Gerhard Kohlenbach spricht im Interview über die Herausforderungen einer Nachrichtensendung

Journalismus muss seinen Wert behalten

24. Februar 2019 | Gesellschaft

inherne: Herr Kohlenbach, wie sind Sie zum Journalismus gekommen?

Kohlenbach: Es hat sich schon mit 14 oder 15 Jahren so ergeben, dass ich wusste, dass das ein Beruf ist, den ich gern machen würde. Dadurch, dass in Dortmund die Möglichkeit bestand, Journalistik zu studieren, hat es mich in diese Branche verschlagen.

inherne: War Ihnen von Anfang an klar, dass Ihr Medium das Fernsehen ist?

Kohlenbach: Der Studiengang ist auf Journalismus grundsätzlich angelegt. Während des Studiums habe ich ein Volontariat beim ZDF gemacht. Es hat sich dann herauskristallisiert, dass ich gerne beim Fernsehen arbeiten würde. Später bin ich zu VOX gewechselt und von da aus zu RTL.

inherne: Als Redaktionsleiter stehen Sie nicht vor der Kamera. Hat Sie das nicht gereizt?

Kohlenbach: Das war auch reizvoll als ich noch als Reporter unterwegs war. Aber ich habe einfach einen anderen Weg eingeschlagen. Ich verantworte die Sendung und stelle sie zusammen. Themen auswählen und gewichten hat mir besser gefallen.

inherne: Für „RTL Aktuell“ sind Sie als CvD für die Planung zuständig. Wonach wählen Sie die Themen für die Sendung aus?

Kohlenbach: Wir haben die ganz normalen Nachrichtenkriterien. Da unterscheiden wir uns erstmal nicht von ARD oder ZDF. Aber wir gehen strikt auf die Zuschauerperspektive ein. Wir fragen uns: Was interessiert unsere Zuschauer? Und das ist mehr als nur Politik. Wir bekommen von vielen Zuschauern gespiegelt, dass ihnen Nachrichten oft zu negativ sind. Sie zeigen immer das Schlechte auf der Welt – das ist auch richtig und unsere Aufgabe, aber wir sagen: Darüber hinaus müssen wir mehr bieten. Das Leben ist nicht nur ein Jammertal, sondern es gibt viele andere Bereiche wie Lifestyle, Forschung, Gesundheit und Trends, die wir in unserer Sendung berücksichtigen, da sie bei Zuschauern eine große Rolle spielen. Wir bieten auch etwas zum Durchatmen, eine positive Geschichte, etwas Persönliches.

  • Gerhard Kohlenbach arbeitet auch mit Peter Kloeppel eng zusammen. ©privat

inherne: Ist es auch für RTL im Zeitalter von Facebook, Twitter, Instagram & Co. schwieriger geworden, Nachrichten zu zeigen, die die Zuschauer noch nicht kennen?

Kohlenbach: Wir haben eine Infrastruktur, die uns erlaubt, Sachen selber zu drehen und zu produzieren, die andere noch nicht haben. Wir sind nicht mehr die schnellsten. Irgendwas wird vorher gepostet worden sein oder sich irgendwo im Netz finden. Dort ist es aber nicht verifiziert. Das ist aber wichtig – besonders in den Zeiten von Fake News. Wir bieten den Mehrwert, dass wir eine große Redaktion haben und dem Zuschauer am Abend sortiert präsentieren können, was heute wichtig war. Wenn Peter Kloeppel den Tag am Abend zusammenfasst, ist das nach bestem Wissen und Gewissen der Stand der Dinge, den wir wissen. Und bei Sachen, die wir noch nicht wissen, machen wir kenntlich, dass es noch nicht bewiesen ist. Das ist eine wichtige Funktion von Fernsehnachrichten. Am Ende des Tages dem Zuschauer einen Überblick zu geben, was heute in Deutschland und der Welt passiert ist und es auch einzuordnen, mit Hintergründen zu versehen – also das zu bieten, was mir das Internet mit vielen kleinen Appetithappen so nicht bieten kann.

inherne: Für Ihre Recherchen nutzen Sie sicherlich auch die sozialen Netzwerke?

Kohlenbach: Wir sind natürlich auf allen Plattformen unterwegs. Zur Recherche haben wir extra Verifizierungsteams im Haus, die prüfen, ob Videos wirklich echt sind, wenn sie im Internet kursieren. Aber für uns ist es natürlich auch wichtig, unsere Nachrichten auf allen Kanälen anzubieten. Wir stellen im Internet auch Videos zur Verfügung, da wir selbstverständlich wissen, dass gerade die jüngeren Zuschauer nicht mehr so linear fernsehen wie ihre Eltern vielleicht noch. Sie möchten die Informationen rund um die Uhr auf allen Plattformen konsumieren. Das versuchen wir sicherzustellen. Aktuell haben wir im Schnitt 3,5 Millionen Zuschauer, die sich jeden Abend die Sendung ansehen. Aber natürlich muss es möglich sein, dass Menschen die Nachrichten auch nachts um 2 Uhr schauen können, wenn sie das möchten.

inherne: Hat sich Ihr eigenes Medienverhalten in den vergangenen Jahren auch verändert?

Kohlenbach: Es hat sich beruflich und privat verändert. Vor zehn Jahren war es noch so, dass Geschichten, die in den USA gespielt haben, irgendwann hierhin kamen. Dann haben wir einen Bericht gemacht, wenn wir davon Kenntnis bekommen haben. Inzwischen gibt es keinen Zeitverzug mehr. Wir müssen schneller reagieren. Und im Privaten kann ich mir einen Tagesablauf ohne Nachrichtenseiten und soziale Medien nicht mehr vorstellen.

inherne: Wie sieht ein Tag bei Ihnen in der Redaktion aus?

Kohlenbach: Um 9 Uhr bin ich da. Dann liest man sich ein. Früher hat man Zeitungen gelesen. Inzwischen liest man die Internetseiten, weil es das schnellste Medium ist. Man verschafft sich einen Überblick über die Themen. Dann gibt es eine Konferenz mit Planungsredakteuren. Die sorgen dafür, dass Kamerateams und Live-Übertragungswagen an der richtigen Stelle sind. Dann gibt es eine Konferenz mit den anderen journalistischen Redaktionen von RTL (vom Frühstücksfernsehen bis zum Nachtjournal), wo man noch mal guckt, wer welche Themen behandeln wird. Dazu gehören auch die Online-Kollegen. Um 10.30 Uhr machen wir noch eine große Konferenz mit der Redaktion in Köln, die etwa aus 20 Leuten besteht. Davon haben täglich etwa acht Menschen Dienst, da wir an 365 Tagen im Jahr senden. Zugeschaltet sind dann unsere Außenstudios. Danach gibt es Gespräche mit den Auslandskorrespondenten: Was können die Kollegen für die Sendung anbieten? Daraus machen wir dann eine Themenauswahl. Im Anschluss wird etwa bis 14 Uhr recherchiert. Welche Themen haben sich bewahrheitet? Welche sind nicht stark genug für die Sendung? Wie ist die Bilderlage? Dann machen wir einen Ablauf, wie wir abends um 18.45 Uhr senden wollen. Es gibt keinen Redaktionsschluss mehr, weil wir die Sendung, sobald etwas passiert, umbauen und aktualisieren. Notfalls können wir per Handy von jedem Ort der Welt berichten. Normalerweise ist es so, dass wenn die Sendung um 18.45 Uhr beginnt, nicht alle Beiträge da sind. Die kommen rein, wenn die Sendung schon läuft. Als CvD bin ich dafür zuständig, alle Beiträge und Anmoderationstexte abzunehmen, da ich medienrechtlich für die Sendung verantwortlich bin. Dann gibt es nach der Sendung noch eine kleine Besprechung: Was ist gut gelaufen? Was ist schlecht gelaufen? Dann ist man etwa um 19.30 Uhr wieder raus, wenn keine Breaking News mehr kommen.

inherne: Was wünschen Sie sich für die Medienlandschaft?

Kohlenbach: Ich wünsche mir, dass ordentlich recherchierte Beiträge immer ihren Wert behalten. Und damit auch möglich werden. Gerade Nachrichten sind ein teurer Spaß, den RTL gerne produziert – auch aus gesellschaftlicher Verantwortung. Ich hoffe, dass immer Möglichkeiten da sein werden, Qualitätsjournalismus zu bieten. Das heißt auch, dass man damit Umsätze und Gewinne machen muss. Wenn alles kostenlos im Internet zur Verfügung steht, wird Qualitätsjournalismus schlechte Karten haben. Aber wir stellen fest, dass Menschen bereit sind, für Qualitätsjournalismus eine Gebühr zu zahlen, wenn sie dafür die Gewissheit haben, dass es professionell recherchiert ist und Hintergründe ausgeleuchtet wurden.

Das Gespräch führte Anja Gladisch.

Gerhard Kohlenbach wurde am 15. September 1965 geboren. Sein Abitur machte er am Otto-Hahn-Gymnasium. Anschließend studierte er Journalistik in Dortmund. Seit 1994 arbeitet Kohlenbach bei RTL in Köln. Vor zehn Jahren ist der Herner auch in die Stadt am Rhein gezogen. Seit 2007 ist er Redaktionsleiter und Chef vom Dienst (CvD) bei „RTL Aktuell“. Aber nach wie vor kommt er regelmäßig nach Herne.