Frauke Thielecke ist in vielen Filmgenres im Rennen

Leidenschaft: Film

24. Februar 2017 | Gesellschaft Kultur

Das Interview führte Horst Martens / Fotos: Rick Friedman / ZDF

inherne: Woran können Sie sich noch in Herne erinnern? Wann sind Sie mal wieder in Ihrer Heimatstadt?

Thielecke: Ich war noch zu klein und kann mich tatsächlich an fast nichts erinnern. In diesem Jahr steht aber endlich mal wieder ein Besuch auf dem Programm. Jonah Rausch, ein Schauspieler, mit dem ich gerade drehe, kommt aus Herne. Das haben wir zum Anlass genommen, einen gemeinsamen Besuch der Stadt zu planen.

inherne: Sie sind herzlich eingeladen, im Rathaus auf einen Kaffee vorbeizuschauen. Wann und wie ist bei Ihnen der Wunsch gereift, Fernseh-Regisseurin zu werden?

Thielecke: Meine Eltern sind große Filmfans, vor allem mein Vater war es. Als Kind habe ich nachts immer mit ihnen Western geschaut, die mein Weltbild sehr geprägt haben (lacht). Als ich mein Amerikanistik-Studium in Hamburg anfing, kam ein neuer Professor an die Fakultät, der vor allem Filmseminare anbot. Da habe ich mich immer mehr spezialisiert. Dass das meine Leidenschaft ist, wurde mir klar, als ich bei meinem Stipendium in Wales meine ersten Kurzfilme drehte. Ich kam zurück nach Deutschland und wollte unbedingt ans Filmset. Das habe ich dann auch gleich in die Tat umgesetzt. Erst natürlich unentgeltlich, wie immer als Praktikant. Darüber habe ich dann meine ersten bezahlten Jobs bekommen und später lange als Script/Continuity und Regieassistenz gearbeitet, bevor ich mich an der Hamburg Media School beworben und dort Regie studiert habe.

inherne: Was genau ist Continuity? Auf was genau muss man da achten? Haben Sie Beispiele parat, wo etwas schief gelaufen ist?

  • Dreh für "Katie Fforde: Bellas Glück" im August 2016 in Boston und Umgebung. © Rick Friedman/ZDF
Thielecke: Der Job des Script/Continuity ist zweigeteilt. Man schreibt alles auf, was gedreht wird: Für den Cutter die Cutterberichte und für die Produktion den Tagesbericht. Als noch nicht digital gedreht wurde, hat man auch noch die Berichte fürs Kopierwerk geschrieben. Mit der Stoppuhr stoppt man die vermutliche Szenenlänge, denn gerade beim Fernsehen muss der jeweilige Film ins Programmschema passen und darf nicht zu lang oder kurz sein. Continuity bedeutet, dass man für die sogenannten Anschlüsse verantwortlich ist. Also: Stimmt der Text, in welchem Wort hat sich der Schauspieler gesetzt, auf welcher Seite lag der Pferdeschwanz, welcher Filter war in der Kamera... Ich habe mir früh ein amerikanisches Buch zu dem Beruf gekauft, da gibt es eine Comicseite, auf der alle Teammitglieder Fragen haben. Und darunter steht: "And the continuity supervisor knows all the answers." Und so ist es tatsächlich. Man muss eine perfektionistische Ader haben und multitasking-fähig sein. Mich hat der Job sehr gut auf den Regieberuf vorbereitet.

inherne: Sie haben am Anfang Ihrer Karriere Auszeichnungen für Kurzfilme bekommen. Was hat diese Arbeiten ausgezeichnet?

Thielecke: Oh, da müssten Sie die jeweiligen Jurys fragen. Ich habe mich in meinen Kurzfilmen häufig mit der hochemotionalen Dramatik des Altwerdens beschäftigt, das nach wie vor eins meiner Lieblingsthemen ist.

inherne: Welches sind Ihre Vorbilder aus der Filmbranche?

Thielecke: Howard Hawks ist ein Regisseur, der in seinen Filmen wie „Der große Schlaf", „Leoparden küsst man nicht", „Hatari" und „El Dorado" genreübergreifend gearbeitet hat. Er war in der Lage, sowohl Film Noirs als auch Komödien und Western zu drehen und hat immer wieder Elemente anderer Genres dort eingearbeitet. Das wünsche ich mir auch. Heute wird man sehr schnell in eine Schublade gesteckt und bekommt z.B. nur noch Krimis angeboten. Ich liebe an meinem Beruf aber die Vielseitigkeit und gebe 100 Prozent sowohl bei der „Sesamstraße" als auch bei einem Neunzigminüter wie „Katie Fforde". Von den zeitgenössischen Regisseuren bewundere ich Kenneth Lonnergan, der gerade mit „Manchester by the Sea" Furore macht. Er ist fantastisch nah an seinen Figuren und hat Casey Affleck wirklich zu einer Höchstleistung gebracht. Und Tom Ford ist mit seinem kompromisslosen Stilwillen und der Dramatik, die einen kaum im Kinosessel hält, ein Vorbild mit seinen Filmen wie „A Single Man" und „Nocturnal Animals".

Frauke Thielecke, 1973 in Herne geboren, führte in zahlreichen TV-Folgen Regie: Ein Fall von Liebe, Rentnercops, Katie Fforde, Der Landarzt, Tiere bis unters Dach, Küstenwache, Stubbe - von Fall zu Fall, Rote Rosen, In aller Freundschaft.

inherne: Sie sind ja zu einer häufig gecasteten Regisseurin für TV-Serien geworden. Können Sie uns schildern, welches die besonderen Herausforderungen sind?

Thielecke: Eine Herausforderung ist schon in der Frage enthalten: Als RegisseurIN. Für Frauen ist es ungleich schwerer, den Regieberuf auszuüben, wie Erhebungen zeigen.

Ansonsten habe ich über die Jahre beobachtet, dass die Budgets und die Zeit, ein gutes Produkt herzustellen, wesentlich knapper geworden sind. Im Jahr 2004 hatten wir noch 25 Drehtage für einen Neunzigminüter, heute sind wir bei 21 oder sogar darunter. Man muss schon eine große Leidenschaft für den Beruf haben und sie sich erhalten. Sonst fragt man sich, warum man eigentlich um drei Uhr morgens seit Stunden bei strömendem Regen und Minusgraden auf einer Wiese steht und versucht, eine gefühlvolle Szene zu drehen. Ich kann mir tatsächlich nichts Schöneres vorstellen als mit einem großen Team, in dem alle ihr Bestes geben, Emotionen mit der Kamera einzufangen. Ich finde, es ist ein großes Privileg, diesen Beruf ausüben zu können.

inherne: Was machen Sie gerade?

Thielecke: Auch dieses Jahr habe ich wieder sehr schöne Projekte vor mir: Im Augenblick drehe ich in Leipzig bei „In aller Freundschaft". Danach mache ich vier Folgen für die „SOKO München" und drehe danach zwei Neunzigminüter aus der Reihe Katie Fforde fürs ZDF in Boston und Umgebung. Dort war ich letztes Jahr schon, und das Projekt und die Landschaft dort sind wirklich fantastisch.

inherne: Gibt es ein Traumprojekt, das Sie irgendwann einmal verwirklichen wollen?

Thielecke: Ich würde gerne meine beiden Leidenschaften Film und Musik verbinden und habe dazu auch eine konkrete Idee. Die werde ich hier aber natürlich nicht verraten!

Das Gespräch führte Horst Martens.