Interview mit dem renommierten Dortmunder Architekten Norbert Post

Die Zukunft des Wohnens

24. Februar 2017 | Gesellschaft Wirtschaft

Das Gespräch mit Norbert Post führte Horst Martens.

inherne: Warum wollen Menschen eigentlich „anders wohnen“ als andere?

Post: Wohnen kann sehr normiert sein. Gerade die Abweichungen von der Norm, die Geschichte solcher Gebäude, sind ganz wichtige Faktoren für die Identifikation mit dem Wohnort, mit der Architektur, die die Persönlichkeit dieser Gebäude ausmacht. Jeder möchte eine besondere Verbindung zu seinem Gebäude haben. Wir kennen das: Orgien von Haustüren oder von Deko-Elementen versuchen sich zu unterscheiden. Es wäre natürlich viel schöner, wenn Gebäude es direkt könnten.

Siehe auch: Anders wohnen / Weg von tradierten Mustern

inherne: Normiertes Wohnen – wir denken an die Bausünden zwischen den 60-er und 70-er Jahren. Welche Fehler hätte man besser ausgelassen?

Post: Auslassen kann man Fehler nicht, sonst kann man nicht draus lernen. Das war auch der Preis jener Zeit, in der es darum ging, relativ schnell viele Wohnungen zu schaffen. Und der Glaube, dass die Trennung von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Kultur, Freizeit die richtige Lösung ist. Und zwischen diesen Bereichen setzte man große Verkehrsbänder. Heute sagen wir, das war der größte Fehler.

  • Norbert Post in seinem Büro in Dortmund. ©Thomas Schmidt, Stadt Herne

 inherne: Wie müsste es dann sinnvollerweise aussehen?

Post: Je näher und komplexer diese Bereiche verbunden sind, desto besser ist das Wohnumfeld. Für die Lebensqualität passen Verkehr und Stadt nicht so ganz zusammen.

inherne: Können Sie aktuelle Beispiele vorweisen?

Post: In Wanne-Süd verwirklicht die Stiftung so ein Projekt mit 26 Kleinwohnungen. Es soll psychisch kranke Menschen integrieren. Man hat ein besonderes Wohnprojekt mit einer eigenen Ausstrahlung, man hat mit der Erhaltung des Pfarrhauses dem Denkmalschutz geholfen, ein Stück Restfläche in der Innenstadt genutzt, was auch ganz wichtig ist. Die Bewohner haben einen integrierten Standort. Auch für die Nachbarschaft ist es eine Bereicherung.

inherne: Es ist nur in Ansätzen nach den Prinzipien einer Wohngruppe gepaut, deren Wegbereiter Sie sind. Aber wie wird wirklich nach Ihren Vorstellungen gebaut? Wie ist die Idee entstanden?

Post: Am Anfang stand eine Gruppe von Menschen, die mit ihrer bisherigen Wohnsituation nicht zufrieden war: Die Nachbarn sprechen nicht mehr miteinander, hieß es. Einige fühlten sich aufgrund ihrer Besonderheit nicht toleriert. Die haben gesagt: Wir möchten anders wohnen. Wir möchten ein Haus gemeinschaftlich bewohnen und uns die Nachbarschaft selber suchen.

inherne: Hatte die Gruppe sich schon vorher gefunden?

Post: Ein Teil der Gruppe ja. Die Kerngruppe, acht oder zehn Leute, die haben mit uns zusammen gesessen und betont: Wir haben bestimmte Vorstellungen, haben aber kein Geld, zu bauen. In der Regel bringt ein Vermieter Wohnungen auf den Markt. Wenn man Glück hat, kann man sich noch die Fliesen und die Wandfarbe aussuchen, aber der Vermieter sucht die Menschen aus. Und hier war es umgekehrt: Eine Gruppe von Mietern hat sich einen Vermieter ausgesucht. „Die Umkehr des Wohnungsmarktes“ haben wir das genannt. Zwei Wohnungsbaugenossenschaften haben Interesse gezeigt und haben einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. Die Gruppe hat das Mitspracherecht bei der Planung und kann sich ihre Mitmieter selber aussuchen. So ist das Projekt mit 25 sehr unterschiedlichen Wohnungen, vom Single bis zur Familienwohnung, barrierefrei gebaut worden. 13 Einfamilienhäuser sind noch drum rum entstanden, die sich ebenfalls an diesem Gemeinschaftsgedanken beteiligen.

Architekt Norbert Post von den Dortmunder Stadtplanern Post&Welters. ©Thomas Schmidt, Stadt Herne Architekt Norbert Post von den Dortmunder Stadtplanern Post&Welters. ©Thomas Schmidt, Stadt Herne

inherne: Wie viele solcher Projekte haben Sie?

Post: Ich muss immer zählen, aber 15 bestimmt. Das Entscheidende ist, dass die Bewohner – Mieter oder auch Eigentümer - selber initiativ werden und nicht darauf warten, was am Markt angeboten wird. Die Wohnung nicht einfach wie ein Konsumgut betrachten, sondern sehr viel Zeit und Herzblut und Engagement investieren in die Idee der Entwicklung, der Nachbarschaft, in das Wohnumfeld.

inherne: Ist sowas auf Dauer von Erfolg gekrönt?

Post: Das erste Projekt ist 2004 fertig geworden, es hat einen Innovationspreis gekriegt. Nach 13 Jahren ist es fast beliebter als am Anfang.

inherne: Würden Sie denn sagen, dass in der Architektur das kommunikative Zeitalter angebrochen ist?

Post: Ich würde es mir wünschen. Ich bin ja der Vorsitzende des Bundes der Baugemeinschaften – weil es meine absolute Überzeugung ist, dass die Zeit für solche gemeinschaftlichen kommunikativen Wohnanlagen reif ist und dass es auch die Zukunftswohnform schlechthin ist.

inherne: Welches sind Bauwünsche, die ein wenig außerhalb der Norm sind?

Post: Ich glaube, die sind alle außerhalb der Norm.

Bauherren, die für sich selber planen und mitdenken, erkennen den Hofbereich, die Zugänge, die Treppen als zusätzliche Wohnbereiche. Der konventionelle Vermieter plant sie nicht größer, weil man sie nicht vermieten kann.

Wir bringen Qualitäten, die eigentlich das Einfamilienhaus hat: ein eigener Eingang, die eigene Haustür, das Küchenfenster zur Straße. So wie der Aufenthaltsbereich vor der Haustür mit Bank, mit Grün, das ist sowas, was in Südeuropa gang und gäbe ist.

Die Wohnungen innen drin sind auch unterschiedlich: Hohe Geschossdecken erleben eine große Nachfrage. Helle Räume, sehr viel Glas. Das Thema Energie, Umweltschutz und Barrierefreiheit ist in den Baugruppen auch ganz stark. Man denkt eher in die nächste Generation hinein.

Wir haben mit Baugruppen das erste Drei-Liter-Haus gebaut, die erste Solarsiedlung, das erste Passivhaus, die erste klimaneutrale Siedlung, das erste Plus-Energie-Haus im Geschosswohnungsbau. Immer hat eine Baugemeinschaft Meilensteine gesetzt in der Stadt, die dann am Ende auch Wohnungsbaugesellschaften so langsam für sich aufnehmen, die vorher gesagt haben, das geht nicht.

Das Vorausdenken ist ganz wichtig, dieses Weiterdenken, nicht das Denken in Abschreibungszeiträumen, sondern in verschiedenen Lebensphasen. Man macht sich immer Gedanken, was passiert, wenn die Kinder ausziehen. Was mache ich, wenn ich älter werde. Die Vorstellung, dann umzuziehen, ist für die Menschen unerträglich.

Der besondere Unterschied zum normalen Einfamilienhaus sind gemeinsame Einrichtungen. Ein Gästezimmer oder ein Mehrzweckraum, wo man mal ein großes Fest feiern oder die Fußball-WM gucken kann, die für den Einzelnen nicht erschwinglich wären, die aber in einer Gruppe, wenn man sie sich teilt, nahezu billig erscheinen.

Ich wohne ja selber in so einer Baugruppe …

inherne: Ach, sie wohnen selbst auch? Aber das ist dann doch bestimmt eine Luxuswohngruppe?

Post: Nee, da haben Sie eine falsche Vorstellung von Architekten-Einkommen. Die Gemeinschaften funktionieren auch als Genossenschaft, als Mietprojekte, als Eigentumsprojekte. Wir haben unter anderem eine gemeinsame Dachterasse und an Tagen wie Silvester wird natürlich da gefeiert. Das macht erst mal jeder für sich, aber Null Uhr Dachterasse verbindet alle. Und alle sagen: Alleine für diesen Moment hat es sich gelohnt, das hier zu machen.

inherne: Würden Sie sagen, dass das dann auch das Wohnen der Zukunft ist?

Post: Ich bin überzeugt davon, dass es das Modell für die Zukunft ist, sich als Bewohnerschaft selber mit der Architektur, mit dem Umfeld auseinander zu setzen. Man stellt auch fest, dass die Leute in einem solchen Projekt viel aktiver sind - politisch oder im Stadtteil. Allerdings wird es keine Massen-Wohnprojekte geben.

Wir haben eine Menge von Projekten, die sich alle mit Flüchtlingsproblematik beschäftigt haben, und für eine Zeit ihre Gästezimmer Flüchtlingen zur Verfügung gestellt haben. Diese Gruppen sind auch die Vorreiter für Mobilitätskonzepte. Für Car-Sharing.

inherne: Sie haben gesprochen von der Wiederentdeckung des integrativen Wohens. Das ist es?

Post: Wenn wir an das Projekt „Wir wohnen anders anknüpfen“, da wohnen mittlerweile in den 38 Wohnungen eine ganze Anzahl von blinden Menschen. Da ist auch alles barrierefrei, auch für Sehbehinderte gut benutzbar, selbst die Klingelschilder sind in Blindenschrift. Fällt aber zunächst gar nicht auf, war auch nicht die Absicht, aber durch eine so verbindliche Nachbarschaft fühlen sich Menschen mit Einschränkungen besser wahrgenommen. So eine „Dorfgemeinschaft“ kann sich um Problemfälle besser kümmern.

inherne: Wenn Städteplaner am Werk sind, und vor allem hier im Ruhrgebiet, wäre das für die dann auch eine Lösung?

Post: Ganz viele Städte, die im Moment einen Wachstumsmarkt haben, setzen auf Baugemeinschaften. Die weisen Grundstücke aus, möglichst integrierte Lagen, und stellen sie Baugemeinschaften, Baugruppen, Genossenschaften zur Verfügung. Häufig ist die Nachfrage größer als das Angebot.

inherne: Wie findet man die Klientel, die für so ein Projekt bereit ist?

Post: Wenn man das in Herne probieren wollte: Es geht nicht von heute auf morgen. Es ist immer erst eine kleine Initiativgruppe. Sie braucht dann eine fachliche Unterstützung.

Und wenn es dann ein bis zwei Referenzobjekte gibt, dann entstehen Gruppen von alleine.

In München gibt’s wegen der großen Nachfrage ganz starke Auswahlverfahren, die können von den Gruppen alles verlangen, die ökologischsten Häuser, mit null Energie, mit Eigenversorgung, die haben große Dachgärten, wo die selber ackern. Davon können wir hier nur träumen.

Man kann es natürlich im Bestand machen.

inherne: Also aus bestehenden Gebäuden im Umbau ein Wohnprojekt machen.

Post: Die Projekte dürfen nicht zu groß sein, sie müssen handhabar sein für eine Gruppe.

inherne: Das Wohnen von morgen ist dann also Wohnen in einer Gruppe …

Post: Wohnprojekte sind allgegenwärtig, auch in den Medien. Vor zehn Jahren mussten wir das immer erst erklären. Heute wissen alle, was das ist. Über Baugruppen und Wohnprojekte gibt es auch in den Parteien einen seltenen Konsens. Da ist ein großes Umdenken im Gange. Und eine große Erwartung. Alles was innovativ ist im Bauen sind die Wohngruppen, die das Wohnen weiterentwickeln.