Weltschiedsrichterin lebt ihren olympischen Traum

25. April 2024 | Ausgabe 2024/2

Kerstin Duchatz leitet in Paris die Tischtennisduelle

Als Zwölfjährige betritt Kerstin Duchatz zum ersten Mal die kleine Sporthalle an der Neustraße. Sie will Tischtennis spielen. Aus der Spielerin wird eine Schiedsrichterin, aus der Halle in Herne-Mitte wird eine Halle in Paris. Und somit geht 23 Jahre später ein Lebenstraum in Erfüllung. Kerstin Duchatz hat es tatsächlich geschafft: Sie ist dabei – bei den Olympischen Spielen.

„Ich habe den besten Platz in der Halle und auch noch etwas zu sagen“, lacht die 35-Jährige und kann ihre Nominierung für das größte Sportereignis der Welt immer noch nicht fassen. Doch es ist real und natürlich der Höhepunkt einer außergewöhnlichen Karriere. Von den 20 Unparteiischen in Paris kommen nur vier Frauen aus Europa. Eine davon ist in Holsterhausen aufgewachsen und baute am Pestalozzi-Gymnasium ihr Abitur. Damals legte sie mit 17 Jahren bei ihrem Heimatverein TTC Westfalia Herne den Schläger aus der Hand und entschied sich für das Schiedsrichterwesen.

Alle wichtigen Utensilien in der Schiedsrichtermappe, Netzlehre für die genaue Höhe, Münze für den Münzwurf, gelbe, weiße und rote Karte und Notizblock.

Kerstin Duchatz in der Sporthalle des TTC Westfalia Herne.

Anzeigetafel mit einem typischen Spielstand.

„Wir sind von 8 Uhr bis 22 Uhr in der Halle und haben jeden Tag mehrere Spiele zu leiten.“

„Volleyball unter dem Eiffelturm“

Keine schlechte Entscheidung: Gestartet in der Bezirksliga, betritt sie nun die größtmögliche Bühne im Sport. Genau am Erscheinungstag dieser inherne- Ausgabe beginnt in der französischen Metropole der Kampf um die Medaillen in den Tischtennis-Wettbewerben. „Und dieser Kampf soll fair sein“, weiß Kerstin Duchatz, wie wichtig ihre Aufgabe ist. Dabei warten bis zum 10. August lange Tage auf die Veranstaltungskauffrau: „Wir sind von 8 Uhr bis 22 Uhr in der Halle und haben jeden Tag mehrere Spiele zu leiten.“ Das Pensum ist also enorm. Dennoch wird sie alles daransetzen, auch andere Wettkämpfe zu besuchen, um das olympische Feeling aufzusaugen. „Volleyball unter dem Eiffelturm, das wäre doch etwas“, freut sich die Hernerin auf viele internationale Begegnungen.

Mit dem Abendkleid nach Südkorea

Es wären nicht die ersten. Die Mitarbeiterin der Hochschule Bochum sorgte unter anderem auch bei den vergangenen vier Einzelweltmeisterschaften in Düsseldorf, Budapest, Houston und Durban (Südafrika) für einen reibungslosen Ablauf. Im Februar ging es für einen kurzen Abstecher nach Südkorea. Nach einem überraschenden Anruf saß sie ein paar Stunden später schon im Flieger. „Eigentlich war geplant, dass ich nur eine Videobotschaft übermittle. Aber dann wollte ich die Auszeichnung doch persönlich entgegennehmen.“ Im Gepäck kein Trikot, sondern ein Abendkleid. Zum ersten Mal überhaupt wurde der Titel „Match Official of the Year“ vergeben. Die Hernerin darf sich also Weltschiedsrichterin des Jahres nennen.

Kontakt zur Basis nie verloren

Viel Wertschätzung erfährt sie natürlich auch in ihrem Heimatverein. Insbesondere der langjährige Vorsitzende des TTC Westfalia Herne, Stefan Bartnik, begleitete sie auf ihrem Weg: „Kerstin hat das Schiedsrichterwesen von der Pike gelernt. Mit 17 Jahren legte sie ihre erste Prüfung ab, dann ging es Schritt für Schritt weiter. Eine grandiose Entwicklung.“ Und auch nicht selbstverständlich: die Top- Schiedsrichterin hält den Kontakt zur Basis. Regelmäßig ist sie noch zu Besuch beim Training an der Neustraße. Online schult sie zudem Nachwuchskräfte durch ein Mentoring-Programm. „Der Austausch mit anderen hat mir damals auch geholfen, das möchte ich gerne zurückgeben“, wirbt die 35-Jährige für ihr Hobby und Ehrenamt. Millionenpublikum sitzt vor dem Fernsehen Auch in Paris gibt es nur eine kleine Aufwandsentschädigung, aber viel Verantwortung. „Man muss Entscheidungen treffen und zwar schnell. War der Ball noch an der Kante oder nicht?“, kennt Kerstin Duchatz die relevanten Geräusche an der Platte. In der Halle blicken bis zu 6.500 Zuschauer*innen auf ihre Gesten und Anweisungen. Am Fernsehen wird vielleicht die Millionengrenze geknackt. Einer schaut auf jeden Fall besonders hin. Vater Manni. Er ist natürlich ihr größter Fan und darf stolz sagen: „Meine Tochter Kerstin ist dabei – bei den Olympischen Spielen …“

Die korrekte Höhe des Netzes muss gemessen werden.

Text: Michael Paternoga    Fotos: Thomas Schmidt