40 Jahre Städte-Ehe

Protest – die Regierung lenkte ein

1. November 2014 | Gesellschaft

Sie beginnt, wie so viele gute Geschichten, spontan an der Theke. Frühling 1972. Der SPD-Ortsverein Herne-Stamm tagt in der Gaststätte „Zum Ostbachtal". Unter Punkt „Verschiedenes" erfahren die Genossen von den Plänen der Landesregierung, „ihre" Stadt nach Bochum einzugemeinden. „Müssen wir uns das bieten lassen?", fragen sich bei einem Pils Zeitungs-Redakteur Helge Kondring und Lehrer Jürgen Rausch. Sie sind sich schnell einig: „Nein, müssen wir nicht!"

Dieser Entschluss brachte eine Lawine ins Rollen. Mit zahlreichen Mitstreitern riefen sie in Herne die Bürgerinitiative „Gegen die Eingemeindung nach Bochum" ins Leben. Gleichzeitig formierte sich auch in Wanne-Eickel der Protest gegen die geplante Super- und Mega-Stadt Bochum. Der Unterschied: „Wir waren komplett überparteilich, während in Wanne-Eickel die dortige Bürgergemeinschaft, die auch im Stadtrat saß, die Aktion ,Stopp – Wanne-Eickel muss selbständig bleiben" forcierte", erinnert sich Helge Kondring an den Mai 1972.

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Mit viel Elan, noch mehr Enthusiasmus, allerdings ohne Geld ging die Herner Bürgerinitiative ans Werk. Flugblätter wurden gedruckt, Unterschriftenlisten ausgelegt, Podiumsdiskussionen veranstaltet. „Wir hatten einen wahnsinnigen Rückhalt in der Bevölkerung. Die Bürger standen hinter uns", so Kondring, damals Sprecher der Bürgerinitiative. Nur zwei Monate nach der Gründung stapelten sich im Büro des damaligen Herner Oberbürgermeisters Robert Brauner die Unterschriftenlisten. „40.000 Namen hatten wir. Ob Gewerkschaften, Arbeitgeber, die Kaufmannschaft oder Betriebsräte, bei uns halfen und machten alle mit", so Helge Kondring, damals Redakteur der Westfälischen Rundschau in Gelsenkirchen. Beim Nachbarn in Wanne-Eickel (Kondring: „Das war für uns zu dieser Zeit eine andere Stadt") waren es 7.000 Namen, die den Willen zur Eigenständigkeit formulierten.

Der Protest half. Die Landesregierung lenkte ein und behandelte die Idee eines Städteverbundes zumindest gleichrangig mit der Eingemeindung nach Bochum. Im Juni 1973 trafen sich die BI Herne und die BG Wanne-Eickel in der heutigen Realschule Strünkede und diskutierten den Zusammenschluss. „Wir sind auf die Wanner zugegangen", so Helge Kondring, Der Rest ist (Stadt-)Geschichte. Im Mai 1974 wurde das Ausgebot bestellt, am 1. Januar 1975 geheiratet. Ohne großen Jubel und ohne eine Feier, aber, so der 73-jährige Helge Kondring heute: „Geeint hatte uns damals der unbedingte Wille, nicht nach Bochum eingemeindet zu werden. Und das haben wir auch geschafft."

Während sich die Bürgergemeinschaft Wanne-Eickel auch nach der Städteehe noch auf dem politischen Terrain tummelte, löste sich die Bi Herne auf. „Für uns war es nie ein Thema, für den Rat oder eine Bezirksvertretung zu kandidieren", so Helge Kondring. Vielmehr packte er das komplette Archiv mit Flugblättern Briefen, Einladungen und Presseartikeln der bei einem Pils an der Theke geborenen Initiative zusammen und überließ es dem Emschertal-Museum.

Text: Jochen Schübel

Infokasten:

Zu den Gründungsmitglieder der Herner Bürgerinitiative „Gegen die Eingemeindung nach Bochum" gehörten neben dem Redakteur Helge Kondring und dem Lehrer Jürgen Rausch unter anderem diese Herner Bürger: Ulrich Scherf (Betriebsrat Blaupunkt), Heinz Kurtzbach (Redakteur Ruhrnachrichten), Horst Hüls (IG City), Hermann Berkenhoff (1. Bevollmächtigter IG Metall), Kurt Schiksnus (Redakteur Westfälische Rundschau), Alfred Duwe (Unternehmer), Michael Thiele (Redakteur WAZ).