden. „Diese Leute sind während der Ausbildung schon vergeben“, weiß Reimertshofer.

Ein paar Tische weiter, am Tisch der Stadt Herne, sitzt Javed Iqbal aus Pakistan. Der 43-Jährige hat eine Frau und sieben Kinder zurück gelassen, um nach Deutschland zu kommen. Schule oder Ausbildung konnte er dort nicht absolvieren. Als Matthias Völkel, Ausbildungsleiter der Stadt und auf der Suche nach guten Nachwuchskräften, ihn fragt, ob er lieber den Beruf des Gärtners oder des Straßenbauers kennen lernen möchte, antwortet Iqbal: „Egal, Hauptsache ein Praktikum, bei dem ich etwas lerne.“

Nina-Maria Haupt