Sie hört den Atem der Konkurrenz nicht

18. November 2021 | Ausgabe 2021/4

Hannah Peters ist gehörlos und holte WM-Bronze im Siebenkampf

Sie gewann die Bronzemedaille bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Sie darf sich seit vier Wochen „Junioren-Sportlerin des Jahres 2021“ der Deutschen Sporthilfe nennen. Trotzdem kennt sie in unserer Stadt kaum jemand. Warum? Hannah Peters ist gehörlos und gewinnt Titel, Medaillen und Pokale im Para- und Gehörlosensport. Sind ihre Erfolge damit weniger wert? Nein, eher noch beeindruckender als bei „Hörenden“, wie die 22-jährige Hernerin uns, die nicht wie sie ein Cochlea-Implantat, eine Hörprothese für Gehörlose und Ertaubte, tragen, nennt.

Karriere begann beim SC Westfalia
Hannah Peters ist seit der Geburt gehörlos, „von einer Ärztin zum Glück sehr früh erkannt“. Sie trägt, seitdem sie das Laufen lernte, ein Implantat, „mit dem ich alles verstehe“. Früher schulterte sie für diese ausgefeilte Medizintechnik einen Rucksack, heute ist sie unter ihren Haaren nicht mehr zu sehen. Trotzdem: „Es war als junges Mädchen keine einfache Zeit. Ich erkenne erst heute, wie viel Arbeit meine Eltern mit mir hatten.“
Mit sieben Jahren entdeckte sie ihre Liebe zur Leichtathletik. Keine Überraschung, denn die ganze Familie Peters, Vater, Mutter und Bruder, mag diesen Sport. Zuerst trainierte sie beim SC Westfalia im Stadion am Schloss, „damals noch mit Aschenbahn“, entwickelte sich schnell weiter und ging mit 17 Jahren zum Recklinghäuser LC. Sie konnte schnell laufen, weit und hoch springen und auch werfen – „mir lag alles“. Folgerichtig wechselte sie zur Königsdisziplin, dem Siebenkampf, startete aber weiter für ihren Heimatverein in Staffelrennen bei Meisterschaften, immer mit oder gegen „Hörende“.
2019 wurde sie durch die Leichtathletik-EM der Gehörlosen in Bochum auf diese Sparte aufmerksam, „bis dahin hatte ich keinen Kontakt zu gehörlosen Sportlern“. Schnell merkte sie, dass sie alle Normen für den Kader der Nationalmannschaft im Deutschen Gehörlosen-Sportverband (DGS) erfüllt, auch wenn es für sie anfangs nicht einfach war: „Es war total ungewohnt, denn ich kann ja hören.“
Seitdem kann aber auch Hannah Peters im Wettkampf nichts hören, denn das Tragen von Implantaten oder Hörgeräten ist aus Gründen der Chancengleichheit verboten. Für die Hernerin eine Umstellung, „die ich mir krasser vorgestellt hatte“, obwohl sie anstrengend war, denn: „Ich höre keinen Atem der Konkurrenz und keine Anfeuerung.“ Anstatt des Startschusses wird eine Ampel geschaltet, Tipps vom Trainer kommen in Gebärdensprache.

„Es war als junges Mädchen keine einfache Zeit. Ich erkenne erst heute, wie viel Arbeit meine Eltern mit mir hatten.“

Der Traum von „Olympia“
Die sah Hannah Peters im August auch im polnischen Lublin. Im Siebenkampf gewann sie bei der Gehörlosen-WM die Bronzemedaille. Nach fünf von sieben Disziplinen lag sie auf Rang fünf, mit Saisonbestleistungen im Speerwurf und im 800-Meter-Lauf sprang sie noch aufs Treppchen. Vor der WM absolvierte sie zehn Trainingseinheiten in der Woche, sonst sind es vier, immer mindestens zwei Stunden. Sie nutzt auch Trainingslager ihres Verbandes, zuletzt auf Lanzarote. Finanziell unterstützt wird sie von der Sporthilfe und der Sportstiftung NRW, persönliche Sponsoren hat sie (noch) nicht, „aber ich nehme natürlich gerne welche“.
Denn sie hat einen Traum, den auch jede „hörende“ Sportlerin hat: Olympische Spiele. Da Gehörlose nicht an den „Paralympics“ teilnehmen, veranstalten sie selbst die „Spiele“ und nennen sie „Deaflympics“ (aus der englischen Sprache: deaf für „taub“ und Olympics). Coronabedingt fielen sie 2021 aus, jetzt sollen sie im Mai 2022 in Caxias do Sul, Brasilien, stattfinden. Hannah Peters: „Hoffentlich mit mir!“

Text: Jochen Schübel     Fotos: Leichtathletik.de & JournalistenBüro Herne GmbH