Beteiligungsprozess

Herne wagt ein Experiment

16. Februar 2022 | Gesellschaft
Foto: Prof. Dr. Gesine Schwan und Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda ©Philipp Stark, Stadt Herne

Konkret geht es um das Areal des ehemaligen Bergwerks General Blumenthal. Nachdem die Fläche, immerhin so groß wie 40 Fußballfelder, seit 2001 nicht mehr durch den Steinkohlebergbau genutzt wird, liegt dort das mit Abstand größte Flächenpotential der 160.000-Einwohner-Stadt im Zentrum der Metropole Ruhr. Und Flächen in sind ein rares Gut in Herne. Herne hat eine der höchsten Einwohnerdichte im gesamten Bundesgebiet. In den Jahrzehnten nach dem Ende der Steinkohleförderung wurden viele ehemalige Bergbau-Areale in Herne in Grünflächen umgewandelt oder werden gewerblich genutzt.

Unter wissenschaftlicher Begleitung durch die Humboldt-Viadrina Governance Plattform um die angesehene Wissenschaftlerin Prof. Dr. Gesine Schwan organisiert die Stadt Herne jetzt einen Beteiligungsprozess, bei dem relevante Gruppen der Stadtgesellschaft ergebnisoffen an einem Tisch sitzen. Rund 30 Personen aus unterschiedlichen Gruppen und Interessenvertretungen sowie zwei renommierte Persönlichkeiten aus dem Ruhrgebiet bringen sich ein. „Der Auftakt hier in Herne hat mich überaus inspiriert“, sagt Gesine Schwan. Die ehemalige Präsidentin der Europa-Universität Viadriana in Frankfurt an der Oder wird persönlich den Prozess in Herne begleiten.

„Als Stadtverwaltung schaffen wir als ehrlicher Makler aller Interessen den Rahmen für dieses Experiment“, erklärt der Oberbürgermeister. Finanziell unterstützt die E.ON Stiftung diese innovative Form der Bürgerbeteiligung im Rahmen eines großen Infrastrukturprojektes.

„Der Strukturwandel ist eine ganz konkrete kommunale Herausforderung. Es geht dabei nicht ohne die Beteiligung der Menschen und die sind unterschiedlich. Das macht dieses Projekt interessant“, beschreibt Dr. Stephan Muschik, Geschäftsführer der E.ON-Stiftung.

  • Das Experiment wird von Prof. Dr. Gesine Schwan wissenschaftlich begleitet und von der E.ON Stiftung finanziell unterstützt. ©Philipp Stark, Stadt Herne

„Wir sehen in vielen Bereichen ein Auseinanderdriften unserer Gesellschaft. Die emotionsgeladenen Konflikte um die Coronapandemie oder das Thema Impfen und die damit einhergehende Radikalisierung bereiten mir Sorgen. Es gibt erkennbar eine schwindende Bereitschaft, bei Differenzen durch Zuhören und Austausch von Argumenten zu einem Kompromiss zu kommen. An diesem Punkt wählen wir einen neuen Ansatz. Es handelt sich dabei um ein Experiment und wir wissen nicht, was am Ende stehen wird. Das macht den Reiz für alle aus. Letzten Endes geht es dabei um mehr als das Dekadenprojekt General Blumenthal, es geht darum, einen Weg aufzuzeigen, unsere Demokratie zu beleben und Stadtgesellschaft zusammenzuführen. Das funktioniert nur mit Transparenz, Offenheit und Beteiligung. Diesen Weg schlagen wir in Herne ein“, schildert Dr. Frank Dudda.

In vier Workshops, die sich über das Jahr 2022 verteilen, werden die Teilnehmenden, die für ganz unterschiedliche Interessengruppen stehen, unter neutraler Moderation von in der Stadt bekannten Persönlichkeiten ihre Sichtweisen abgleichen, um einen möglichst gemeinsamen Weg für die Zukunft der Blumenthal-Fläche zu erarbeiten. Am Ende steht dann ein Abschlussbericht, der Basis für die weiteren Beratungen der lokalen Politik sein wird.

Zum Hintergrund
Die zentral in der Stadt gelegene Fläche des Bergwerks General Blumenthals soll im Sinne der Stadtgesellschaft zukunftsorientiert entwickelt werden. Ökologische und ökonomische Gesichtspunkte sollen dabei berücksichtigt werden. Daher hat die Stadt Herne für das Areal, das unweit der Innenstadt des Stadtbezirks Wanne liegt, eine Projektskizze in Auftrag gegeben und diese im Januar 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt. Das erste Ergebnis dieser Untersuchung: In einer zukunftsorientierten Verbindung könnten dort Hochschulforschung, technologische Entwicklung und Produktion zusammengebracht werden. Eine verkehrstechnische Erschließung des Entwicklungsareals durch eine Seilbahn schafft über die Gleise des Hauptbahnhofs erstmals eine moderne und ökologisch sinnvolle Anbindung an die Wanner Innenstadt. Wenigstens die Hälfte des über 25 Hektar großen Grundstücks sind in der Projektskizze als Grünfläche geplant. Der Rat der Stadt Herne fasste im Juni 2020 den Grundsatzbeschluss zur Entwicklung einer Internationalen Technologie Welt auf der Fläche. Doch wie diese letztendlich aussehen soll, darum wird seitdem argumentativ gerungen. So besteht abweichend von der vorgestellten Projektskizze bei gesellschaftlichen Gruppen beispielsweise der Wunsch, das Zechengelände in einen Stadtwald umzuwandeln.

Diese Diskussion über die Zukunft von General Blumenthal wird in Politik und Stadtgesellschaft emotional geführt. Angesichts der Größe und der Bedeutung der Fläche überrascht das nicht. Um alle Interessen in dem Entscheidungsprozess angemessen zu würdigen und den inhaltlichen Austausch zu stärken, geht Herne einen neuen, innovativen Weg, der abhebt von allen vorherigen Beteiligungsformaten. „Noch ist nichts in Stein gemeißelt“ verdeutlicht der Oberbürgermeister in Hinblick auf die Entwicklungsperspektive für General Blumenthal.