Schreinern zwischen Tradition und Instagram

15. Februar 2021 | Ausgabe 2021/1

Laura und Matthias Biere führen die Schreinerei Ullrich

Die Goethestraße ist nicht gerade als Handwerksmeile bekannt. Und doch wird dort in einem Hinterhof seit fast 100 Jahren gesägt, gefräst, gebohrt, geleimt und geschliffen. Das sind genau die Tätigkeiten, für die Laura und Matthias Biere jeden Morgen gerne aufstehen. Seit Juli 2018 besonders gerne – da übernahmen sie die Schreinerei Ullrich.

„Aus einem 50 Jahre alten Fenster machen wir kein neues, aber oft sind wir noch in der Lage, es zu reparieren.“

Reparatur statt Neuanschaffung
Wer den 34-Jährigen mit seiner kurzen Arbeitshose und den stylischen Kniestrümpfen zum ersten Mal sieht, kann sich kaum vorstellen, dass er nach dem Abitur eigentlich Lehrer werden wollte. Dabei dürfte jedem klar sein: Dieser Mann gehört nicht in ein Klassenzimmer, dieser Mann gehört in eine Werkstatt – in eine Schreiner-Werkstatt wie sie an der Goethestraße 36 zu finden ist. Computergesteuerte Fräsen oder einen modernen Maschinenpark sucht man hier vergeblich, womit bereits ein wichtiger Teil der Firmenphilosophie erzählt ist. „Aus einem 50 Jahre alten Fenster machen wir kein neues, aber oft sind wir noch in der Lage, es zu reparieren. Das können heute nicht mehr viele“, berichtet Biere, der es nicht gerne hört, wenn Kundinnen oder Kunden sofort von Neuanschaffungen sprechen, da keine Reparatur mehr möglich sei. „Dabei ist vieles möglich, man muss sich nur die Zeit nehmen, dies in einem persönlichen Gespräch zu klären“, sagt der Bochumer, der das Unternehmen gemeinsam mit seiner Frau Laura führt. Die zehnköpfige Belegschaft wurde vom Vorgänger übernommen.

„Aus einem 50 Jahre alten Fenster machen wir kein neues, aber oft sind wir noch in der Lage, es zu reparieren.“

Zeder aus dem Libanon
Trotz seines jungen Alters ist man fast geneigt, ihn als Handwerker der alten Schule zu bezeichnen. Anstatt ein Angebot in dreifacher Ausfertigung zu mailen, würde er fast lieber den Vertrag per Handschlag besiegeln. Und so vielleicht auch das nächste Einzelstück veräußern. Zwischen den vielen anderen Bohlen im Unterstand der Schreinerei ragt die mächtige Zeder aus dem Libanon sichtlich heraus. Der künftige Besitzer darf sich jetzt schon auf einen absoluten Blickfang im Wohnzimmer oder Konferenzraum freuen. Warum solche Einzelstücke ihren Preis haben, wird schon an einer Zahl deutlich. „Bis die Bohle bei uns eingetroffen ist, ist mit ihr schon viel passiert. Sie muss mindestens zehn Jahre trocknen, damit wir sie bearbeiten können und sie sich nicht verformt. Aber so ein Tisch wird dann natürlich wirklich weitervererbt“, ist sich Biere sicher. Sehr wahrscheinlich wird ein Foto des Tisches dann auch auf dem Instagram-Account laden. „Das nutzen wir einfach, um unsere Arbeiten zu präsentieren“, sagt Laura Biere und erinnert zum Beispiel an die Verkleidung einer Hausfront, die ein neues Gesicht bekam. Aber auch Türen, Fenster, Regale und andere Einzelstücke sind in den sozialen Medien zu finden. Dabei sorge das Internet auf der anderen Seite natürlich auch für unschöne Anfragen. „Nicht selten heißt es: ,Das haben wir im Internet aber für den Preis von einem Drittel gesehen‘“, sagt die gebürtige Hernerin und weiß auch die passende Antwort: „Das Internet hat es dann aber noch nicht hochgetragen, angepasst und eingebaut.“

Impressionen aus der Schreinerei.

Bau von historischen Fahrzeugen
Die Firma, gegründet 1927, sieht das Ehepaar immer noch als klassische Bauschreinerei von nebenan. Am äußeren Erscheinungsbild hat sich nach der Übernahme aber einiges getan. Und damit ist nicht nur das neue Logo gemeint. Für die Autos gab es einen neuen Lack. Mit matt-braunen Fahrzeugen steuern die Kollegen nun ihre Baustellen in Herne und den Nachbarstädten an. Nicht zu übersehen ist der amerikanische Pick-Up des Chefs, ein Ford aus den 50er Jahren. Da verwundert es nicht, dass neben dem Denkmalschutz inzwischen auch der historische Fahrzeugbau Einzug gehalten hat im Dichterviertel. Hier werden also auch in Zukunft noch oft Hobel, Winkel und Stechzirkel zum Einsatz kommen. Die drei Symbole der Schreiner-Zunft wird Matthias Biere so schnell nicht los, er trägt sie immer bei sich: als Tätowierung auf seinem Arm …

Text: Michael Paternoga     Fotos: Thomas Schmidt