„Integration ist eine Mammutaufgabe“

10. November 2022 | Ausgabe 2022/3

„Es ist eine große Ressource für die Stadt, dass viele Menschen hierherkommen“, findet Claudia Heinrich.

Interview über eine der dringlichsten Aufgaben der Stadt

Im inherne-Interview sprechen Stadtrat Andreas Merkendorf und Claudia Heinrich, Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums (KI), über die Herausforderungen der Integration.

inherne: Welche Bedeutung hat das Thema Integration für eine Stadt wie Herne?
Andreas Merkendorf: Integration ist eine der dringlichsten Aufgaben, die wir in Herne haben. Herne ist seit Generationen von Integration geprägt. Seit 2015 hat sich die Migration aber verändert. Bis dahin hatten wir wesentlich eine Arbeitsmigration. Jetzt haben wir es verstärkt mit Menschen zu tun, die vor Kriegen geflohen sind. Das ist eine andere Herausforderung. Wir können sie nur dann erfolgreich gestalten, wenn wir das übergreifend über unsere Stadtgesellschaft denken.

inherne: Wo läuft denn die Integration vornehmlich ab?
Merkendorf: In allen gesellschaftlichen Bereichen. In Kita und Schule ebenso wie im Sportverein oder in der Kultur. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ergeben sich noch einmal neue Integrationsaufgaben für uns. Ich habe das Gefühl, dass viele in Land und Bund noch gar nicht verstanden haben, welche Mammutaufgabe das für uns in den Kommunen bedeutet.
Claudia Heinrich: Es ist eine große Ressource für die Stadt, dass viele Menschen hierherkommen. Das KI hat die Aufgabe, Brücken für diese Menschen und zu diesen Menschen zu bauen. Wir leben hier gemeinsam und müssen miteinander auskommen. Im besten Fall profitieren wir alle von diesem Zusammenleben.

Stadtrat Andreas Merkendorf und Claudia Heinrich, Leiterin des KI

inherne: Hat denn die Stadtgesellschaft bereits verinnerlicht, dass dies eine Aufgabe ist, die uns alle angeht oder sieht sie das noch zu sehr als Aufgabe der Stadtverwaltung?
Merkendorf: Bei Institutionen wie Kirchen oder Sozialverbänden und Sportvereinen ist das Thema angekommen. Sorge bereitet mir, dass es schwieriger wird, Teile der Bevölkerung mitzunehmen. Es ist die Aufgabe von Verwaltung und Politik mit diesen Menschen zu sprechen und zu erklären, zu erklären, zu erklären… Wir müssen diese Sorgen und Ängste ernstnehmen. Und nicht alle Kommunen in NRW sind gleichermaßen von dieser großen Herausforderung betroffen. Deswegen müssen wir Ruhrgebietskommunen immer wieder in Richtung Landesregierung appellieren, uns mehr zu unterstützen. Es fehlt in Düsseldorf vielleicht manchmal das Gespür dafür, was wir im Ruhrgebiet leisten, denke ich.
Heinrich: Gibt es denn überhaupt die Stadtgesellschaft? Es gibt Gruppen in der Stadt, in denen das Thema Integration gut angekommen ist. Der Einsatz vieler für die Geflüchteten aus der Ukraine ist ein gutes Beispiel dafür. Aber Andreas Merkendorf hat gerade zu Recht die Menschen angesprochen, die selbst in Not sind, die Existenzängste umtreiben. Es ist unsere Aufgabe, mit ihnen in den Austausch zu gehen.

„Sorge bereitet mir, dass es schwieriger wird, Teile der Bevölkerung mitzunehmen“, so Andreas Merkendorf.

„Das Vernetzen ist die Hauptaufgabe des KI“, erklärt Claudia Heinrich.

inherne: Integration hat viele Akteure. Die Stadt Herne ist da einer von vielen. Wie definieren wir uns da als Verwaltung?
Merkendorf: Wir sind Impulsgeber und haben die Aufgabe zu bündeln und das Ganze im Blick zu haben. Politisch haben wir die Aufgabe in Richtung Bundesregierung, aber auch Landes- und Bezirksregierung, klar zu machen, wo es Probleme gibt, die wir als Städte nicht alleine lösen können.
Heinrich: Alle Institutionen der hauptamtlichen Integrationsarbeit sind seit 2005 im Herner Integrationsnetzwerk organisiert, das durch das KI koordiniert wird. Da passiert viel Steuerungsarbeit. Wo gibt es Bedarfe? Was können wir Neues auf den Weg bringen? Das Vernetzen ist die Hauptaufgabe des KI.

inherne: Wird der Stellenwert der Integration ausreichend gewürdigt und wertgeschätzt?
Merkendorf: Inhaltlich sind wir als Gesprächspartner sehr geschätzt. Wenn ich Wertschätzung aber daran festmache, welche Ressourcen wir vom Land bekommen, dann sicher nicht.
Heinrich: Das stimmt, aber leider ist es so, dass wir häufig dann ins Gespräch gebracht werden, wenn etwas nicht gut gelaufen ist. Die Erfolge, die wir in den 40 Jahren institutionalisierter Integrationsarbeit erreicht haben, gehen zu oft unter.
Merkendorf: Ich verbinde damit eine politische Forderung: Integrations-Förderprogramme müssen zu 100 Prozent gefördert werden. Es ist zynisch vom Land, wenn man uns sagt: „Wenn ihr Stellen haben wollt, müsst ihr Eigenmittel beisteuern.“ Nichts da! Wir brauchen mehr Stellen, aber ohne, dass wir als finanzschwache Stadt draufzahlen. Ich habe bislang bei keiner Landesregierung gesehen, dass man diesen Hebel umlegen wollte.
Heinrich: Positiv ist, dass es einen breiten Grundkonsens dazu gibt, wie wichtig Integrationsarbeit ist und dass deshalb die Förderung der Kommunalen Integrationszentren gesetzlich verankert ist, aber mehr und besser geht immer.

Interview: Christoph Hüsken     Fotos: Frank Dieper