Treffpunkt seit 100 Jahren

5. Juli 2022 | Ausgabe 2022/2

Für Heike Chuchra ist die Bude mehr als ein Job

Um 4:20 Uhr klingelt der Wecker, noch bevor sich um 6 Uhr das Fenster „anne Bude“ öffnet, wartet der erste Stammkunde bereits auf seine Zeitung. Wer einen Kiosk betreibt, muss das wohl aus voller Überzeugung tun. Heike Chuchra ist so ein Mensch und blickt in diesem Jahr auf ein ganz besonderes Jubiläum.

Seit 32 Jahren in Sodingen aktiv
Die Trinkhalle am Kurt-Edelhagen-Platz besteht im November nämlich seit 100 Jahren. Fast exakt ein Drittel dieser Zeit bestimmte die Bude auch das Berufsleben der Sodingerin. „Die ersten zehn Jahre war ich angestellt, aber schnell war klar, dass ich den Kiosk übernehmen werde, wenn mein Chef aufhört.“ Und somit heißt die Anlaufstelle im Herzen von Sodingen seit 22 Jahren „Heikes Kiosk“. 32 Jahre sind eine lange Zeit – es sind 32 Jahre auf gefühlt neun Quadratmetern zwischen Lakritz, Zigarettenschachteln, der Kaffeemaschine und weiteren Artikeln für den täglichen Bedarf. Doch Heike – wie sie fast alle im Quartier nennen – kann noch eins draufsetzen. „Meine Tante arbeitete im Kiosk in Wanne-Süd gegenüber der Heitkamp-Zentrale und fragte, ob ich nicht auch mal aushelfen wolle.“ Die Antwort dürfte klar sein.

„Schnell war klar, dass ich den Kiosk übernehmen werde, wenn mein Chef aufhört“, erzählt Heike Chuchra.

„Sie ist sehr hilfsbereit und hat immer ein offenes Ohr“, so Stammkunde Christian Richter über Heike Chuchra.

„Bunte Tüte“ darf nicht fehlen
Die erste „bunte Tüte“ verkaufte sie mit 23 Jahren, viele „bunte Tüten“ und fünf Jahre später ging es nach Sodingen. Und fast aufs Stichwort kommt eine junge Frau vorbei, die ihre Bestellung wie folgt formuliert: „Ich bekomme eine Tüte für einen Euro – für 20 Cent Schlümpfe, für 30 Cent die Nummer drei, der Rest ist egal.“ Ein anderer Kunde sitzt bereits draußen vor dem Kiosk und hat den ersten Becher mit Kaffee schon geleert. Dann holt sich Christian Richter Nachschub: „Der Kaffee schmeckt hier irgendwie am besten. Ich versuche meine Pausen immer so zu legen, dass ich bei Heike einen Stopp einlegen kann. Sie ist sehr hilfsbereit und hat immer ein offenes Ohr“, erklärt der 43-Jährige.

50 Kaffeevarianten parat
Und sie weiß natürlich, wie er seinen Kaffee trinkt. Ob schwarz, mit viel Milch oder doppeltem Zucker – etwa 50 Varianten der Stammkundschaft kenne sie auswendig. „Das hat man irgendwann verinnerlicht. Aber man muss es auch gerne machen.“ Und Heike Chuchra macht es gerne und will den Plausch zwischendurch nicht missen: „Wenn ich mal zwei oder drei Tage nicht hier bin, werde ich nervös“, sagt die gebürtige Wanne-Eickelerin und fügt hinzu: „Man muss mit den Menschen lachen können.“ Aber natürlich ist das Leben nicht immer lustig. In schwierigen Zeiten gibt es auch tröstende Worte am Kurt-Edelhagen-Platz.

Stammkunde Manfred Grabowski

Kioskbetreiberin Heike Chuchra

Stammkunde Christian Richter

Unter Denkmalschutz
Als dieser Ort noch nicht nach dem bekannten Herner Jazz-Musiker und Dirigenten benannt wurde, gab es an gleicher Stelle übrigens einen Wochenmarkt. „Jeden Mittwoch und jeden Samstag war der geöffnet“, betont Manfred Grabowski (56). Er muss es wissen: „Ich komme seit 50 Jahren zu diesem Kiosk und bin fast jeden Tag hier.“ Das nennt man wohl Stammkunde. Die Zigarette ist Pflicht, natürlich auch ein Kaffee. Grabowski sagt: „Hier ist die Sodinger Zentrale. Hier bekommt man mit, was in Sodingen los ist.“ Heike Chuchra wird es gerne hören. Sie wird auch in Zukunft die erste Zeitung um 6 Uhr morgens durch das offene Fenster des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes reichen. Und wann geht sie in Rente? „Ein paar Jahre muss ich ja noch …“

„Hier ist die Sodinger Zentrale. Hier bekommt man mit, was in Sodingen los ist“, erklärt Kunde Manfred Grabowski.

Am 7. Februar 1922 beantragte die Gemeindevertretung Börnig die Errichtung einer Bedürfnisanstalt nebst Trinkhalle, da der Börniger Wochenmarkt sich zu einer festen Einrichtung etabliert hatte. Nach Genehmigung durch die Amtsversammlung Sodingen am 14. Februar 1922 errichtete die Gemeinde Börnig das Gebäude. Mit Erteilung einer Schankkonzession am 16. November 1922 wurde die Wartehalle eröffnet. 1924 ging die „Bedürfnisanstalt/Warte- und Trinkhalle“ in das Eigentum des damaligen Amtes Sodingen über.

Jürgen Hagen, Stadtarchiv
Text: Michael Paternoga     Fotos: Thomas Schmidt