Herne statt Hawaii

10. November 2022 | Ausgabe 2022/3

„Ich war überrascht, dass Herne so viele Grünflächen hat.“

Brandi Bridges kam als Austauschschülerin und kehrte nicht in ihre Heimat zurück

Paradiesische Strände und Aloha-Feeling aufgeben, um nach Herne zu ziehen? Das mag für viele Menschen nicht unbedingt die naheliegendste Lebensentscheidung zu sein. Die Hawaiianerin Brandi Bridges hat diesen Schritt vor 22 Jahren gewagt – und bis heute nicht bereut.

Ausgerechnet „Klowasser“ bedeutet der Ort Kailua, aus dem Brandi Bridges ursprünglich kommt, übersetzt. „Aber dort ist es viel schöner, als man bei dem Namen denken würde“, lacht sie. Kailua liegt an der Ostküste der hawaiianischen Insel Oahu. „Obama macht da auch immer Urlaub mit seiner Familie.“ An diesen traumhaften Ort geht es für Bridges mittlerweile aber nur noch als Touristin. Denn mit 18 Jahren verschlug ein Austauschjahr die heute 40-Jährige nach Herne. Ihr Deutschlehrer hatte ihr damals den Austausch für die Zeit nach der High-School ans Herz gelegt. „Er wollte unbedingt, dass ich nach Bayern komme, irgendwo an den Bodensee, wo es mehr Kühe als Menschen gibt“, erinnert sie sich. Sie hingegen war erleichtert, als sie die Nachricht erhielt, dass es ins Ruhrgebiet gehe – auch wenn sie sich das sehr „grau und industriell“ vorgestellt hatte. „Ich war überrascht, dass Herne so viele Grünflächen hat.“

Liebe und Beruf in Herne
So wohnte Bridges bei einer Gastfamilie in Bickern und besuchte das Gymnasium Wanne. Um Kontakte zu knüpfen, schloss sie sich der Bürgerfunkgruppe „Radio Kurzschluss“ an. Dort lernte sie ihren heutigen Ehemann Michael Schneider kennen. „Mir gefiel die Stadt, mir gefielen die Menschen“, erzählt die Hawaiianerin. „Da habe ich überlegt, ob ich nicht vielleicht hierbleiben kann.“ Und das tat sie. Auf eine Ausbildung bei der Firma „ADAMS Armaturen“ in Baukau folgte ein berufsbegleitendes International-Management-Studium. Heute arbeitet sie bei „KNIPEX“ in Wuppertal als Produkttrainerin.

Fremdes Deutschland
Nie an den Kühlschrank gehen, bei Besuchen immer Blumen mitbringen, Türen immer geschlossen halten – ihr Deutschlehrer gab Bridges das Buch „The Strange German Ways“, das so manche vermeintliche Regel für richtiges Verhalten in Deutschland auflistete. Schnell habe sie gemerkt, dass ihr das Buch wohl nicht nur Wahrheiten präsentierte. „Was als Amerikanerin aber schwierig ist, ist mit der Direktheit der Deutschen klarzukommen. Als Ami sagt man nicht unbedingt geradeaus, was man haben will oder wie es laufen soll.“

„Mir gefiel die Stadt, mir gefielen die Menschen.“

Brandi Bridges mit ihrem Ehemann Michael Schneider

„Auf Hawaii gibt es nur eine Jahreszeit. Das ist total langweilig.“

Geschichten von Göttern
Mit ihrem Mann hat die US-Amerikanerin zwei Töchter. Kaila und Lani sind neun und sechs Jahre alt und haben zusätzlich auch hawaiianische Namen, die Bridges‘ Bruder ihnen gegeben hat: „Die Blume, die mit dem Segen Gottes blüht“ und „Ein Herz voller Liebe“ heißen sie übersetzt. „Weil Hawaiianisch nur zwölf Buchstaben hat, sind die Namen fürchterlich lang“, erklärt Michael Schneider. Wenn ihre Mutter Geschichten über hawaiianische Götter und andere Mythen erzählt, sind Kaila und Lani ganz Ohr. „Meine Große hatte das letzte Mal, als wir auf Hawaii waren, Steine von einem Strand mit nach Hause genommen und meine Mutter ist ausgeflippt, weil man das nicht darf“, so Bridges. Pele, die Göttin der Vulkane, verfluche jeden, der Steine von der Insel mitnehme. „Deshalb haben wir keine Steine oder Muscheln von Hawaii zuhause.“

Jeden Tag Sommer
Was der Hawaiianerin jedes Jahr aufs Neue Freude bringt, sind die verschiedenen Jahreszeiten. Dafür nimmt sie auch in Kauf, im Alltag nicht mal einfach so an den Strand gehen zu können. „Auf Hawaii gibt es nur eine Jahreszeit. Das ist total langweilig. Man hat jeden Tag 28 Grad und Sonnenschein und irgendwann im Januar sind es dann 26 Grad. Dann kocht mein Vater Suppe und meine Mutter zieht sich einen Pulli drüber, weil sie meinen, es ist tiefster Winter“, sagt Bridges lachend.

Wo Integration beginnt
„Ich lebe jetzt schon mehr als die Hälfte meines Lebens in Herne und ich fühl mich hier zuhause.“ An Herne schätzt Bridges, dass es zwar eine Großstadt ist, aber „jeder hilft jedem, jeder sieht jeden“. Kaila und Lani besuchen die Grundschule Kunterbunt. „Wir wollten bewusst eine sehr bunte Schule mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten“, erklärt Bridges. „Kinder, die damit großwerden, wissen einfach, wie es ist in einer Gesellschaft zu leben, wo sehr viele Menschen anders aussehen oder anders sprechen. Ich finde, so fängt Integration eigentlich an.“

Text: Katharina Weitkämper     Fotos: Frank Dieper