Prof. Dr. Hartmut Holzmüller, Lehrstuhlhaber für Marketing, über den Sinn einer Imagekampagne

„Wer nicht kommuniziert, existiert nicht“

7. Mai 2016 | Gesellschaft

Interview: Horst Martens / Fotos: Philipp Stark

inherne: Wie kommt ein Wiener mit dem Image des Ruhrgebiets zurecht? Das sind ja doch ganz große Gegensätze zwischen Wien und dem Revier?

Holzmüller: Das war am Anfang natürlich abschreckend. Die bekannten Klischees waren in meinem Kopf präsent. Aber sie stimmten teilweise. Ich bin ja seit 17 Jahren hier, da war ja in Hörde noch das Stahlwerk in Betrieb.

Siehe auch die anderen inherne-Berichte über die Imagekampagne: Gesucht: Hernes neues Image, Most wanted: ein Image.

inherne: Wie ist Ihr Bild von Herne geprägt?

Holzmüller: „Herne“ wird aus Dortmunder Sicht dann gesagt, wenn wir nicht Schalke sagen wollen. „Herne-West“ ist natürlich ein stehender Begriff. Ich habe eine kleine Beziehung zu Herne, weil zwei meiner langjährigen Mitarbeiterinnen aus dieser Stadt kommen. Außerdem kenne ich Herrn Pieper von der Parfümeriekette Pieper. Das ist es dann aber auch schon.

inherne: Cranger Kirmes - sagt Ihnen das was?

Holzmüller: Von Crange und Kirmes wäre ich nicht unmittelbar auf Herne gekommen.

inherne: Sollte Herne mit der Kirmes Werbung machen, denn die Wanne-Eickeler vereinnahmen ja den Rummel für sich?

Holzmüller: Solche Diskussionen führen wir ununterbrochen. Das sind alteingesessene Geschichten, dass ein Stadtteil gegen den anderen steht, aber wenn man von einer anderen Warte drüber schaut, kann man eigentlich nur drüber lachen.

inherne: Was sind die Herausforderungen für Sie als Lehrstuhlinhaber für Marketing?

Holzmüller: Herne hat die gleichen Probleme wie alle anderen kleineren Städte, die zwischen Dortmund, Essen, Bochum, Mühlheim und Duisburg eingezwängt sind. Die 48 Kommunen tun sich natürlich schwer, auf sich aufmerksam zu machen. Die Frage ist: Was will ich mit meinem Stadtmarketing? Ich muss ein Konzept erarbeiten, das klar sagt: Was will ich erreichen?

Eine zweite Herausforderung ist, dass es ohne Marketing nicht geht, weil um die Aufmerksamkeit konkurriert wird. Wer nicht kommuniziert, existiert nicht. Wenn Sie Ihren Dämonen nicht regelmäßig sagen, hier ist es schön, hier ist es gut, hier ist es Klasse, dann entwickelt sich mit der Zeit so etwas wie: Hier ist es nicht schön, hier ist es nicht so toll. Weil die Medien entweder gar nichts berichten oder sie berichten über negative Dinge.

inherne: Herne hat damit zu kämpfen, dass wir in den Städte-Rankings immer ziemlich weit unten rangieren. Wie könnte man dagegen vorgehen?

Holzmüller: In einem ersten Schritt, und das haben Sie ja auch vor, trägt man die Stärken der Stadt zusammen. Nach den Schwächen müssen Sie nicht fragen, die haben Sie ja eh von den Rankings. Und dann geht es darum, dass man mit langem Atem, und das muss wirklich über Jahre hinweg passieren, immer diese Stärken herausstellt.

Professor Holzmüller im Gespräch mit inherne-Redakteur Horst Martens. © Stadt Herne, Philipp Stark. Professor Holzmüller im Gespräch mit inherne-Redakteur Horst Martens. © Stadt Herne, Philipp Stark.

inherne: Also immer wieder trommeln!

Holzmüller: Ein guter Slogan kann dabei helfen.

inherne: Aber was ist ein guter Slogan?

Holzmüller: Arm, aber sexy.

inherne: Wie in Berlin.

Holzmüller: Dafür sollte der Wowereit ein Riesendenkmal kriegen. Ich weiß nicht, ob es ihm eingefallen ist, aber er hat es populär gemacht. Das ist schon eine tolle Geschichte.

inherne: Gibt es andere gute Stadt-Slogans?

Holzmüller: Es gibt diesen einen von Baden-Württemberg: „Wir können alles außer Hochdeutsch.“ Alle anderen sind halt wenig mitreißend.

inherne: Haben Sie den Beispiele für schlechte Slogans, die überhaupt nicht ankommen oder ganz falsch?

Holzmüller: Darüber will ich nicht reden. Die Mehrzahl sind schlecht. Wenn Sie an Audis „Fortschritt durch Technik“ denken, dann haben Sie eine Botschaft dahinter. Aber wenn ich sage „Herne - hier ist es schön“, dann kann ich das glauben oder nicht. Das heißt: Ich muss es auf den Punkt bringen, was wirklich nicht einfach ist. Und viele Städte sind wenig mutig. Die große Kampagne „Dortmund überrascht dich“ ...

inherne: ... ist ziemlich überladen.

Holzmüler: Sie ist zu breit ausgerollt. Dortmund hat sich gegen meine starke Empfehlung - aber der Prophet gilt ja nichts in der eigenen Stadt - auf acht Themenschwerpunkte festgelegt. Das geht nicht. Es gibt auch nicht acht Gründe, um Mercedes zu fahren.

inherne: Bei uns kursieren zwei Slogans: „Herne kann was“ und „Herne mittendrin“. Wie bewerten Sie diese?

Holzmüller: Lieber wäre mir dann „Herne kann was“. Wenn ich dann noch aufzählen kann, was es kann, dann ist es von der Idee her besser, aber das ist jetzt nur meine Einschätzung. "Mittendrin" – das bedeutet auch: Da kann ich auch schnell weg, bin rasch überall. Rasch im Centro, rasch in Dortmund zum Einkaufen.

inherne: Wenn Sie davon sprechen, dass Sie mit Städten zusammen arbeiten, haben Sie dann auch Beispiele, wo es wirklich geklappt hat?

Holzmüller: So darf man nicht rangehen, sondern man muss immer überlegen: Was passiert, wenn wir nichts machen? Geht es dann nicht in eine Abwärtsspirale hinein? Herne hat nichts davon, dass es in der Mitte liegt. Es wird ja nicht Ziel des Stadtmarketings von Herne sein, dass Dortmunder nach Herne zum Einkaufen fahren. Das Ziel muss eigentlich sein, dass die Herner nicht nach Dortmund fahren. Das Ziel muss auch sein, die Identifikation der Bevölkerung mit der Stadt zu stärken, was klassischerweise eine Herausforderung ist. Ins Ruhrgebiet ist niemand hingezogen, weil es so wunderschön ist. Das Ruhrgebiet ist einfach so groß geworden …

inherne: … durch die Industrialisierung.

Holzmüller: ... weil es hier Arbeit gegeben hat. Und Polen, Italiener, Österreicher sind hierhin gezogen - ich bin ja selber ein Beispiel - weil es hier gute Jobs, weil es hier gute Arbeit gibt, und das war für das Wachstum der Städte völlig ausreichend. Kein Mensch hat sich hier um Stadtmarketing gekümmert. In dieser Region hat man schon Stahl gekocht, während man in anderen Regionen maximal Weißwürste kochen konnte. Bayern war agrarisch.

inherne: Wie sieht es eigentlich mit den negativen Eigenschaften einer Stadt aus. Soll man darüber reden oder soll man die verschweigen?

Holzmüller: Wenn es in der Marketing-Kampagne um Broschüren oder derartige Dinge geht, sollte man sie nicht ansprechen, aber es sollte natürlich so eine Art Faktenbuch geben oder einen Stapel oder eine Liste mit den Stärken und den Schwächen. Und dann muss auch gezielt an den Schwächen gearbeitet werden.

Oder ich kann Schwächen in Stärken drehen, was relativ schwierig ist. Um den Dortmunder Borsigplatz herum ist es angeblich ganz schwierig. Aber warum kann ich aus dem Borsigplatz nicht „Little Istanbul“ machen? Dann fahren vielleicht auch Leute aus anderen Städten dahin, weil sie wissen, da gibt’s viele türkische Lokale, da kann ich sehen, wie Leben auf der Straße passiert. In New York ist es so, dass bei keiner einzigen Stadtrundfahrt Chinatown ausgelassen wird.

inherne: Wir setzen uns in Herne mit den Bürgern zusammen und diskutieren über die Stärken und Schwächen.

Holzmüller: Beim Marketing haben die Bürger immer das Gefühl: Das kann jeder. Und ich frage dann: Wer von ihnen plombiert sich seine Zähne selbst? Und im Marketing scheint es so einfach zu sein: Mach mal einen Slogan! Dortmund hat ja den Fehler gemacht, dass über mehrere Arbeitskreise hinweg Stadtmarketing entwickelt wurde. Aber so funktioniert‘s nicht mehr.

inherne: In Bochum hat die Suche nach dem Logo eine Million Euro gekostet. In Herne wird argumentiert, wir haben kein Geld, also machen wir es ohne teure Agentur und mit den Bürgern.

Holzmüller: Das scheint vernünftig. Es geht darum, die Bevölkerung mit einzubeziehen. Aber ich bin nicht zuversichtlich, dass das Gelbe vom Ei dabei herauskommt. Es würde mich stark überraschen. Ich würde es aber auch nicht ausschließen.

inherne: Sie haben mal gesagt: Man hat keine Geschichten mehr zu erzählen. Was meinen Sie damit?

Holzmüller: Das Problem ist, dass wir im Ruhrgebiet über fast 100 Jahre hinweg tolle Geschichten erzählen konnten. Wir konnten erzählen, dass wir der größte Stahlproduzent sind, dass wir so und so viele Tausend Menschen unter Tag beschäftigt haben. Wir haben erzählen können, dass eine neue Technologie nach der anderen gekommen ist. Das der beste Stahl hier produziert wurde. Und wie die Stahlindustrie und die Kohleförderung weggebrochen sind, hat es keine Geschichten mehr gegeben. Wir sind jetzt mühsam dabei: Die Region erfindet sich neu.

inherne: Geschichten hätten wir einige zu bieten. Von dem neuen Stadtteilzentrum in Sodingen mit der Akademie - dort wo noch nicht so lange her eine Zeche stand. Vom Mondpalast, der aus einem maroden Saalbau hervorgegangen ist. Von den Flottmann-Hallen in einer ehemaligen Bohrhämmerfabrik.

Holzmüller: Ja, es geht darum, neue Geschichten zu erzählen. Ich erzähle die auch meinen Freunden und Bekannten und Gästen aus dem Ausland, die hier vorbei kommen. Eine tolle Geschichte: Aus einem Stahlwerksgelände ist ein See geworden. Da fahre ich mit jedem Amerikaner, mit jedem Inder und mit jedem Australier hin und dann trinken wir einen Kaffee am Ufer, und ich erzähle die Geschichte vom Entstehen des Phoenixsees. Da ist Dynamik dahinter. Oder ich fahre einfach durch den Technologie-Park, der an der Uni dran ist: Über die letzten 20 Jahre haben sich dort 12.000 Arbeitsplätze entwickelt. Solche Geschichten muss man erzählen.

Ein Beispiel für eine schlechte Geschichte: Waltrop sagt „Wir sind die Stadt des Schiffshebewerks“. Und wenn man dort hinfährt, merkt man, dass Datteln viel näher ist als Waltrop und dass dieses Schiffshebewerk überhaupt keine Bedeutung für Waltrop hat. Damit ist es eine schlechte Geschichte, die kann ich nicht wirklich erzählen.

inherne: Jetzt frage ich noch mal generell zum Image des Reviers. Im Oktober 2015 wurde eine Studie vorgelegt, an der sie auch beteiligt waren. Das Ergebnis: Die Eigenwahrnehmung hat sich verbessert, die Bevölkerung selbst findet das Ruhrgebiet gut. Aber von außen wird es negativ gesehen. Gibt es überhaupt eine Chance, dass es sich ändert?

Holzmüller: Ja, die gibt es. Aber das muss mit langem Atem gemacht werden. Und es müssen die richtigen Geschichten erzählt und die richtigen Inhalte kommuniziert werden. Ich bin in einer Arbeitsgruppe, die sich mit dem Marketing für die gesamte Metropole Ruhr beschäftigt. Mein erster Vorschlag, der jetzt auch langsam umgesetzt wird: Dass man mal anfängt, die Stärken aufzulisten. Und sie auch im Vergleich setzt: Das man sagt: Ja, hier gibt`s mehr Beschäftigte an Opernhäuser als in ganz Berlin. Oder hier gibt es genauso viele Kleinbühnen als in Berlin.

inherne: Das fällt einem ja nicht geradeso in den Schoß. Das muss ja auch recherchiert werden.

Holzmüller: Das muss recherchiert werden. Ich kann nicht irgendwelche Luftgeschichten erzählen.

inherne: Was haben Sie eigentich 1998 von dem Slogan gehalten: „Der Pott kocht“. War das damals noch zeitgemäß?

Holzmüller: Der Slogan ist auf der einen Seite sehr sympathisch rüber gekommen, hat aber andererseits ein altes Klischee verstärkt. Da wurde mit einer Metapher gearbeitet, die an die alten Zeiten erinnert.

inherne: Sollte man also komplett auf alles verzichtet, was an alte Zeiten erinnert?

Holzmüller: Es kommt drauf an. Wenn ich beispielsweise ein schönes Zechenensemble mit interessanter Gastronomie und Einzelhandel habe, wie bei der Zeche Waltrop beispielsweise mit „Manufactum“, kann man einen Tourismusanziehungspunkt draus machen. Es gibt keine generelle Regel. Aber ich würde mich heute nicht mehr als die Stadt des früheren Bergbaus bezeichnen.

inherne: Herne kann mit einem bedeutenden Medizinstandort aufwarten, mit der überregional bedeutenden Cranger Kirmes und anderen Beispielen. Mir persönlich gefällt, dass man hier nie im Stau stehen muss, aber dass ist das überhaupt eine Stärke?

Holzmüller: Das habe ich mit den Zielen gemeint: Wen wollen Sie ansprechen? Darum geht es. Was Sie völlig richtig machen: Sie sprechen zuerst ihre Bewohner an. Wir haben in Städten – die nenne ich jetzt mal nicht  – Untersuchungen angestellt, deren Ergebnis war, dass die Bevölkerung nicht stolz ist auf ihre Stadt ist. Das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen. Sowas habe ich überhaupt noch nie erlebt. Wenn Sie in Österreich ins hinterste Tal kommen, in irgendein völlig abgelegenes Kaff, finden Sie da Menschen, die für ihre Stadt auf die Barrikaden steigen. Mir san mir. Und es gibt im Ruhrgebiet tatsächlich Menschen, wenn man sie im Urlaub fragt: Wo kommmt ihr denn her, sagen: Aus der Nähe von Düsseldorf.

inherne: Das ist mir mal mit einem Schauspieler aus Herne passiert. Der sagt zu seinen Freunden immer: Ich komme aus der Nähe von Bochum. Da war ich ein bisschen enttäuscht.

Holzmüller: Das heißt, eine ganz wichtige Zielsetzung ist, der Bevölkerung Inhalte, Geschichte, Informationen zu liefern, die Otto und Ottilie Normalverbraucher erlaubt, stolz auf die Stadt zu sein.

Wenn es immer negative Berichte gibt, und über das Positive wird nicht oder selten berichtet, ist das nicht konstruktiv. Deshalb ist eine ganz wichtige Aufgabe des Stadtmarketings, nach innen zu kommunizieren, warum es denn eigentlich gut ist, hier zu leben. Und warum es schön ist, und warum man auf die Stadt stolz sein soll. Und welche berühmten Herner es gibt, die Karriere überall auf der Welt gemacht haben. 

inherne: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.