Ein Tag in ... Berlin / Politik

Zwischen Herne, Facebook und Jordanien

27. Februar 2015 | Gesellschaft Wirtschaft

7.30 Uhr: Im Morgengrauen empfängt uns Michelle Müntefering (SPD) in ihrem Abgeordnetenbüro im Jakob-Kaiser-Haus. An der Eingangskontrolle unterziehen uns Sicherheitsleute einer Leibesvisitation. Wir müssen den Personalausweis abgeben. Mit unserem Gast-Ausweis bewegen wir uns durch das Regierungsviertel, einmal auch unter der Spree hindurch, ohne je nach draußen gehen zu müssen. Alle Funktionsgebäude rund um den Reichstag sind unterirdisch verbunden. Eine riesige „Stadt in der Stadt“.

7.45 Uhr: Eine Stunde Polit-Englisch speziell für Abgeordnete mit dem gewieften Sprachlehrer Nick Munby, ein Brite wie er im Buche steht. Michelle Müntefering poliert ihre Sprachkenntnisse auf. Als Mitglied des Unterausschusses „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ muss sie häufiger aufs außenpolitische Parkett. An ihrer Seite büffelt der CDU-Abgeordnete Thorsten Frei, mit dem zusammen sie den Außenminister nach Afghanistan begleitete. Munby verwickelt die beiden Politiker in ein Gespräch über die Wahlen in Griechenland am Wochenende davor und setzt sie mit Gegenargumenten unter sprachlichen Argumentationsdruck. Später sprechen Frei und Müntefering darüber, welche Reisen dieses Jahr noch anstehen. Der Sprachlehrer aus England sagt, an uns gewandt: „Bei mir wurde schon mancher politische Plan geschmiedet.“

Sitzungswoche in Berlin

Diese Woche ist Sitzungswoche in der Bundeshauptstadt. Sie wird von einer Wahlkreiswoche abgelöst, in der sich die Abgeordneten um ihre Wähler im Wahlkreis kümmern. Am Montag einer Berliner Woche tagen die Landesverbände, am Dienstag die Fraktionen. Der heutige Mittwoch ist für Ausschusssitzungen vorgesehen, ab 13 Uhr steht die Befragung der Bundesregierung an, danach Aktuelle Stunde. Am Donnerstag folgt der lange Tag des Bundestagsplenums.

9:00 Uhr: Endlose Gänge, weißes Neonlicht, Laufbänder: Mit schnellen Schritten eilt Michelle Müntefering ins Paul-Löbe-Haus, wo die Ausschüsse tagen. Mit dem roten Hosenanzug sticht sie im Gewimmel der gedeckten Farben deutlich hervor. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Vor der Tür steht eine Frau mit markantem Gesicht, ganz in ein Papier vertieft. Renate Künast. Und das dort ist doch der Ströbele.

Berlin Teil I

  • ©Thomas Schmidt, Stadt Herne

Facebook bleibt unkonkret

Journalisten lungern vor dem Saal. Sie interessieren sich für das Facebook-Problem. Es geht um die neue AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen) – der Social-Media-Konzern will auch die von den Nutzern besuchten Drittseiten verwerten. Lord Richard Allan, Vertreter des Social-Media-Konzerns, steht auf Englisch Rede und Antwort. Müntefering muss die Kopfhörer nicht zu Hilfe nehmen – Nick Munbys Training zeigt Früchte. Die Abgeordnete stellt dem Facebook-Vertreter eine Frage zu seinen Absichten und ist enttäuscht über die belanglose Antwort. Sie tritt für Privacy by Design ein: Datenschutzprobleme schon bei der Entwicklung neuer Technologien feststellen und nicht erst nachher, wenn das Kind schon den Brunnen gefallen ist. Im Rahmen dieses Ausschusses interessiert sie sich insbesondere für die digitale Welt, will die Verbraucher vor den Auswüchsen schützen. Sorgen bereitet ihr das Google-Auto. Der Internetkonzern könnte nach Einschätzung von Experten den etablierten Autoherstellern gefährlich werden. Müntefering wird im Bundestag übrigens den „Netzwerkern“ zugerechnet, ein Zusammenschluss jüngerer Abgeordneter.

Ein Reuters-Journalist fragt, warum wir Müntefering so auffällig folgen. Unsere Auskunft scheint er nicht zu verstehen. „Dann könnten Sie auch über Doris Schröder-Köpf berichten“, sagt er grinsend. Ne, eben nicht. Wir wissen aber, woran er denkt: Boulevardjournalismus.

11:00 Uhr: Der Ausschuss für Auswärtiges tagt. Michelle Müntefering ist im schon genannten Unterausschuss und war schon mit Frank-Walter Steinmeier in Afghanistan und in Indien. Plötzliches Gedränge: In einem Pulk taucht der weiße Kopf des Außenministers auf. Als er im Ausschussaal verschwindet, leert sich die Lobby.

 „Die Außenpolitik hatte ich gar nicht auf dem Schirm, als ich in den Bundestag kam. Aber wenn man neu anfängt, kann man sich das nicht aussuchen. Die Themenfelder vergibt die Fraktionsführung. Da kneife ich nicht. Und jetzt bin ich froh, um diesen wichtigen Politikbereich. Denn eines ist im letzten Jahr schnell klar geworden: Die Welt verändert sich und Frieden ist niemals sicher. Europa und Deutschland sind mitten drin. Wir tragen Verantwortung."

Plausch bei einer Kartoffelsuppe

12:15 Uhr: Kurzer Plausch bei einer Kartoffelsuppe im Abgeordneten-Restaurant. Von einem Balkon aus genießen wir den Blick auf den Platz der Republik. Am Balkon neben uns rief Scheidemann 1918 die Republik aus.

Auch mit der Bundestagsabgeordneten Ingrid Fischbach war ein Treffen vereinbart, dass aber leider aus terminlichen Gründen ausfiel.

12:30 Uhr: Zurück zur Bürobesprechung ins Paul-Löbe-Haus. Mit ihren Mitarbeitern geht Müntefering die Termine durch. Mirko Klimas kommt neu von der Verbraucherzentrale Bundesverband („Ich habe ihn abgeworben“), Andrea Straka und Winfried Max waren schon für die Vorgänger tätig.

Die Themen und Termine, die hier abgesprochen werden, machen noch mal das Spektrum deutlich, das Müntefering beackert. Und zum Schluss eine besonders gute Nachricht: „Ich werde das Königreich Jordanien besuchen!“

Berlin Teil II

  • ©Thomas Schmidt, Stadt Herne

Da ist doch wieder der Ströbele

14:00 Uhr: Eine Besuchergruppe aus dem Wahlkreis wartet, unter ihnen Sonntagsnachrichten-Redakteur Phillip Stark. Von einer Wandelhalle schauen wir in die tagende Bundestagsrunde. Da ist doch wieder der Ströbele. In einem schmalen Raum erklärt Müntefering ihre Arbeit.

„Der Wahlkreis ist meine Wurzel und meine Erdung. Im Bundestag geht es darum, wie wir Deutschland zukunftsfest machen, wie wir mit neuen Geschäftsmodellen und globalen Unternehmen umgehen oder um Krieg und Frieden. Aber alle Facetten und Probleme der Welt gibt es auch in Herne. In meine Bürgersprechstunde kommen Menschen mit ihren ganz eigenen Sorgen aus dem Leben. Ich versuche dann zu helfen, wo es geht - und das hilft auch mir in Berlin. Denn da kann ich sagen: Passt mal auf, das Gesetz funktioniert im echten Leben gar nicht. Und in Herne, inne U-Bahn, da sehen es die Leute sowieso ganz anders.“

15:30 Uhr: Kuratoriumssitzung der Deutschen Orient-Stiftung. Michelle Müntefering wird einstimmig zur Präsidentin der einflussreichen Institution gewählt, die Kultur und Wissenschaft fördert. Gegründet wurde die Stiftung vom Nah- und Mittelost-Verein (NUMOV), dessen Ehrenvorsitzender Altkanzler Gerhard Schröder ist.

16:00 Uhr: Gerade noch rechtzeitig erreicht Müntefering den Raum, in dem die Praktikanten des Bundestags auf sie warten. Mitarbeiter Mirco Klimas hatte sie schon vorgeschickt. Es geht um die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Um Auslandsschulen und um Kunstraub, mit dem die IS sich finanziert. Begeistert berichtet Müntefering, dass sie sich kürzlich über Skype mit Schülern aus Singapur über Hartz IV unterhalten habe. „Warum soll denn deutsche Kultur und Sprache in der Welt verbreitet werden?“ wollen die Praktikanten wissen.

"Wir investieren in Kooperation und Frieden, in Wissensaustausch und in Bildung“, antwortet die Bundestagsabgeordnete. „Denn wir brauchen starke Partner in der Welt.“ Sendungsbewusstsein, nein, das sei fehl am Platz. "Über den Kulturaustausch können wir auch mit Ländern wie Iran die Gesprächskanäle offen halten - ein Kulturabkommen wäre dazu sicher ein weiterer wichtiger Schritt der Annäherung."

Die Sonne geht unter

17:00 Uhr: Hinter dem Reichstag geht die Sonne unter. Am Ausgang des Jakob-Kaiser-Hauses bekommen wir unsere Personalausweise zurück.

18:00 Uhr: Im Hotel Ellington feiern Politiker und Journalisten 15 Jahre „Berliner Republik“, ein Debattier-Magazin von Sozialdemokraten, dessen Mitherausgeberin Michelle Müntefering ist. Gastredner Steinmeier spricht über Außenpolitik. Er erzählt eine Geschichte aus Mosambik. Ein Affe holt einen Fisch aus dem Wasser, der prompt stirbt. „Oh wie traurig“, sagt der Affe, „wäre ich früher gekommen, ich hätte ihn retten können.“ Steinmeier warnt davor, in falschen Schablonen zu denken. An das Beispiel erinnert die Herner Abgeordnete sich vielleicht, wenn sie ein paar Wochen später mit Staatsminister Roth in die Türkei fliegt.

Siehe auch: "Das erste und das zweite Zuhause"

Am Ende eines langen Tages

Smarte Leute stehen mit einem Glas Wein in der Hotel-Lounge und unterhalten sich. "Gute Gespräche sind wie eine Tankstelle für mich. Die finde ich auch bei der Berliner Republik", sagt Michelle Müntefering. Sie hat ein gewaltiges Pensum absolviert. „14-Stunden am Tag, 70 Stunden die Woche, sind hier im Bundestag normal, aber kein Problem: Ich fühle mich am richtigen Platz."

Autor: Horst Martens

Fotos: Thomas Schmidt.