Holz/Metall/Plastikbezug, um 1955

Neue Exponate: der Kinderhochstuhl

6. Mai 2016 | Gesellschaft Kultur

1955 war die Welt im Schatten von Hannover-Hannibal noch in Ordnung. Nicht ohne Stolz blickte man hier, im Herzen des Ruhrgebiets, auf das Geleistete. Waren es nicht die Kumpels und Malocher an Ruhr und Emscher, die in den Zechen und Stahlwerken im permanenten Akkord für das Wirtschaftswunder schufteten? Die Hochkonjunktur war überall zu spüren. Neue Wohnhäuser und Produktionsanlagen entstanden und durch den 100.000sten Einwohner war Wanne-Eickel sogar zur Großstadt geworden. „Besser und schöner Leben!" lautete das Motto der Zeit und das galt nicht nur für die Menschen in Düsseldorf.

Vor und hinter Hannibal

Das kleine Glück stellte sich in diesen Tagen auch für Lore und Hans König ein. Nur wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Bärbel im Dezember 1955 zog der Steiger auf Hannover-Hannibal mit seiner junge Familie in die neuen Häuser der Ruhrkohle AG auf der Herzogstraße: jede Wohnung mit Badewanne und Toilette, ein Paradies zwischen vier Wänden.

„Papa arbeitete auf Hannibal, und wir lebten gewissermaßen dahinter. Neun Familien mit elf etwa gleichaltrigen Kindern wohnten in den Häusern Herzogstraße 14 und 16. Der gemeinsame Hof war ein Paradies. Wann immer das Wetter es zuließ, spielte sich dort das Leben ab. Die Mütter saßen zusammen oder hingen Wäsche auf, die Väter spielten Skat an einem ausrangierten Küchentisch, und wir Kinder genossen die beinahe unbegrenzten Möglichkeiten", erinnert sich Bärbel König-Bargel.

Seit 2010 arbeitet die Sozialwissenschaftlerin beim Kulturbüro der Stadt Herne. Zuvor hatte sie als langjährige Geschäftsführerin der Zeche Carl in Essen den mühsamen Transformationsprozess von Kohle zu Kunst und Kultur kennengelernt. Der Strukturwandel ist Teil ihrer Biografie. „Während meines Studiums bekam ich ein Angebot, als wissenschaftliche Mitarbeiterin nach Berlin zu gehen. Das Ruhrgebiet verlassen? Da habe ich nur abgewunken", erzählt sie lachend.

Nicht umsonst bezeichnet sie sich selbst als „bekennende Ruhri mit Ruhrgebietswurzeln bis zum Mittelpunkt der Erde", was allerdings ein wenig übertrieben ist: Ganz so tief wurde selbst auf der 8. Sohle von Hannibal nicht nach Kohle gebuddelt.

Schickermoos und schöner Leben

Das Milieu ihrer Kindheit ist ihr heute noch nah: der Knappschaftsälteste Gustav Linde, die Besuche im Werksschwimmbad von Hannibal, das Schickermoos, das die Mutter am Zahltag dem Vater ließ, damit er die heimische Gastronomie unterstützen konnte. „Wieviel Mark meine Mutter meinem Vater gegönnt hatte, konnte ich dann abends daran hören, wie er die Schlüssel aus der Hosentasche zog und aufschloss. Unsere Haustür lag direkt unter meinem Kinderzimmerfenster."

Ihren Kinderstuhl brachten anno 1956 die Großeltern aus Wattenscheid mit, ein Geschenk. „Zuerst habe ich darin gesessen, dann mein Bruder, dann meine Töchter und schließlich stand der Stuhl jahrzehntelang in unserem Keller. Ich konnte mich einfach nie davon trennen."

Mit seinen schönen Details, der Bambi-Zeichnung, dem kleinen Abakus und dem variablen Umbau zu Stuhl und Tisch, spiegelt der Hochstuhl das Lebensgefühl Mitte der 1950er Jahre wider: Es ging nicht mehr nur um die Anschaffung des Notwendigen, sondern auch um die schönen Dinge und den Konsum. Nur das Ahah- oder Kacka-Töpfchen aus Metall, das man unter den Stuhl schieben konnte, hat
Bärbel König-Bargel irgendwann dann doch entsorgt. Durchaus ein Verlust, museumspädagogisch gesehen.

Text: Ralf Piorr / Fotos: Frank Dieper, Stadt Herne