Interview mit Journalistik-Professorin Wiebke Möhring

Lokaljournalismus bleibt unersetzlich

23. Februar 2019 | Gesellschaft

  • Professor Wiebke Möhring leitet das Institut für Journalistik an der TU Dortmund. © Frank Dieper, Stadt Herne

inherne: Woher bekommen Sie Ihre Informationen?

Möhring: Vorwiegend über die gedruckte Zeitung. Weil mein Leben multilokal ausgerichtet ist, informiere ich mich im Netz über die Städte, in denen ich mich viel aufhalte: unter anderem über die WAZ online in Herne.

inherne: Wird es in zehn Jahren noch eine gedruckte Zeitung geben?

Möhring: Ja. Aber sie wird nicht mehr so sein wie heute, sondern ich befürchte, dass es sich noch stärker um ein Medium für die Bildungselite handeln wird: die gedruckte Zeitung, um sich von anderen abzuheben. Für mich gibt es diese strikte Trennung zwischen traditionellen Medien wie der gedruckten Zeitung und online gar nicht mehr. Zeitung ist für mich, wie das Internet, ein Distributionskanal. Viel wichtiger wäre die Frage: Wird es in zehn Jahren noch Journalismus geben? Und das würde ich ganz klar mit ja beantworten.

inherne: Wird Journalismus auch online gebraucht?

Möhring: Die journalistische Leistung des Trennens von Relevantem und Nicht-Relevantem bleibt sehr wichtig. Ansonsten überlasse ich es dem Leser zu entscheiden, was relevant ist. Weil er das schier Masse gar nicht tun kann, bleibt er so immer stärker in seinem eigenen Interessenfeld. Was dem seriösen, glaubwürdigen Journalismus heute stärker in die Karten spielt, ist der Wunsch nach glaubwürdigen Informationen. Selbst ein Magazin wie inherne ist letztlich ein anwaltschaftliches Magazin für Herne und kann einen unabhängigen Journalismus nicht ersetzen.

inherne: Dennoch gehen einige Verlage gegen Medien vor, die von Städten herausgegeben werden. Manche Medienhäuser empfinden das als Konkurrenz, während wir sagen, wir besetzen eine Nische.

Möhring: Sie sind vielleicht nicht mit Blick auf den lokalen Journalismus an sich Konkurrenz. Aber mit Blick auf mögliche Inserenten und mit Blick auf die Exklusivität von Geschichten – also auf der Ebene der Information – sind Sie Konkurrenten. Wir müssen unterscheiden zwischen lokaler Information und lokalem Journalismus. Lokale Informationen sind auch Internetseiten von Firmen, Behörden und Vereinen. Diejenigen, denen diese Art der Informationen schon reicht, sind für den Lokaljournalismus weg. Die sagen: Warum soll ich da noch recht stolze Preise für ein Lokalabo bezahlen? Deswegen ist es so wichtig, dass der Lokaljournalismus die journalistische Bearbeitung ausbaut, das kritische Hinterfragen. Das Problem ist, dass sich bisher keine tragfähige Einnahmequelle gefunden hat.

inherne: Wie muss sich der Journalist wandeln, um diese Funktion weiter wahrzunehmen?

Möhring: Die journalistischen zentralen Tugenden der Neugier und des Misstrauens bleiben wichtig. Was Journalismus stärker tun müsste, ist, die technischen Potentiale zu heben. Also warum nicht mit Geotagging zu arbeiten, damit ich mir Nachrichten nach Städten sortieren kann. Wir haben auch völlig neue Berufsrollen: zum Beispiel den Datenjournalisten, der solide Kenntnisse in der statistischen Bearbeitung von Datensätzen hat. Der zweite Punkt, der Technik und bisherige Geschäftsmodelle verknüpft: Ich glaube, dass eine Zeitung heute nicht mehr gut beraten ist, sich als Gesamtprodukt zu sehen. Warum kann ich mir nicht heute die Zeitung meiner Wahl zusammenstellen, mit dem Lokalteil der WAZ und den Politikteil von der Süddeutschen?

inherne: Hat sich das Verhältnis zwischen Medien und Lesern verändert?

Möhring: Das ist so. Leser haben den Wunsch nach Transparenz. Manche Zeitungen machen etwa einen Recherche-Kasten, in dem Leser sehen können, was für eine Arbeit in einem Stück steckt. Wir tun gut daran, dass der Leser sieht, was Journalismus von einem Post in Social Media unterscheidet.

inherne: Was halten Sie davon, dass Medien sich immer mehr danach richten, was Klickzahlen bringt?

Möhring: Klickzahlen und andere Metriken sind wunderbare Instrumente, um das Leserverhalten zu erkennen, aber nicht, um damit die Glaubwürdigkeit des Journalismus auszubauen.

inherne: Was halten Sie davon, dass viele Medien Bezahlschranken im Internet einführen?

Möhring: Es ist eine Möglichkeit, sich verlorengegangene Einnahmen zumindest in den Restbeständen zu sichern. Die Bezahlschranke ist der Versuch, ein altes Geschäftsmodell in eine neue Zeit zu überführen. Man hätte es schon vor zehn Jahren machen müssen. Außerdem löst sich das Geschäftsmodell aus Anzeigen und Verkauf auf, die Anzeigen wandern weg. Die Geschäftsmodelle traditioneller Medienhäuser werden durch Plattformen wie Facebook oder Google in Frage gestellt, die ein völlig anderes Geschäftsmodell haben. Und Zeitungen haben lange nicht reagiert. Genauso, wie sie lange Zeit die Gratis-Kultur im Netz befördert haben. Es gab keinen Grund, dass am Anfang sämtliche Medienprodukte umsonst im Netz zu lesen waren.

inherne: Wie hat es Sie geprägt, Schwester von zwei berühmten Schauspielern zu sein?

Möhring: Mich hat in erster Linie geprägt, dass ich als Schwester mit drei Brüdern aufgewachsen bin. Und es hat mich geprägt, dass wir vier alle einen Beruf haben, dem wir mit Leidenschaft nachgehen. Dass einer auf der Straße eher erkannt wird als die andere, spielt für uns Geschwister keine Rolle. Innerhalb unseres geschwisterlichen Miteinanders gibt es keine Berühmtheitshierarchien.

inherne: Sind Sie stolz auf Ihre Brüder? Und sind Ihre Brüder stolz auf Sie?

Möhring: Ich glaube, wir sind wechselseitig stolz, dass jeder etwas gefunden hat, was er gerne macht. Weil es ein ganz zentraler Faktor für die Lebenszufriedenheit ist, einen Beruf gewählt zu haben, den man gerne ausübt und wo man morgens mit Freude aufsteht. Ich bin auf meine Schauspieler-Brüder nicht mehr oder weniger stolz als auf meinen Lehrer-Bruder.

Von Herne an die Hochschule

Wiebke Möhring ist in Herne aufgewachsen und besuchte die Hiberniaschule. Ihre Brüder Sönke und Wotan Wilke sind Schauspieler, ein weiterer Bruder ist Lehrer. Wiebke Möhring ist Professorin für Print- und Onlinejournalismus an der TU Dortmund.

Das Gespräch führten Nina-Maria Haupt und Horst Martens.