Tanzen wie am Königshof
Sie stehen einander in Reihen gegenüber, auf der einen Seite die Damen in langen Kleidern, auf der anderen Seite die Herren mit Barett oder Dreispitz auf dem Kopf. Die Herren deuten eine Verbeugung an, die Damen einen Knicks und los geht es. Beim historischen Tanzen in Herne stehen Tänze von Mittelalter über Renaissance und Barock bis zum Empire auf dem Programm.
Wie in früheren Jahrhunderten
Ob die Tänzer erhaben schreiten wie die Adeligen des 17. Jahrhunderts oder im Kreis wirbeln, dass die Reifröcke fliegen: Das Programm geht von ruhig bis rasant, von bäurisch bis höfisch. Auffallend ist, dass es trotz höfischer Manieren deutlich lockerer zugeht, als in der klassischen Tanzschule. Und dass man keinen festen Tanzpartner braucht. Denn bei den meisten historischen Tänzen wird in der Gruppe getanzt. In früheren Jahrhunderten war Tanzen – anders als heute – nicht nur eine romantische Angelegenheit, die ein Paar enger zusammen gebracht hat. Tänze boten Gelegenheit, neue Bekanntschaften zu knüpfen, politische Bündnisse zu schmieden und unverfänglich miteinander in Kontakt zu kommen. Deswegen wechselt man bei fast allen Tänzen den Partner oder die Nachbarn, mit denen man tanzt.
Ein bisschen Rollenspiel ist dabei
So tauschen die Tänzer in den Reihen die Plätze, tanzen mal mit der einen, mal mit der anderen Dame. Sie drehen sich umeinander, bilden Kreise, Linien, Quadrate – im Dreiviertel- oder Vierviertel-Takt. Viele der getanzten Figuren sind geometrisch, man braucht also ein wenig räumliches Vorstellungsvermögen. Ein bisschen Rollenspiel gehört auch dazu: So kann man seinen Mittänzern bei Drehungen die kalte Schulter zeigen oder mit einem Blick in die Augen Zuneigung signalisieren. Auch die Haltung der Hände hatte in früheren Jahrhunderten eine Bedeutung: Der Herr bietet der Dame seine rechte Hand an, sie legt ihre Linke locker hinein. Den Daumen darf der Mann dann aber nicht auf die Hand seiner Tanzpartnerin legen – es sei denn, er ist der Vater oder Ehemann.
Neue Tänze zu alter Musik
Die meisten historischen Tänze kommen aus dem 17. Jahrhundert. Der englische Verleger John Playford hat viele Melodien und Tanzbeschreibungen notiert. Andere Musiken sind seit dem Mittelalter überliefert. Allerdings: Auch in den vergangenen Jahren haben Tanzmeister Tänze zu historischer Musik geschrieben. So gibt es zum Beispiel Choreografien aus dem 21. Jahrhundert zu Musik, die im 17. Jahrhundert aufgeschrieben wurde.
Jeden zweiten Mittwoch im Monat
Die Herner Tänzer trainieren seit April im Lutherhaus in der Lutherstraße 1. Bettina Oschmann ist Chorleiterin in der Gemeinde und tanzt seit Jahren in Bochum und Dortmund. Gemeinsam mit Achim Hensel und Tanzmeister Thomas Wienströer hat sie ihr Hobby nun auch nach Herne geholt. Jeden zweiten Mittwoch im Monat trifft sich die Gruppe um 19 Uhr und trainiert zwei bis drei Stunden lang. Historische Gewänder sind dafür allerdings nicht nötig, die meisten Tänzer trainieren in bequemer Alltagskleidung. Nur für Auftritte oder Bälle ziehen sie Reifrock und Korsage, Empire-Kleid oder mittelalterliche Cotte an. Da es diese selten zu kaufen gibt, haben viele Tänzer ihre sogenannte Gewandung selbst genäht oder von Bekannten nähen lassen. Wer neugierig geworden ist und mittanzen will, kann ohne Anmeldung zum Training kommen. Pro Abend kostet die Teilnahme drei Euro für Raummiete und Musik.
Nina-Maria Haupt