halloherne – mit dem Fokus auf Nachrichten
Freitag, 10 Uhr: Mitten im großen Redaktionsraum am Kuckucksweg 13 steht ein langer gedeckter Tisch, an dem die Mondritter und die Mitarbeiter von „halloherne“ Platz nehmen. Kaffee wird eingeschenkt, Brötchen gereicht, Mett oder Butter gestrichen. Redaktionsleiter Günter Mydlak eröffnet die Diskussion über Wanne-Eickel als Kulturgut.
Gesellschaftliche Debatte
In der zeitlich gesehen ersten Internetzeitung Hernes steht die lokale gesellschaftliche Debatte hoch im Kurs. Wie viele hier schon saßen aus Politik, Wirtschaft und Kultur – von der Polizeipräsidentin über den OB bis hin zu den Bundestagsabgeordneten und zahlreichen gesellschaftlichen relevanten Personen. „Leute eben, die Lust haben, das Stadtgeschehen mitzugestalten“, so Mydlak.
Gestandene Journalisten gründen junges Medium
Das Team um Günter Mydlak und Carola Quickels ist trotz des modernen Mediums „Old School“. Da rangiert die nach journalistischen Kriterien formulierte Nachricht weit oben, während der Meinungsjournalismus nicht viel gilt. „Bei uns sind Adjektive genehmigungsbedürftig“, sagt Mydlak. Und das Überraschende: Ein Medium, das als jung gilt und mehrheitlich Junge begeistert, ist durch Pensionäre gegründet worden. Aber Ruheständler mit dem Blick auf die junge Generation: „Ich habe gelernt, wie man sich auf Facebook verhält“, sagt Mydlak, „und wenn mir Jugendliche was erzählen, bekomme ich große Ohren.“
Wie alles begann
Alles begann mit einer Entschlackungskur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), die ihre Redakteure und Fotografen mit einer Abfindung lockte, das Handtuch zu werfen. Dazu gehörten der Hertener und Herner Fotograf Wolfgang Quickels sowie Redakteur Günter Mydlak. „Wolfgang hatte schon länger die Idee zu einer Onlinezeitung und wollte sich damit einen alten Traum erfüllen“, sagt seine Frau Carola, Fotografin, die zu den ersten zählte, die sich seiner Vorstellung anschlossen. Mydlak sprang ebenfalls auf, und in den ersten Jahren war auch, zuständig für die Technik, Walter Bockhorn dabei. Sie können sich als Gründungsväter und -mutter von „halloherne“ bezeichnen.
Support aus dem Familienverbund
Wolfgang Quickels starb im Oktober 2014 – er hinterließ nicht nur bei seiner Familie eine große Lücke. „Wolfgang ging für eine Geschichte raus und kam mit drei zurück“, sagt Carola. Bald nach der Redaktionsgründung stießen die drei aus der Familie Terlau dazu – Vater Herbert und die Söhne Jakob und Daniel. „Wir wollten unseren Onkel und unsere Tante unterstützen“, sagt Daniel.
Nur noch eine Redaktion
„Wir fangen einfach mal an“, lautete die Devise. Am Anfang trafen sie sich zu Hause bei den Gründungsmitgliedern. Ein Pfarrer vermittelte Räume am Kuckucksweg 13, die bis heute die Redaktion beherbergen. Eigentlich existierten sogar zwei Redaktionen: „halloherten“ und „halloherne“. Die Absicht war, in möglichst vielen Städten Niederlassungen einzurichten, ein ambitioniertes Ziel, von dem die Online-Zeitung mittlerweile aus wirtschaftlichen Gründen abgerückt ist. „Wolfgang plante sogar ein 'Hallo-Ruhrpott'“, berichtet Carola: eine Homepage mit Informationen und Bildern über Museen, Ausstellungsorte, wiederkehrende Veranstaltungen. „Dort wollte er die Fotos verwerten, die er während seiner Foto-Einsätze für die Zeitung oder für seine Bildbände geschossen hatte.“
Viele verstanden Radio Herne
Stefan Kuhn, der zuvor für das Herner Wochenblatt und die WAZ fotografierte, erinnert sich an die Anfänge: „Man musste den Leuten erklären, was 'halloherne' bedeutet. Viele verstanden immer Radio Herne. Heute sagen sie hingegen: Ach, dann sehe ich ja nachher die Fotos im Internet.“
Täter melden sich in der Redaktion
Der Nachhall lässt sich auch an den Reaktionen aus dem kriminellen Milieu messen. „Ich habe schon mit drei Tätern gesprochen“, sagt Mydlak. Kriminelle, deren Phantombild in den „halloherne“-Nachrichten auftauchte, baten verzweifelt um Löschung des Fotos, weil sie sich der Polizei stellen würden. Unter ihnen auch ein im Dortmunder Breakadance-Mileu bekannter Rapper. Sie mussten sich mit der Mitteilung abfinden, dass die Redaktion erst nach Bestätigung durch die Polizei das Foto entfernen würde. „In Herne führen sämtliche Fotofahndungen zum Erfolg“, bestätigte die Polizei der Redaktion.
Polizei wollte Video beschlagnahmen
Jakob Terlau, der sich als Fotograf ins Zeug legte, war von der Wirkung des Mediums überrascht: „Ich habe viele spannende Geschichten erlebt. Während der Cranger Kirmes ereignete sich ein Unfall mit Verletzten, weil ein Pferd durchbrannte.“ Jakob war der einzige Zeuge, der den Unfallhergang per Video dokumentiert hatte: „Die Polizei wollte den Film sofort beschlagnahmen, ließ sich dann aber davon überzeugen, dass ich als Journalist arbeite. Später fuhren sie dann mit dem Polizeiwagen bei der Redaktion vor und holten sich den Streifen ab.“ Gerade bei der Cranger Kirmes erlebten die Hallo-Herne-Journalisten, wie sich ein Beitrag in sehr kurzer Zeit tausendfach verbreitet.
Der ganz normale Redaktionsalltag
Der ganz normale Redaktionstag unterscheidet sich in einigen Punkten von dem der klassischen Zeitungsredaktion. Vom Prinzip her schläft „halloherne“ nie, kennt keinen Redaktionsschluss. Carola Quickels Arbeit beginnt schon vor dem Frühstück: „Ich gehe ins Internet, checke die Polizeimeldungen und schaue: Wo brennt's?“ So nach und nach trudelt die Stammbesetzung zwischen 8.30 und 10 Uhr in der Redaktion ein. Jeden Montag ist Wochenbesprechung mit einem Ausblick auf die nächsten sieben Tage. Am heutigen Freitag ist die Terminlage eher dürftig. Für Nachmittag ist eine Veranstaltung eingetragen. „Wenn es heute geschneit hätte ...“, sagt Günter Mydlak, „so wie es die Wetterpropheten vorhersagten ...“. Ja dann hätte man viel zu tun gehabt: Die Stadt im Schnee einfangen, über Staus und Unfälle berichten.
Stefan Kuhn und andere Mitarbeiter erledigen den Job vom heimischen Schreibtisch aus, sie warten auf die Meldung eines Ereignisses und rücken aus, um ein ausgebrochenes Feuer, einen Autounfall oder eine Einweihung einzufangen. Björn Koch ist eine Art Multitalent, der von Haus aus Fotograf ist, aber auch schreiben und Buch führen kann.
Nach 30 Sekunden auf Sendung
Die Technik im Griff haben Lino Quickels (Sohn von Carola) und Daniel Terlau. „Wir schauen den Redakteuren über die Schultern, um zu sehen: Was brauchen sie?“ Daniel Terlau, Web-Developer und Grafiker, und Co. haben ein eigenes Content-Management-System geschrieben, da die gängigen Baukasten-Systeme viel störanfälliger sind. Und es ist schneller: „Wir brauchen 30 Sekunden, um auf Sendung zu gehen“, behauptet Daniel Terlau.
Unendlich schnell
Die Schnelligkeit des Programms wird auch von den Redakteuren gelobt. Patrick Mammen, Essener Journalist mit 25-jähriger Berufspraxis unter anderem bei Radio Essen und bei der WAZ: „Um 11 Uhr habe ich schon sieben Beiträge eingestellt. Es ist das einfachste System, das man sich vorstellen kann.“ Überhaupt: „Das Faszinierende an diesem Medium ist, dass es so unendlich schnell ist. Erstaunlich, wie schnell die Menschen unsere Zeilen lesen und dann darauf reagieren. Dann merken wir, wie nah wir am Leser dran ist.“
Bericht aus dem Gericht
Um die Mittagszeit schneit Helge Kondring herein, um nach dem Rechten sehen. Kondring ist ein pensionierter WAZ-Mann, aber noch einer von denen, die das Rentenalter regulär erreichten. Wie zu alten Redakteurszeiten berichtet er über Gerichtsverhandlungen. Dabei gelingt ihm die eine oder andere gute Geschichte, zumal interessante Termine bei den Amts- oder Land-Gerichten von der Konkurrenz häufig nicht wahrgenommen werden. Auf seine alten Tage ließ er sich von seiner Tochter ein Laptop mit Internet-Anschluss einrichten, auf dem er nach einer Gerichtsverhandlung den Bericht in die Tasten hackt. Eine komplett neue Erfahrung für ihn: „Schon am Nachmittag erhalte ich die ersten Mails von meinen Lesern, teilweise aus dem ganzen Land, einmal sogar aus Hanoi. Uns schreiben Menschen, die sich für das Thema interessieren, die bei der Verhandlung dabei waren – oder die Prozessbeteiligten selbst.“ Jüngst meldete sich der Beschuldigte mit dem Hinweis: „Ich war's nicht.“
Der für das Geld sorgt
Einer sorgt dafür, das Geld reinkommt: Für die Werbe-Akquise ist Herbert Terlau verantwortlich. Er ist der Werbemann für „halloherne“, der die Kunden anspricht, damit sie Werbebanner schalten. Der pensionierte Lehrer wurde von Carola Quickels um Mitarbeit gebeten. „Am Anfang sprach ich alle Leute an, die ich kannte. Heute habe ich viele gute Kontakte und besuche zum Beispiel alle Empfänge, um zu netzwerken und die Menschen für unser Medium einzufangen. Ich beschäftige mich also mit Dingen, von denen ich vorher keine Ahnung hatte.“
Viel Idealismus
Der Werbefachmann sagt auch: „Ich profitiere von der guten Redaktionsarbeit.“ Und die lässt sich auch an bemerkenswerten Zahlen ablesen: Bis zu 300.000 Seitenabrufe im Monat und 8.800 Follower bei Facebook. Und dennoch reichen die Erlöse bei weitem nicht, um die Redakteure leistungsgerecht zu entgelten. „Wir produzieren ein Produkt, dass wir nicht ausreichend bezahlen können“, gesteht Mydlak. Stefan Kuhn fügt hinzu: „Um diese Arbeit zu machen, ist viel Idealismus notwendig. Aber alle sind auch mit viel Herzblut dabei.“ Das Geschäft bleibt schwieg. „Herne ist stark mit der Printwerbung verbandelt“, nennt Terlau einen Grund für das flaue Werbegeschäft. „Aber das hält uns nicht davon ab, noch mehr zu tun.“
Unterstützung durch den Förderverein
Ein Unternehmensberater hat deutlich gemacht: Mit Werbung allein lässt sich keine taugliche Finanzierung auf die Beine stellen. Deshalb gründeten sie einen Förderverein mit dem griffigen Namen „Klick ma Kuckma“. Über den Förderverein werden auch Aktionen mit Schulen und Schülern abgewickelt. „Wir wollen Schüler dabei unterstützen, eine Online-Zeitung aufzubauen“. Sie lernen, was eine Nachricht ist. Sie kommen mit einer AG an den Kuckucksweg oder das Hallo-Herne-Team kommt in die Schule.
Einkünfte generieren soll auch ein „halloherne Plus“-Bereich mit Zusatz-Angeboten, der am 21. März freigeschaltet wird. „Wir haben noch viel im Köcher, das wir unseren Nutzern anbieten können“, sagt Carola Quickels. Aber die klassische Hallo-Herne-Seite bleibt weiterhin gebührenfrei.
Mydlak wollte Hausmann werden
Nach seiner Abfindung 2009 hatte Günter Mydlak nichts Großes vor: „Ich habe aufgehört, um Hausmann zu werden.“ Diese Pläne wurden durch den Anruf von Wolfgang Quickels durchkreuzt. Aber ganz unbeleckt stieg er in die Materie nicht ein, schließlich hatte er schon vor 15 Jahren seinem Arbeitgeber die Einrichtung eines Online-Portals vorgeschlagen, das die Stadt über den Tag begleitet. Wurde abgelehnt.
Die Zukunft des Journalismus
Mit Günter Mydlak setzt „halloherne“ auf die durchschlagende Wirkung von guten Nachrichten, die mit guten Fotos und Videos unterfüttert werden. „Das ist die Zukunft des Journalismus!“, prognostiziert Mydlak. Keine Zukunft hingegen haben seiner Meinung nach die Lokalausgaben der Printmedien. „In absehbarer Zeit“, ist er sich sicher, „werden sie nicht mehr bestehen.“ Dabei will er den Anschein vermeiden, er schieße gegen seine alten Kollegen: „Im Gegenteil, ich freue mich über jede Medienvielfalt, aber das alte Modell Tageszeitung wird in zehn Jahren nicht mehr finanzierbar sein.“ Der Trend ist schon jetzt unübersehbar: „Im Sauerland gibt es schon heute große weiße Flecken! Ob da ein Gemeinderat tagt, interessiert niemand mehr!“
Deshalb wollen Mydlak und sein Team den Lokaljournalismus, der auf die klassischen Tugenden baut, in die Zukunft retten: Nachrichten generieren, sauber aufbereiten und sie dem Leser anbieten. „Wenn es gelingen sollte, eine unabhängige Nachrichtenredaktion zu etablieren – auch betriebswirtschaftlich, das wäre eine gute Sache.“
Text: Horst Martens
Fotos: Thomas Schmidt