Fußball

Immer noch eine Ikone

12. Juli 2015 | Freizeit Gesellschaft

inherne: Fangen wir mit dem 12. Juli an. Wissen Sie schon, was Sie machen werden?

Tilkowski: Wenn ich’s wüsste, würde ich es nicht sagen. Eins weiß ich: Wenn ich’s erlebe, werde ich 80.

inherne: Es könnte ja sein, dass eine Medienflut über Sie hereinbricht, vielleicht auch motiviert durch unseren Bericht.

Tilkowski: Ich bin ja erstaunt darüber, warum überhaupt dieser Termin zustande gekommen ist.

inherne: Wir wollten ja häufiger über Sie berichten, aber Sie haben unsere Anfragen nicht positiv beschieden.

Tilkowski: Wissen Sie, wenn man ihn braucht, dann holt man ihn aus der Mottenkiste, und danach legt man ihn wieder zurück. Das lehne ich ab.

Ich möchte anerkannt werden für das was ich geleistet habe als Mensch und als Sportler. So beurteile ich auch die Menschen. Deshalb bin ich auch zurückhaltend bei Interview-Anfragen und Einladungen.

inherne: So ist es eben, zu runden oder halbrunden Geburtstagen feiern Presse und Gesellschaft hochverdiente Persönlichkeiten. Und das ist auch eine Gelegenheit, auf deren Leistungen hinzuweisen. Wissen Sie, welches unser wirkliches Motiv war? Wir wollten mit dem berühmtesten Herner sprechen.

Tilkowski: Jetzt hauen Sie aber einen raus. Nicht, dass ich meine Haare noch richten muss.

inherne: Ist doch so. Sie haben viel für den Sport und die Stadt geleistet.

Tilkowski: Ich habe während meiner Westfalia-Zeit 19 A-Länderspiele absolviert. Der Name Westfalia Herne ist in der ganzen Welt rumgekommen. Ich war ein Werbeträger. Wenn Sie irgendwo hinkommen und sagen, sie kommen aus Herne, dann fragen die Menschen: Was macht Westfalia Herne? Dieser Name steht nach wie vor fest in Stein gemeißelt.

Einem Journalisten der Bildzeitung sagte ich: Ich bin in Dortmund geboren, das musst du auch schreiben. Da sagt er: "Für mich bist du Westfalia Herne. Und Westfalia Herne ist Tilkowski."

inherne: Eine Schule – die Hans-Tilkowski-Schule – trägt ihren Namen. Wer erlebt schon zu Lebzeiten, dass eine Einrichtung seinen Namen trägt?

Tilkowski: Das gesamte Lehrerkollegium hat diesen Vorschlag gemacht. Wir haben fast ein Jahr gerungen, ob ich es mache oder nicht. Ich muss nicht immer oben auf den Thron sitzen.

inherne: Aber …

Tilkowski: Kein aber …

inherne: Das ist von der Stadt so bestätigt worden, und das ist doch toll.

Tilkowski: Ich muss sagen, ich bin auch stolz drauf. Und auch auf den Bolzplatz auf dem Hof der Hans-Tilkowski-Schule. Der DFB hatte die Aktion „1000 Bolzplätze" längst abgeschlossen. Doch sie haben mir zuliebe eine Ausnahme gemacht. Der Evonik-Vorstandsvorsitzende Dr. Klaus Engel, zu dem ich gute Kontakte habe, brachte ebenfalls einen Scheck vorbei. Auch die Stadt sagte finanzielle Unterstützung zu. Leider dauerte es wegen eines Lärmgutachtens zwei Jahre, bis das Projekt realisiert wurde.

inherne: Schön, dass Sie sich so für die gute Sache einsetzen.

Tilkowski: In einem Interview habe ich gesagt: Meine Lebenspfosten sind Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Respekt, die vier Pfosten, an denen ich mich festhalte. Da kann wackeln, ganz gleich was ist. Glaubwürdigkeit ist für mich entscheidend. Meine Glaubwürdigkeit werden Sie auch überprüfen können, wenn Sie mir den Artikel zuschicken, ob ich den streiche oder autorisiere.

Mir geht es darum, der Gemeinschaft zu dienen. Vor 30 Jahren habe ich schon das erste Benefiz-Fußballspiel veranstaltet für die heutige Robert-Brauner-Schule, der damaligen Schule an der Bergstraße. Aber man läuft natürlich auch Gefahr, dass das als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird.

  • Als Westfalia Herne 1959 mit Hans Tilkowski (2. v.l.) Westdeutscher Fußballmeister wurde. (2.v.l.).© Stadt Herne

inherne: Genau vor einem Jahr ist das Hans-Tilkowski-Haus im SportCentrum in Kaiserau eröffnet worden – eine Begegnungsstätte und Ideenschmiede des westfälischen Fußball- und Leichtathletikverbandes. Sie sind praktisch dort groß geworden – ihr Elternhaus war im benachbarten Husen und Sie selbst haben beim SuS Kaiserau gespielt.

Tilkowski: Nach der Arbeit bin ich in die Sportschule Kaiserau gefahren. Ich habe Rasierklingen als Kind verkauft, damit wir uns eine Kluft leisten konnte. Und deshalb bin ich stolz, dass das Hans-Tilkowski-Haus mit einem riesengroßen Bild vom Wembley-Tor an der Fassade dort gebaut wird. Das ist eine gewisse Anerkennung, aber die kommt daher, dass ich nie den Boden verlassen habe. Ich habe in München, in Frankfurt und anderswo gewohnt. Und trotzdem habe ich Bodenständigkeit bewahrt.

inherne: Was mir auffällt: Sie sind relativ selten in der Stadt zu sehen.

Tilkowski: Ich bin doch kein Selbstdarsteller mit dem Zylinder auf dem Kopf und sage: Ich bin der Hans Tilkowski.

inherne: Sie stehen wie jeder normale Bürger dieser Stadt im Telefonbuch. Kommt es schon mal vor, dass auch Menschen anrufen, die nicht Journalisten sind oder zu ihrem Freundeskreis gehören?

Tilkowski: Jeden Tag bekomme ich zwischen einen und vier Briefe. Ich hätte ihnen welche aus China, Russland oder Irland mitbringen können. Warum sollte ich nicht im Telefonbuch stehen? Die Leute rufen bei mir an und reklamieren manchmal, dass sie noch keine Antwort erhalten haben. Ich sammle natürlich, alle sechs bis acht Wochen kommen 60 bis 80 Briefe zusammen. Das ist doch erfreulich: 30 bis 40 Jahre nach meiner aktiven Laufbahn!

inherne: Das erledigen Sie persönlich? Oder haben Sie eine Sekretärin?

Tilkowski: Nein, das habe ich immer persönlich gemacht. Nach der Weltmeisterschaft 1966 habe ich jeden Tag 1000 Briefe bekommen. Im Keller lagerten 40.000 Briefe, die alle beantwortet wurden. Nachher auch mit dem Stempel, das ging gar nicht anders.

inherne: Damals 1966, als Sie Vizeweltmeister wurden, was war der Tenor der Briefe?

Tilkowski: Autogrammwünsche.

inherne: Nach 30 bis 40 Jahren sind Sie immer noch eine Ikone. Das verdeutlicht auch, welch eine wichtige Rolle Fußball in der heutigen Gesellschaft spielt und berühmte Fußballer sehr lange Zeit im Gedächtnis der Menschen bleiben.

Tilkowski: Ja, es spielt eine weitaus wichtigere Rolle als damals.

inherne: Inwiefern heute noch mehr als damals?

Tilkowski: Durch die ganzen Medien, die ganze Vermarktung.

1955 – in meinem ersten Jahr bei Westfalia - bin ich mit dem Zug nach Herne gekommen, morgens um sechs habe ich angefangen zu arbeiten, habe bis 14.30 Uhr gearbeitet, anschließend trainiert und bin dann spät nach Hause zurück gekehrt.

Werbung war verboten. Da haben sie nach dem Training ein bisschen Wurst bekommen, Grützwurst, die mochte ich sowieso nicht.

Aber es herrschte eine große Geschlossenheit …

inherne: In Ihrem Buch „Und täglich fällt das Wembley-Tor" wird eine Szene beschrieben, in der die Dortmunder 1965, als sie den Europapokal der Pokalsieger gewannen, im Rückspiel gegen West Ham United mit der englischen Mannschaft ins Kino gingen.

Tilkowski: So was ist schon mal vorgekommen.

inherne: Aber das wäre doch heute auch nicht mehr vorstellbar, oder?

Tilkowski: Um zwei Beispiele zu nennen. Früher hat der Zeugwart gezählt: Elf Hosen, elf Trikots, 22 Stutzen. Heutzutage muss er nicht zählen, weil die meisten Trikots verschenkt wurden. Man konnte es sich damals nicht erlauben, neue Trikots zu kaufen. Das ist die eine Welt.

Die andere Welt: Wir haben mit Borussia Dortmund ein wichtiges Spiel gegen Benfica Lissabon gespielt. So wie jetzt Borussia Dortmund gegen Juventus Turin. Auch von den Ergebnissen war es gleich. Borussia hat 2:1 verloren. Wir haben 1964 in Lissabon 2:1 verloren.

Der Unterschied ist der, dass jetzt neben den hohen Gehältern noch eine Prämie für den Sieg auf 50.000 Euro festgelegt wurde. 1964 waren 250 Mark festgelegt, mehr durfte nicht verdient werden für die beiden Spiele. Ich betone aber: Ich bin überhaupt nicht neidisch auf die Spieler. Aber wir fragen uns ja heute oft: Sind die Leistungen der Spieler in der Größenordnung gerechtfertigt?

inherne: Ihre Leistungen waren allerdings überragend, als Westfalia in den 50-er Jahren groß rauskam.

Tilkowski: Vor genau 60 Jahren habe ich meinen Vertrag in Herne unterschrieben. Und habe gedacht: In dieser Stadt bleibe ich nur ein Jahr. Gegen den Abstieg haben wir gespielt. Bei einem Freundschaftsspiel gegen Wanne 11 – wir haben 2:1 verloren – rief einer hinter meinem Tor: Hannes, dieses Jahr steigt ihr aber endgültig ab! Und genau in diesem Jahr sind wir Meister geworden!

Man muss sich mal vorstellen, welche Entwicklung und welche Arbeit und welcher Zusammenhalt dahinter steckte. Und das vermisse ich heute: Identifikation und Solidarität. Ich kenne Joachim Krol sehr gut. Sein Vater war ein großer Westfalia-Anhänger. Die vielen Alten, leider sind sie ja nicht mehr da, die Struktur hat sich geändert, deswegen sage ich: Die Identifikation fehlt zu dieser Stadt, zu diesem Verein.

inherne: Man darf nicht verhehlen. Dortmund und Schalke haben das Rennen gemacht. Mehr Platz für Große war dann im Ruhrgebiet nicht da. Auch bedingt durch den Rückgang des Bergbaus und den Strukturwandel.

Tilkowski: Sicherlich hat der Strukturwandel eine große Rolle gespielt. Aber es gibt auch andere Gründe. Was glauben Sie, wie oft ich wegen dieses Nacktspiels angesprochen werde. Ich habe im Westfalia-Stadion gesagt: So könnt Ihr euer Image aber nicht verbessern. So könnt Ihr auch keine Sponsoren bekommen.

inherne: Der Zusammenhalt in der Mannschaft bei Westfalia Herne blieb allerdings nicht lange erhalten. Einige haben den Verein verlassen, weil sie in der Bundesliga spielen wollten. Was bedeutete die Bundesliga für Sie?

Tilkowski: Als die Bundesliga gegründet wurde, 1963, bin ich nach Dortmund gegangen, wo ich geboren und zur Schule gegangen bin. Bis dahin mussten wir noch einen Beruf ausüben, sonst wären wir gesperrt worden. Von heute auf morgen musste man diesen Beruf wieder aufgeben, wenn man Profi in der Bundesliga werden wollte. Für die damaligen Spieler war es keine leichte Entscheidung. Vor allem nicht, wenn sie in einem Alter zwischen 27, 28 oder gar 30 Jahren waren. Die Spieler fragten sich: Wenn ich morgen verletzt werde, was dann? Wir wussten ja nicht: Wohin geht der Fußball? Dass er diese Dimensionen annehmen würde, konnte niemand ahnen.

inherne: Sie waren ein sachlicher Spieler, bekannt durch perfektes Stellungsspiel. Sind Sie ein Mensch wie Ihr Spiel?

Tilkowski: Ich habe sachlich gespielt. Und so ist mein Leben auch. 55 Jahre bin ich verheiratet. Es hat keine Skandale gegeben. Wenn man in die Bildzeitung kommen will, muss man dreimal verheiratet sein, fünfmal geschieden, oder was weiß ich.

inherne: Ein Leben wie aus einer anderen Zeit …

Tilkowski: Die Erziehung war anders in der damaligen Zeit. Wenn Sie früher unter Herberger den Stuhl gerückt haben und aufgestanden sind, hat der gesagt: Hans, kommen Sie, stellen Sie den Stuhl wieder zurück.

inherne: Den Stuhl haben Sie zurück gestellt, trotzdem sind Sie mit dem Herberger auch aneinander geraten.

Tilkowski: Herberger war ein Mann, der eine klare Richtung vorgab. 1958 bei der WM in Schweden bin ich ausgeschieden. Herbergers Argument: Zu wenig Länderspiele (3), zu jung (22). Vier Jahre später mache ich – mit einigen Riesenleistungen - alle Qualifikationsspiele für die WM in Chile. Und dann wird 20 Stunden vor dem Spiel in Chile bekannt, dass ich nicht spiele. Dass ich dann meine Meinung sage - „Sie lehren was anderes als das was Sie praktizieren" -, das war nur konsequent.

Nach meinem Rücktritt in Chile bin ich vom Kicker und vom Sportmagazin attackiert worden. „Tilkowski, gehen Sie auf Herberger zu!" „Ne, das mach ich nicht." Da habe ich immer eine Meinung gehabt, und die habe ich bis heute bewahrt. (lacht!)

Aber dann muss ich auch wieder sagen: Was ich nie erwartet hätte: Dass Herberger derjenige war, der mich wieder zurück holte in die Nationalmannschaft. Und er selbst hat mich angerufen und ist hier her gekommen.

inherne: Oft sind es die vorgestanzten Sätze, die man heute von den Fußballern hört. Oder waren es damals auch nur einzelne, die klar ihre Meinung geäußert haben?

Tilkowski: Ich nehme doch nicht die Spieler in Schutz. Schon deshalb nicht, weil es Ich-AG‘s geworden sind. Sie müssen sich selbst vermarkten oder werden vermarktet durch ihre Berater. Sie beschweren sich, weil sie überall beobachtet werden, aber wenn sie in Urlaub sind, machen sie Selfies. Ich wusste nicht, was ein Selfie ist. Ich habe gedacht, das kann man essen.

Andererseits frage ich mich: Was müssen das für Journalisten sein, die nach dem Spiel kommen, außer Atem, und den Spielern das Mikrofon praktisch bis an die Mandeln halten. Was sind denn das für Journalisten, die kein Mitgefühl haben?

inherne: Kommen wir zu Ihren Leistungen als Torwart. Wie gesagt: Sie waren für Ihre stoische Ruhe und ihr klares Stellungsspiel bekannt.

Tilkowski: Herberger hat zu mir gesagt: Wissen Sie, Hans, ich brauche einen Torhüter für das Tor und nicht für das Publikum. Übertriebene Selbstdarstellungen hat er unterbunden. Und er hat zu mir gesagt: Wenn Sie eine Parade gemacht haben, haben sie vielleicht eine zu viel gemacht. Sie müssen dort stehen, wo der Ball hinkommt.

  • Autogrammkarte von Hans Tilkowski: "Und wenn heute jemand sagt: Herr Tilkowski: eine Frage. Dann antworte ich: War nicht drin. Dann brauchen Sie gar nicht weiter zu fragen." © Hans Tilkowski

inherne: Was man über Sie gesagt hat, trifft das auch über Manuel Neuer zu?

Tilkowski: Manuel Neuer ist ein hervorragender Torhüter. Aber was er macht, ist vor 50 Jahren schon so gemacht worden.

inherne: Was meinen Sie damit?

Tilkowski: Das Rausspielen. Auswechslungen gab es nicht. Wenn ich mich an den Fingern verletzte (zeigt auf seine ramponierten Finger), dann ist der Arzt gekommen, hat den Finger wieder ins Gelenk geschoben und mit einem Verband versorgt. Dann hat man eben Mittelspieler oder Stürmer gespielt. Also war man aktiv in dieses Spiel eingebunden. Ich habe zuerst das Torwarttraining absolviert und danach habe ich das Feldspieler-Training mitgemacht.

Spielende Torhüter hat’s früher viel mehr gegeben. Aber nicht jeder kann es, das ist der Unterschied. Weil eben nicht jeder Fußball spielen kann.

inherne: Aus Südamerika kennen wir andere Torhüter, der Kolumbianer Higuita mit dem Hackentritt oder der Paraguayer Chilavert, der auch viele Tore geschossen hat …

Tilkowski: Das ist ja die Mentalität dieser Leute, die man akzeptiert. Unter Herberger durfte man sich nicht als Einzelperson heraus kristallisieren. Wenn was anderes in der Zeitung stand, dann hat er morgens angerufen. „Hans, was ist denn da los?" Jogi Löw hat heute kein Interesse daran, weil er auch keinen Einfluss drauf hat.

inherne: Trotzdem ist es überraschend, dass ein Torhüter, der nicht spektakulär spielt, 1965 zum Spieler des Jahres gewählt wird – als erster Keeper.

Tilkowski: Das sind meine Leistungen eingeflossen, die Spiele im Europacup der Landesmeister in der Saison 63/64 gegen Dukla Prag, gegen Benfica Lissabon, wo ich in Lissabon ein ganz überragendes Spiel gemacht habe.

inherne: Der BVB machte sich 1963/64 international einen Namen, schied aber im Halbfinale aus. In der Saison 1965/66 holte Dortmund den Europacup der Pokalsieger. Damals als Sie von Dortmund weggegangen sind, da hatten Sie Streit, es ging um 100.000 Mark . Hat Sie das verändert? Sind Sie möglicherweise aus diesen Gründen heimlich Schalker geworden?

Tilkowski: Ich glaube, Sie sind auf dem falschen Dampfer. Ich bin doch kein Schalker geworden. Ich bin doch nie Schalker gewesen. Das habe ich ja noch nie gehört!!!

Nein, ich habe die Führung von Borussia Dortmund kritisiert, weil sie den verdienstvollen Trainer entlassen hat, weil der gesagt hat, ich habe ein neues Angebot. Die Leute aus dem Vorstand waren nicht in der Lage, einen Taubenverein zu führen. Aber dass ich Schalker sein soll … darauf muss ich erst einen Schluck Kaffee trinken.

inherne: War ja ein Gag.

Tilkowski: Jetzt machen Sie noch Aprilscherze mit mir.

inherne: So entrüstet wie Sie jetzt reagiert haben, das war ja ein bisschen gespielt.

Tilkowski: Ich hätte allerdings in Schalke spielen können, darüber habe ich gestern noch mit Klaus Fichtel gesprochen. Aber Schalke hatte einen Torhüter, Manfred Orzessek. Ob ich die Chance gehabt hätte, ihn zu verdrängen, die Frage kann ich selbst heute nicht beantworten.

inherne: Die Spielerkarriere haben Sie bei Eintracht Frankfurt beendet, danach waren Sie noch viele Jahre in ganz Deutschland als Trainer tätig. Und trotzdem haben Sie Ihr Haus in Herne an der Büchnerstraße behalten. Ihre Familie hat darin schon 1966 die WM-Spiele verfolgt. Kommt die Großfamilie darin immer noch zusammen?

Tilkowski: Das ist nach wie vor ein Treffpunkt. Die Kinder leben allerdings in München. Meine Frau stammt aus der Pfalz. Wir haben auch noch das Elternhaus meiner Frau in Alsenborn. Dort haben wir 500 Meter entfernt von Fritz Walter gewohnt. Wir pflegen solche Kontakte, darauf habe ich immer großen Wert gelegt.

inherne: Die Kontakte haben geholfen bei Ihren Benefizaktionen?

Tilkowski: Wir haben ein Spiel gemacht zu meinem 50. Geburtstag. Da war alles vertreten. Die ganze Welt, ob Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller, alle waren dort. Wir haben damals für Multiple-Sklerose-Erkrankte gespielt.

Ich hatte auch eine Veranstaltung mit der Königin Silvia von Schweden für ihre Children Foundation, wo 250.000 Mark zusammen kamen. Und zahlreiche andere Aktionen.

inherne: Bei Ihren zahlreichen Benefizaktionen haben Sie gut zwei Millionen Euro „eingespielt". Sie sind neben anderem auch Botschafter des internationalen Friedensdorfes in Oberhausen.

Tilkowski: An meinen Geburtstagen habe ich nie Geschenke angenommen. Nicht, dass ich sie nicht haben wollte. Aber für die Leute war es meistens angenehmer, dass sich nur Gedanken über die Höhe des Geldes machen mussten. Und ich konnte diese ganzen Sachen mit unterstützen.

inherne: Von den Benefizaktionen abgesehen, die Akteure von damals, sie halten auch heute zusammen?

Tilkowski: Ich war jetzt zum Länderspiel in Kaiserslautern. Da habe ich mich mit Dieter Kürten und anderen getroffen. In Hamburg treffe ich mich mit Uwe Seeler. Ich rufe regelmäßig einen meiner ehemaligen Trainer an, Dettmar Cramer, alle zehn bis 14 Tage telefonieren wir miteinander.

inherne: Wie geht es Dettmar Cramer?

Tilkowski: Er ist schwerkrank. Uns verbindet eine tiefe Freundschaft. Er war mein Trainer. Cramer war zehn Jahre älter als ich. Als ich 15 war, war der 25.

inherne: Sie haben sich immer wieder gegen Vereinfachungen gewehrt. Und auch dagegen, dass man Sie häufig nur im Zusammenhang mit einem bestimmten Treffer im WM Finale 1966 in England sieht, als sie und ihre Mannschaft Vizeweltmeister wurden. Ihre Biografie verdeutlicht das schon im Titel: „Und ewig fällt das Wembley-Tor". Und jetzt zu ihrem 80. Geburtstag melden sich wahrscheinlich vermehrt Menschen und stellen diese eine Frage: War der Ball drin oder nicht? Was sagen Sie?

Tilkowski: Es bleibt, egal wo ich hinkomme, die bestimmende Frage. Und wenn heute jemand sagt: Herr Tilkowski: eine Frage. Dann antworte ich: War nicht drin. Dann brauchen Sie gar nicht weiter zu fragen.

Gestern habe ich mich noch mit Olaf Thon unterhalten. Dem habe ich eine andere Antwort gegeben: Lies doch mal mein Buch! Die Biografie ist überall sehr positiv angekommen, ohne über Besonderes zu schreiben. Wie Harald Schumacher mit seinem Dopingvorwurf. Oder andere, die auf Alkoholprobleme hinweisen.

inherne: Herzlichen Dank für Ihr Gespräch – und viel Erfolg zu Ihrem 80. Geburtstag!

Das Gespräch führte inherne-Redakteur Horst Martens.