Ausstellung

Transparente Rettungsschirme und die Krise des Abendlandes

6. März 2015 | Gesellschaft Kultur

Das I im Titel steht für Identität, die 21 für das 21. Jahrhundert, das AAA für die Einstufung der Kreditwürdigkeit. So gesehen ist die Ausstellung ein Versuch, die Essenz der westeuropäischen Identität im 21. Jahrhundert zu entschlüsseln. Der Künstler befasst sich mit dieser Frage seit einigen Jahren, sie ist keine kurzfristige Reaktion auf das Charlie-Hebdo-Attentat oder die Isis-Offensive - allerdings schon auf die EU-Finanzkrise, die Mediatisierung und die vielen anderen Katastrophen der zurück liegenden Jahre. Seine Ausstellung ist Gesellschaftskritik: "Wir sind wie ein Neandertaler, der im 21. Jahrhundert rumspringt. Die Evolution hatte nicht die Zeit, um die Genetik anzupassen."

Kuratorin Jutta Laurinat sieht die Ausstellung auch aus einer ganz anderen Perspektive: "Industriegefertigte Produkte verlieren hier ihre ursprüngliche Bedeutung und werden in einen anderen Zusammenhang gestellt. Es liegt am Besucher, ob er die Ästhetik oder den Wirklichkeitsbezug bewundern will."

Der flämische Künstler gruppiert in den Flottmann-Hallen zehn Skulpturen mit fest umrissenen Titeln.

  • Das Paradigma der alten Gewißheiten, 2011-2015 © Frank Dieper, Stadt Herne

1. Das Paradigma der alten Gewißheiten, 2011 - 2015

Betritt der Besucher die Ausstellung, schweben transparente Plastikregenschirme über ihm. Weil es um die Zukunft des Abendlandes geht, denkt man sofort an den Euro-Rettungsschirm. Swysen nutzt Schirme häufig als "Symbole für Dinge, die eigentlich Schutz bieten sollen und um Grund äußerst zerbrechlich sind".

2. Die Utopie fortdauernder Sicherheit, 2013

Eine riesige Kugel, sie könnte die Welt bedeuten, besteht aus unzähligen transparenten Regenschirmen. Im Innern ist das Schlagen eines menschlichen Herzens zu hören, geschützt durch den Kokon aus Regenschirmen. Was wie eine solide Konstruktion aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als verletzbar: Das Aluminium wird nur durch Tesafilm zusammengehalten und die Schirme können leicht beschädigt werden.

3. „Il peso della memoria“: gefesselt im verlorenen Ruhm der Vergangenheit, 2015

Papst Franziskus (geboren 1936) vergleicht die EU in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament mit einer alten Großmutter: unfruchtbar und ohne Energie. Mit den gesammelten Erinnerungen an die eigene glorreiche Vergangenheit schottet sich die alte Dame, dargestellt durch eine Nähbüste, deren Hals mit Schlössern umgeben ist, ängstlich gegen das Eindringen „energetischer Neulinge“ ab.

4. Robokonsum: kybernetischer Konsum durch zufällige Kollision, 2015

Der Bürger wird zum Konsumenten reduziert. In einem leeren Kaufhaus, dargestellt durch ein im Rund aufgestelltes Regalsystem, fährt er ständig im Kreise herum, wie ein Eingesperrter in seinem Käfig. Was konkret wie Wild durch die Regalarena fährt, ist ein Roboter, der einen Einkaufswagen anschiebt.

5. Der frohe Konsumzug, 2015

Unsere Gesellschaft gibt sich immer mehr dem Genuß übermäßigen Konsums hin und hat dieses zu einem ihrer bevorzugten Freizeitbeschäftigungen deklamiert: Einkaufswagen-Fahrräder stehen herum, auf einem sitzt ein überdimensionales Stofftier. Das Video an die Wand dokumentiert die Eröffnungsperformance dieser Ausstellung.

6. Die Rentenlawine, 2015

Die EU auf dem Weg zur größten Freiland-Senioren-Residenz der Welt, symbolisiert durch einen Rollstuhl auf Skiern.

7. „Panem et circenses“, 2015

So nennt der römische Dichter Juvenal in seiner „Satire X“ die Taktik, um die Gunst des Volkes zu gewinnen: Befriedigung der oberflächlichen Bedürfnisse. Mit Essen und Unterhaltung betäubt, bleiben die Leute lethargisch, unwissend und ohne Initiative. Das Amphitheater Swysens besteht aus Kartons, die in der Form von Rängen übereinandergeschichtet sind. In Spiegeln in Form von Monitoren sieht der Betrachter sich selbst. Auf einem echten Monitor ist das Live-Bild von Besuchern eingeblendet, die an einer anderen Stelle in den Flottmann-Hallen stehen.

8. Ich, mich und selbst: "15 minutes of fame (Andy Warhol)", 2015

Ein Podest, ein Plexiglas-Stuhl und über einem eine Apparatur: Der Besucher kann hier kurzfristig virtuellen Ruhm genießen und zum Schluss ein Selfie machen. Das Selfie kann, wenn der Besucher einwilligt, Teil der Ausstellung werden. "Durch diese Obsession, alles was wir tun ins Netz zu stellen, gerät unsere Privatsphäre schwer unter Druck", sagt dazu Swysen.

9. Das Höhlengleichnis von dem Philosophen Platon, 2014

In einem Raum aus schwarzen Vorhängen hängt eine transparente Skulptur aus Regenschirmen in der Form eines übergroßen menschlichen Gehirns. Sie reagiert auf den eintretenden Besucher mit einer philosophierenden Stimme.

10. Denkmal, 2015

Die Zeit tickt für das EU-Mausoleum in Form eines Sarges.